Panorama

Essener Intensivmediziner Dolff "Sterblichkeit von Covid-Patienten ist weiter hoch"

An der Universitätsmedizin Essen kann man bei steigenden Patientenzahlen mehr Intensivbetten zur Verfügung stellen.

An der Universitätsmedizin Essen kann man bei steigenden Patientenzahlen mehr Intensivbetten zur Verfügung stellen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Seit Beginn der Corona-Pandemie sind die Intensivstationen ein Gradmesser dafür, ob es gelingt, das Virus in Schach zu halten. Auf der Station von Sebastian Dolff in Essen hat sich eine gewisse Routine eingestellt, inzwischen weiß man mehr über Covid-19. Doch die Mutationen und die Lockerungen sorgen den Infektiologen.

ntv.de: Vom Robert Koch-Institut (RKI) hieß es gerade, dass die Patienten, die auf Intensivstationen behandelt werden, mittlerweile jünger sind. Können Sie das auch bei sich beobachten?

Sebastian Dolff: Für unsere Patienten in der Universitätsmedizin Essen können wir das derzeit so nicht bestätigen. Wenn man das ganze letzte Jahr überblickt, sehen wir keinen Trend zu jüngeren Patienten. Aber das kommt natürlich immer darauf an, welche Patientengruppen und welchen Zeitraum man betrachtet. Als Universitätsmedizin haben wir einen überregionalen Versorgungsauftrag besonders für Risikopatienten, die an unsere Schwerpunkte angebunden sind. Daher behandeln wir auf der Intensivstation ohnehin durchschnittlich eher jüngere Patienten.

Wer ist denn gerade Covid-19-Patient bei Ihnen?

Sebastian Dolff ist Leitender Oberarzt der Klinik für Infektiologie an der Universitätsmedizin Essen.

Sebastian Dolff ist Leitender Oberarzt der Klinik für Infektiologie an der Universitätsmedizin Essen.

Das lässt sich so allgemein nicht sagen. Wir haben immunsupprimierte Patienten, beispielsweise nach Organtransplantationen oder bei Krebsbehandlungen, aber auch Patienten, die über die Notaufnahme kommen. Weil wir eine Schwerpunktklinik sind, werden uns auch Patienten zugewiesen, die Lungenersatzverfahren, also eine ECMO, brauchen. Das sind dann natürlich schwer kranke Menschen. Das Verhältnis von Männern und Frauen ist bei uns fast ausgewogen. Und wir sehen deutlich auch die Risikofaktoren für einen schweren Verlauf bei den Patienten: Adipositas, ein erhöhtes Alter, aber auch schlecht eingestellter Diabetes.

Welche Behandlungsmöglichkeiten haben Sie für diese Menschen?

Wenn ich das mit der Situation vor einem Jahr vergleiche, hat sich die Behandlung schon erheblich verändert. Zu Beginn der Pandemie war im Prinzip jeder Ansatz experimentell und die Datenlage zu den einzelnen Substanzen, die zur Verfügung standen, war nicht nur dünn, sondern nicht vorhanden. Wir haben mit den gängigen unterstützenden Therapien für das akute Lungenversagen angefangen. Im März, April 2020 haben wir noch Hydroxychloroquin eingesetzt, das machen wir heute wegen der eindeutigen Studienlage gar nicht mehr.

Remdesivir ist inzwischen für bestimmte Patienten Standard. Außerdem wird in der zweiten Krankheitsphase Dexamethason bei uns regelmäßig eingesetzt. Dazu kommen Erfahrungen mit passiver Immunisierung und monoklonale Antikörper für die asymptomatischen Patienten. Bei sehr schwer erkrankten Patienten setzen wir in Einzelfällen auch Rekonvaleszenz-Plasma ein, weil da die Datenlage immer noch sehr uneindeutig ist. Damit haben wir ein ganzes Portfolio an Optionen, aber eine Anti-Covid-Therapie in dem Sinne gibt es natürlich immer noch nicht.

