Panorama

Zwei Angeklagte, zwei Leben Sollecito hat mehr zu verlieren als Knox

Sollecito stand zum Zeitpunkt der Tat kurz vor seinem Studienabschluss.

Sollecito stand zum Zeitpunkt der Tat kurz vor seinem Studienabschluss.

(Foto: imago/Italy Photo Press)

Amanda Knox und Raffaele Sollecito stehen immer gemeinsam in den Anklagepapieren im Mordfall Kercher. Doch während Knox auch nach dem jüngsten Urteil die Ereignisse gelassen verfolgen kann, führt Sollecito in Italien einen verzweifelten Kampf.

Amanda Knox und Raffaele Sollecito hatten auf einen Freispruch gehofft, doch es kam anders. Die acht Richter und Geschworenen berieten in Florenz zwölf Stunden, es wurde später Abend bis zum Schuldspruch. Dann wurde Knox wegen des Mordes an der britischen Austauschstudentin Meredith Kercher zu 28 Jahren und sechs Monaten, Sollecito zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt.

Die kurze Beziehung von Knox und Sellecito ist längst Vergangenheit, wegen des Mordfalls Kercher sind beide dennoch untrennbar miteinander verbunden. Doch während Knox in den USA ein relativ normales Leben führen kann, ist es für den Italiener Sollecito komplizierter. Knox hatte die jetzige Entscheidung von ihrem Heimatland USA aus verfolgt, wohin sie nach dem Freispruch von 2011 zurückgekehrt war. Sie hatte zuvor in Italien fast vier Jahre im Gefängnis gesessen. Aus Angst vor einem neuen Schuldspruch war Knox gar nicht erst nach Florenz gereist.

Glaube an Gerechtigkeit

Ihr mitangeklagter Ex-Freund Raffaele Sollecito war hingegen an vielen Verhandlungstagen und auch am Donnerstagmorgen im Gerichtssaal erschienen. "Die Leute, die es auf mich abgesehen haben, hätten nicht gedacht, dass ich komme", sagte der 29-Jährige zu Journalisten. Nach italienischem Recht wäre er nicht zur Anwesenheit verpflichtet. Sein Vater Francesco Sollecito sagte, die Präsenz seines Sohnes zeuge von "Mut, Respekt vor dem Gericht und dem Glauben an Gerechtigkeit". Zur Urteilsverkündung am Abend erschien Sollecito dann aber nicht, das wäre "emotional zu anstrengend" gewesen. Mit dem neuen Urteilsspruch wurde für ihn ein Ausreiseverbot verhängt, dass er möglicherweise mit einem schnellen Grenzübertritt unterlaufen wollte.

Denn in der Nacht sei er in einem Dorf in der Nähe von Udine im Norden des Landes entdeckt worden, hieß es aus italienischen Polizeikreisen. Von hier aus wäre es nach Slowenien oder Österreich nicht mehr weit gewesen. Laut "Corriere della Sera" soll er sich sogar bereits in Österreich aufgehalten haben, dann aber doch nach Italien zurückgekehrt sein. Nun wurde ihm jedenfalls sein Pass abgenommen. Zugleich teilten ihm Polizisten nun auch offiziell mit, dass er Italien nicht verlassen dürfe. Damit sitzt der Informatiker fest, wenn er auch nicht verhaftet wurde, weil das Urteil vom Vorabend noch nicht rechtskräftig ist.

Nach dem Freispruch 2011 war Sollecito viel herumgereist. Zuletzt verbrachte er einige Monate in der Dominikanischen Republik, was ihm den Verdacht einbrachte, vor der Justiz fliehen zu wollen. Vor dem Florenzer Gericht beschrieb er, dass er in Italien ständig unter Beobachtung sei und bat "demütig um die Möglichkeit, wieder ein Leben zu haben". Seit den Geschehnissen um Kercher habe er "kein wirkliches Leben" mehr. Für ihn sei es schwierig, einen Job zu finden, weil ihn jeder kenne und als "einen möglichen Mörder" sehe.

Sollecito hat anders als Knox, die nach ihrer Buchveröffentlichung und diversen Fernsehauftritten angeblich Millionen verdiente, kaum Geld. Seine Anwaltskosten versuchte er über ein Spendenkonto einzuwerben, war damit aber nur mäßig erfolgreich. Und während alle auf die gutaussehende und intelligente Knox schauen, ist Sollecito immer nur der Mitangeklagte. In seinen Memoiren "Meine Reise in die Hölle und zurück mit Amanda Knox" schrieb er schon 2012 bitter: "Auch wenn Amanda und ich das gleiche ungerechte Schicksal teilten, war es immer mehr ihr Fall." Er hingegen sei immer mehr aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden, ein "Herr Niemand" geworden. Das Paar hatte sich erst wenige Tage vor dem Mord bei einem klassischen Konzert kennengelernt. Mehr noch als Knox muss ihm deshalb an einem endgültigen Freispruch gelegen sein.

Eine Chance auf Freiheit

Denn im Falle eines Schuldspruches gilt es als unwahrscheinlich, dass die USA Knox an Italien ausliefern. Grundsätzlich existiert zwar ein Auslieferungsabkommen zwischen Italien und den Vereinigten Staaten. Doch die USA könnten argumentieren, dass niemand wegen ein- und desselben Vergehens zweimal vor Gericht gestellt werden darf. Damit wäre Knox aus dem Schneider und lediglich bei Reisen ins Ausland eingeschränkt. Eine freiwillige Rückkehr nach Italien schloss Knox kurz vor ihrer erneuten Verurteilung aus. "Sie werden mich fangen und mich tretend und schreiend in ein Gefängnis zurückzerren müssen, in dem zu sein ich nicht verdient hätte", sagte die 26-Jährige dem Londoner "Guardian". Bei Sollecito müssten die Carabinieri hingegen einfach nur klingeln, dann müsste der Italiener weitere 21 Jahre im Gefängnis verbringen.

Sollecito und Knox waren im Jahr 2010 wegen des Mordes an Kercher im Jahr 2007 im italienischen Perugia zu 26 und 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ein Berufungsgericht sprach sie jedoch 2011 frei. Der neue Prozess in Florenz war 2013 vom obersten italienischen Berufungsgericht angeordnet worden, das Widersprüche und Unstimmigkeiten im Berufungsverfahren sah. Sowohl Knox als auch Sollecitos Anwälte haben Berufung gegen das neue Urteil angekündigt. Damit muss das höchste italienische Gericht in Rom ein weiteres Mal in dem Fall entscheiden. Bis zu einem endgültigen Urteil könnten erneut Monate vergehen. Monate, in denen Sollecito warten muss, ob er noch ein Leben bekommt.

Quelle: ntv.de

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