Samuel K. in "ausgesprochen kritischem Zustand" Wettkandidat liegt im künstlichen Koma
05.12.2010, 15:53 Uhr
Der Zustand des 23-Jährigen ist kritischer als gedacht.
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Der Zustand des bei "Wetten, dass...?" verunglückten Samuel K. ist kritisch. Seine Ärzte sprechen von einer komplexen Verletzung an der Halswirbelsäule und Lähmungserscheinungen. Das ZDF kündigt Konsequenzen an. Moderator Gottschalk weist aber Vorwürfe zurück, der Quotendruck würde zu gefährlicheren Wetten führen.
Der Zustand des bei der ZDF-Show "Wetten, dass...?" verunglückten Samuel K. ist nach Klinik-Angaben kritischer als nach dem Unfall gehofft. Der 23-Jährige habe eine komplexe Verletzung an der Halswirbelsäule, sagte der ärztliche Direktor der Uniklinik Düsseldorf, Prof. Wolfgang Raab. Auch das Rückenmark sei in Mitleidenschaft gezogen worden. Raab sprach außerdem von Lähmungserscheinungen. Zwar bestehe keine akute Lebensgefahr, der Patient sei aber in "ausgesprochen kritischem Zustand", erläuterte Raab. Er sei einer zweieinhalbstündigen Notoperation unterzogen worden und befinde sich derzeit im künstlichen Koma. Zu möglicherweise bleibenden Schäden wollte sich Raab nicht äußern.

Der ärztliche Direktor der Universitätsklinik, Wolfgang Raab (r) und der behandelnde Arzt Richard Bostelmann (l) äußern sich zum Gesundheitszustand von Samuel K.
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Der 23-jährige Samuel K. hatte am Vorabend in der Rheinhalle gewettet, mit Hilfe von Federbeinen, die er sich unter die Füße schnallte, per Salto über fünf fahrende Autos zu springen. Er war der erste Wettkandidat an dem Abend. Bei zwei Wagen klappte der Versuch in der Live-Show. Danach streifte er ein von seinem Vater gesteuertes Auto, geriet ins Trudeln und prallte mit voller Wucht auf den Boden, wo er regungslos liegen blieb. Co-Moderatorin Michelle Hunziker rief direkt nach einem Notarzt, der Wettkandidat wurde noch in der Halle erstversorgt. Die Wettpaten, Komiker Otto Waalkes und Model Sara Nuru, reagierten ebenso wie das Düsseldorfer Publikum geschockt. Das ZDF brach die Übertragung ab – erstmals in der Geschichte der Sendung – und sendete ein Ersatzprogramm.
Gottschalk wies allerdings Vorwürfe zurück, unter Quotendruck eine zu gefährliche Wette zugelassen zu haben. "Den Vorwurf, wir hätten unter Konkurrenzdruck eine unverantwortliche Wette ins Programm genommen, möchte und muss ich zurückweisen", sagte Gottschalk der "Süddeutschen Zeitung". "Wir hatten immer schon riskante Wetten, ob mit Motorrädern oder auf Skisprungschanzen. Das ist ein Teil des Programms", erklärte er. Jetzt werde man aber natürlich überlegen müssen, ob das so bleiben könne. Auch das hänge selbstverständlich davon ab, wie schnell es dem Kandidaten bessergehe.
Kandidat trug Helm und Schutzkleidung
Nach einem ersten Schock konnte Moderator Thomas Gottschalk vermelden, dass es dem 23-jährigen Samuel K. den Umständen entsprechend gut gehe. Der Student sei auf dem Weg ins Krankenhaus und ansprechbar. Im günstigsten Fall sei der Wettkandidat mit einer Nackenprellung davongekommen. Näheres zum Zustand des 23-Jährigen sollte nach Gottschalks Worten eine Computertomographie erbringen. Der Wettkandidat hatte einen Helm und Schutzkleidung getragen.
Kurz darauf brach Gottschalk die Sendung komplett ab. "Ich bringe es nicht fertig, jetzt hier weiter zu moderieren", sagte Gottschalk kreidebleich. Es sei der erste derartige Abbruch in seiner Karriere. Die Zuschauer schickte er mit den Worten nach Hause: "Ich entlasse Sie ratlos. Ich bin ratlos, Sie sind ratlos - und traurig sind wir alle." Später erklärte er im ZDF: "Ich habe die letzte Meldung bekommen und die lautet, dass er bei Bewusstsein ist, dass seine Eltern bei ihm sind und mit ihm gesprochen haben."
