Missbrauch an Jesuiten-GymnasiumWeitere Opfer melden sich
Im Missbrauchsskandal am Berliner Canisius-Kolleg kommen immer mehr Vorfälle ans Licht. Einige der damaligen missbrauchten Schüler schickten trotz ihrer Leiden später sogar ihre eigenen Kinder auf dieses Gymnasium. Rektor Mertes fordert inzwischen von der katholischen Kirche, sich ihrer Phobie und Sprachlosigkeit zu stellen.
Der Missbrauchsskandal am katholischen Gymnasium in Berlin weitet sich aus: Nachdem bekanntgeworden war, dass zwei Lehrer am jesuitischen Canisius-Kolleg in den 70er und 80er Jahren sieben Schüler sexuell missbraucht hatten, haben sich nun 15 weitere männliche Opfer gemeldet. Darüber informierte der Rektor der Privatschule, Pater Klaus Mertes.
Alle hätten ebenfalls die beiden Padres als Täter beschuldigt, die auch schon die ersten Missbrauchsopfer genannt hatten. Die Vorfälle kamen ans Licht, weil sich Mertes in einem Brief an etwa 600 ehemalige Schülerinnen und Schüler gewandt hatte. Die Polizei leitete bereits Ermittlungen gegen Unbekannt ein.
Opfer schicken eigene Kinder ins Kolleg
Nach Angaben der Rechtsanwältin und Beauftragten des Jesuitenordens für Fälle von sexuellem Missbrauch, Ursula Raue, haben einige der Missbrauchsopfer trotz ihrer Leiden später ihre eigenen Kinder auf das katholische Gymnasium geschickt.
Mertes hatte bereits 2004 und 2005 von jeweils einem Missbrauchsfall erfahren. Damals hätten ihn die beiden Opfer um Diskretion gebeten, daher habe er nicht weiter recherchiert, sagte Mertes. Als sich bei ihm im Dezember und Januar dann jedoch fünf weitere Opfer meldeten, entschloss sich Mertes zu dem Brief. Die neuen Berichte ehemaliger Schüler hätten ihn überzeugt, dass es sich nicht nur um Einzelfälle, sondern um systematischen Missbrauch gehandelt habe. Einer der Täter soll sich laut Mertes bereits bei Anwältin Raue gemeldet und die Taten gestanden haben.
Jahrelang Gerüchte, aber keine Aufklärung
Teil der Aufklärungsarbeit wird laut Mertes nun auch sein, mögliche Fehler innerhalb der Schule aufzudecken. Immerhin habe es lange Jahre entsprechende Gerüchte, aber keine Aufklärung gegeben. Daher müsse untersucht werden, ob Padres oder die Schulleitung wissentlich weggeschaut hätten.
"Die Schüler haben mir glaubwürdig die damalige Institution als eine wegschauende Institution beschrieben", sagte Mertes. "Das Wegschauen beginnt immer in dem Moment, wo Sie etwas hören und sich entscheiden: 'Ich will das gar nicht wissen'." Er vermute außerdem, dass zumindest einer der beiden Padres Anfang der 80er Jahre die Schule verlassen musste, weil es einen eindeutigen Verdacht auf Missbrauch gegeben habe.
Vorwürfe an die katholische Kirche
Mertes betonte auch, dass sich innerhalb der katholischen Kirche einiges ändern müsse. "Die Missbrauchsfälle - nicht nur hier, sondern auch die der vergangenen Jahre - stellen eine schwergewichtige Frage an die katholische Kirche. Nämlich, ob sie Missbräuche begünstigt, durch ihre Kultur, durch ihr System", sagte der Pater. "Ich glaube, dass es zwei Stichworte gibt, mit denen die katholische Kirche arbeiten muss: Phobie und Sprachlosigkeit."
Die katholische Kirche habe ein Angstproblem und leide an Homophobie. Außerdem sei Sprachlosigkeit ein Problem beim Thema Sexualität. "Wenn sich die Lehre der katholischen Kirche zur Sexualität so weit von den realen Fragestellungen, auch junger Menschen, entfernt, dass sie mit den realen Erfahrungen praktisch nichts mehr zu tun hat, dann führt das die junge Generation zu ganz großen Teilen in eine Sprachlosigkeit." Beide Themen könnten zu Problemen führen, denen sich die katholische Kirche stellen müsse.