Gibt es einen Unterschied in den Krankheitsverläufen bei den Patienten, die sich mit den Mutationen infiziert haben?

Dazu können wir noch keine Aussagen machen. Dass das möglicherweise mit einer erhöhten Sterblichkeit einhergeht, können wir bisher nicht nachvollziehen. Es wurde ja zunächst lange Zeit nicht auf die Mutationen routinemäßig getestet und wir testen auch nach wie vor nicht jeden Patienten darauf. Insofern fehlen uns einfach Daten. Aber der aktuelle RKI-Bericht sagt, dass inzwischen über 70 Prozent mit der B 1.1.7. Mutante infiziert sind. Epidemiologisch wird sich diese britische Variante also einfach durchsetzen.

Haben Sie das Gefühl, dass sich die Überlebenschancen schwer kranker Covid-Patienten verbessert haben?

Was wir gelernt haben, ist, dass die Covid-Patienten ein erhöhtes Thrombose-Risiko haben. Darauf reagieren wir inzwischen durch den frühzeitigen Einsatz von Blutgerinnungshemmern. Aber die Sterblichkeit von Patienten, die künstlich beatmet werden oder ein Lungenersatzverfahren brauchen, ist nach wie vor sehr hoch. Wir haben das nicht statistisch ausgewertet, aber diese Behandlung stellt einen kritischen Moment dar. Die Beatmung ist auch ein Ausdruck der Schwere der Erkrankung. Wenn die Lunge mit einem künstlichen Verfahren ersetzt werden muss, ist das immer, auch bei anderen Erkrankungen, ein schlechter Prognosefaktor. In der ersten Phase der Pandemie gab es noch die Empfehlung, früh zu intubieren. Jetzt versuchen wir damit so lange wie möglich zu warten.

Wie lange bleibt ein Covid-19-Patient im Durchschnitt bei Ihnen auf der Intensivstation?

Das kann ich nicht genau sagen, weil es sehr verschieden ist. Es gibt Patienten, deren Zustand sich akut verschlechtert, dann aber unter Medikamentengaben auch wieder schnell verbessert. Das haben wir häufig bei Jüngeren. Und es gibt Erkrankte, die Lungenersatzverfahren benötigen, die teilweise monatelang bei uns liegen.

Nach Weihnachten konnte man den deutlichen Anstieg bei den Intensivpatienten bundesweit sehen. War das bei Ihnen auch so?

Wir hatten diesen Trend zum Jahresende und -anfang auch. Wir haben an der Universitätsmedizin Essen ein dynamisches Bettenmanagement für die Covid-19-Patienten, das sich an den Patientenzahlen orientiert. Und da gab es schon eine eindeutige Zunahme.

Wie schätzen Sie denn die jetzt ergriffenen Maßnahmen ein? Reicht das aus, um einen ähnlichen Anstieg nach Ostern zu verhindern?

Das hängt ja nicht nur von den politischen Maßnahmen ab, sondern auch davon, wie sich die Bevölkerung an bestimmte Hygienemaßnahmen hält. Wenn Lockerungen kommen, nehmen die Menschen diese auch immer wahr. Und das spiegelt sich im Infektionsverlauf regelmäßig wider. Rein infektiologisch und epidemiologisch betrachtet, sind die Maßnahmen meiner Meinung nach zu kurz gegriffen und nicht hart genug. So werden die Infektionsketten nicht signifikant unterbrochen. Dafür sind die Ostertage zu kurz, zumal die Infektiosität bei einer Infektion mit der Mutation wahrscheinlich länger ist als fünf Tage. Wir kommen von einem hohen infektiologischen Niveau, also wird sich die Virusvariante wahrscheinlich weiter ausbreiten und wir werden steigende Infektionszahlen sehen. Ob sich das auch im stationären Bereich auswirkt, darüber kann man nur spekulieren. Unwahrscheinlich ist es nicht.

Mit Sebastian Dolff sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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