Elstner: "Ein schwarzer Tag"
Er mache sich nun natürlich selbst Vorwürfe, sagte Gottschalk. Die Wette sei aber mehrmals geprobt worden. "Es ist ein Unfall, wie er immer wieder passiert." Er halte es für seine Pflicht als Entertainer zu sagen, die Show werde abgebrochen, sagte Gottschalk. "Wir wollen nicht auf heiter machen, wenn wir nicht heiter sind." Er habe immer gesagt, "das wäre für mich das Allerschlimmste, wenn einem meiner Kandidaten in meiner Livesendung was passiert". Später sagte der 60-Jährige, der "Wetten, dass...?" mit einer einjährigen Unterbrechung seit 23 Jahren moderiert, es habe schon viele gefährliche Wetten gegeben. Die schlimmste Verletzung bisher sei ein Beinbruch gewesen.
Die Unglücksshow hatte eine besonders hohe Zuschauerquote: 8,13 Millionen Menschen sahen die Sendung, das entsprach einem Marktanteil von 25,6 Prozent. Gottschalk sieht seine Show nicht infrage gestellt. "Im Moment geht es weder um mein Moderatorenschicksal noch um die Zukunft der Sendung, sondern ausschließlich um die Gesundheit von Samuel", sagte Gottschalk der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
"Wetten, dass...?"-Erfinder Frank Elstner glaubt, dass der Unfall des Wettkandidaten das zukünftige Konzept der Sendung beeinflussen könnte. Er rechne damit, dass mehr Wert auf Wetten gelegt werde, die geistiges Geschick erforderten und weniger artistisch seien, sagte Elstner im SWR. Er sprach von einem "schwarzen Tag" für "Wetten dass...?". Elstner betonte jedoch, dass ein solcher Unfall überall passieren könne, wo Menschen sich bewegen und sportliche Leistungen vollbringen. Dass die Proben der Wette allerdings nicht reibungslos liefen, hatte K. selbst der "Badischen Zeitung" in einem Interview gesagt. "Bei den Proben am Donnerstag bin ich zweimal schwer gestürzt. Der Wettteil klappt noch nicht", sagte der 23-Jährige.
Auch in der Heimatgemeinde von Samuel K. herrscht große Bestürzung. "Das ist eine tragische Geschichte", sagte der Bürgermeister des südbadischen Efringen-Kirchen, Wolfgang Fürstenberger. Viele in der 8500-Einwohner-Kommune im Kreis Lörrach hätten bei der Liveshow mitgefiebert. "Wir waren sehr gespannt, denn die Wette war ja geheim", sagte Fürstenberger. Dann sei der große Schock gekommen. Vielleicht habe sich der 23- jährige Student der Schauspielschule Hannover vor dem Millionenpublikum zur sehr selbst unter Druck gesetzt, meinte der Bürgermeister. Für seine Genesung hoffe er nun das Beste.
Moderator verteidigt Entscheidung
Gottschalk sagte der "SZ" weiter: "Ich bin im Redaktionsteam dafür bekannt, dass ich aus den Wetten immer unnötigen Druck herausnehme." Er habe den Kandidaten gefragt: "Müssen denn die Autos immer größer werden? Reicht es nicht, wenn du dreimal über einen Smart springst?" Er halte nichts davon, eine "überzogene Dramatik" zu erzeugen. "In diesem Fall habe ich einen hochmotivierten Kandidaten gehabt, der von sich aus Druck gemacht hat", sagte der ZDF-Moderator.
Über die Stürze Kochs bei den Proben sagte Gottschalk: "Ich war bei allen Proben dabei, Samuel ist nach einem Sprung kurz hingefallen, aber wieder aufgesprungen wie ein Fußballer nach einem leichten Foul." Koch sei physisch und psychisch so stark gewesen, dass es keinen Grund gegeben habe, an ihm oder der Wette zu zweifeln. "Wenn bei uns der Eindruck entstanden wäre, er hätte sich mit seinem Wett-Angebot übernommen, hätten wir ihn vor sich selbst geschützt." Koch habe aber davon überzeugt werden müssen, einen Helm zu tragen.
