Körperkult in KambodschaMode löst Magie ab
Früher wurden Tattoos magische Kräfte wie Unverwundbarkeit nachgesagt. Heute sind die mystischen Tätowierungen in Kambodscha kaum noch gefragt, außer von Soldaten und Boxern.
Ein wenig furchteinflößend sieht die riesige Python auf dem Oberarm von Chey Cham schon aus. Doch magische Kräfte will der 30-Jährige seiner in die Haut tätowierten Schlange nicht zuschreiben - auch wenn Kambodscha für seine mystischen Tattoos bekannt ist. "Die Python ist Mode, nicht Magie", sagt der junge Mann. "Es ist fast unmöglich geworden, einen traditionellen Tätowierer für magische Motive zu finden."
Die stetige Modernisierung des südostasiatischen Königreichs hat auch die alt hergebrachten Tattoos weitgehend verschwinden lassen, oder zumindest den Glauben an ihre magischen Kräfte. Über Jahrhunderte hinweg hatten sich die Kambodschaner stundenlangen schmerzhaften Zeremonien unterzogen, um sich von traditionellen Heilern oder buddhistischen Mönchen mit Nadeln mystische Symbole in die Haut stechen zu lassen. Heute gehen vor allem jene in Tätowierstudios, die den eigenen Körper verzieren lassen wollen.
Nur noch Kämpfer wollen magische Motive
"Früher war fast jeder kambodschanische Mann tätowiert", sagt Miech Ponn, Experte für Sitten und Gebräuche am Buddhistischen Institut des Landes. Magische Symbole sollten Glück oder Ansehen bringen. Besonders beliebt seien Tätowierungen aber schon immer bei Soldaten gewesen. Mit ihrer Hilfe wollten die Kämpfer unverwundbar werden. Heute sei solcher Aberglaube nur noch in ländlichen Gebieten verbreitet, sagt Miech Ponn.
Er werde kaum noch um magische Motive gebeten, sagt der Tätowierer Chan Trea. "Vor allem kommen Polizisten, Soldaten, Boxer und Kampfkünstler. Aber sie fragen seltener nach Tattoos, die ihnen übernatürliche Kräfte verleihen. Dinge wie Magie werden hier in Zukunft wahrscheinlich keine große Rolle mehr spielen." Kräfte verleihen sollten beispielsweise Hindu-Götter, außergewöhnliche Kreaturen oder Darstellungen aus dem Sanskrit. Kambodschanische Kämpfer lassen sich oft mit einschüchternden Abbildungen eines Drachen, eines Tigers oder des Affengotts Hanuman schmücken.
Alkohol schmälert die Wirkung
Traditionelle Tätowierer stechen solche Motive mit zwei oder drei Nadeln in die Haut und bringen dabei schwarze, blaue oder rote Tinte ein. Doch nur noch wenige wissen, wie sie die klassischen Nadeln benutzen und welche Beschwörungsformeln sie dabei sprechen müssen. Allerdings reichen auch die richtigen Nadeln und Sprüche nicht aus, wie der Buddhist Miech Ponn betont. Wer beispielsweise Alkohol trinke oder fremdgehe, beeinträchtige die magische Kraft seiner Tätowierungen. Auch der Genuss von violetten Kartoffeln, Kürbissen oder Sternfrüchten könne die Wirkung zunichte machen. Dasselbe gelte für Diebstahl.
Dennoch sind noch immer manche von der Kraft ihrer Tätowierung überzeugt. "Natürlich glaube ich daran", sagt der kambodschanische Kickbox-Champion Ei Phuthong. Er hat den Hindu-Gott Vishnu und eine fliegende Figur auf dem Rücken, seine rechte Hand ziert ein Symbol, das in der Pali-Sprache für "Großes Gewicht" steht. "Die Tattoos haben mir geholfen zu gewinnen", ist der Schwergewichts-Kickboxer überzeugt. "Auch wenn ich es nicht erklären kann."
Auch an der umkämpften Grenze zu Thailand ist der Glaube an die Macht der Tätowierung ungebrochen. Die magische Wirkung seiner Sanskrit-Tattoos auf Rücken und Brust habe sich bei einem Gefecht mit thailändischen Truppen im April erwiesen, sagt ein 46-jähriger Soldat, der mit seinen Kameraden an der Grenze stationiert ist. "Damals regneten zahllose Kugeln auf uns herab. Doch auf wundersame Weise war ich vor ihnen geschützt."