"Dass sich nach fast 40 Jahren bei mir erstmals ein Kandidat schwer verletzt hat, ist natürlich ein Schock für mich", sagte Gottschalk. Aber er und die Redaktion machten sich selbst keine Vorwürfe. "Aber ich sehe, wie schnell man Verantwortung auf seinen Schultern spürt." Auf die Frage, ob die Zeit zwischen Unfall und Abbruch der Sendung der schwierigste Moment seiner Karriere gewesen sei, sagte Gottschalk: "Ja. Ich habe immer damit geprahlt, dass mich vor der Kamera nichts erschüttern kann. Und ich habe immer dazu gesagt: bis auf Not und Tod. Dieser Fall lag nun zwischen Not und Tod, und dann ist keine Moderationskunst mehr gefragt. Es ging nur noch darum, mit einer furchtbaren Situation angemessen umzugehen."
ZDF kündigt Konsequenzen an
ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut erklärte: "Die ersten Informationen über den Zustand unseres Wettkandidaten waren nicht eindeutig. (...) Unter dieser Voraussetzung konnten und wollten wir die Unterhaltungssendung nicht fortsetzen." Er kündigte eine gründliche Untersuchung des Unfalls an. Der Sender will zudem Konsequenzen für die Auswahl künftiger Wetten ziehen. Gleichzeitig verteidigte Unternehmenssprecher Alexander Stock die Entscheidung für die riskante Wette, bei der am Samstagabend der 23-Jährige Samuel K. verunglückt war. "Alle Wetten werden von Redaktion, Produktion und einem Sicherheitsingenieur des ZDF erst nach intensiver Begutachtung freigegeben", erklärte Stock in Mainz.
"Der Kandidat hatte in enger Absprache mit dem ZDF die Durchführung der Wette intensiv geprobt", erläuterte er in einer Mitteilung. Samuel K. "ist neben seinem Studium in Hannover als freier Akrobat und Stuntman tätig und aktiver Kunstturner", betonte Stock. "Das ZDF wird den Ablauf und die Ursachen des Unfalls gleichwohl in allen Details noch einmal überprüfen und wird aus dem Ergebnis Konsequenzen bei der Auswahl von Wetten ziehen." Bei Gottschalk sollten am Samstag eigentlich unter anderem der Teenie-Star Justin Bieber und die wiedervereinigte Popband Take That auftreten. Justin Bieber schrieb im Internet-Kurznachrichtendienst Twitter, es wäre nicht richtig, einfach mit der Show weiter zu machen. Der 16-jährige Kanadier bat seine Fans, für Samuel und dessen Familie zu beten.
Politiker fordern Quotendebatte
Der ZDF-Verwaltungsratschef und rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck forderte eine Quotendebatte im ZDF. Es stellten sich Fragen, denen das ZDF als öffentlich-rechtlicher Sender nicht ausweichen dürfe, sagte der SPD-Politiker der "Welt". "Natürlich müssen wir über die Themen sprechen: Wann werden die Grenzen des Verantwortbaren überschritten? Wie viel Risiko darf man eingehen? Und natürlich müssen wir auch über die Themen Nervenkitzel, Waghalsigkeit und Quote reden."

Vor allem jüngere Zuschauer hatten sich bereits auf Auftritte von Take That und Justin Bieber gefreut.
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Beck zeigte sich bestürzt über den Unfall. "Unsere Gedanken sind zunächst bei dem jungen Mann und seiner Familie. Wir übersenden ihm unsere Genesungswünsche", sagte er. "Die Verantwortlichen im Sender und auch die Gremien werden und müssen sich damit auseinandersetzen." Beck lobte das Krisenmanagement Thomas Gottschalks und der ZDF-Chefredaktion. Es sei richtig gewesen, die Sendung abzubrechen.
Grünen-Medienpolitikerin Tabea Rößner warnte vor einem gefährlichen Buhlen um Fernsehzuschauer. Die Sprecherin für Medienpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen appellierte an das Verantwortungsbewusstsein der Fernsehmacher, "im Kampf um bessere Quoten das Maß nicht zu verlieren". Würde und Schutz des Menschen dürften nicht leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden. Die Grünen-Politikerin bat den ZDF-Fernsehrat, sich mit der Thematik zu befassen. "Wir brauchen aber auch eine gesellschaftliche Debatte": Die Zuschauer müssten sich fragen, ob sie den Druck des Höher, Schneller, Weiter tatsächlich wollten.
Experte gegen pauschale Urteile
Der Medienexperte Christoph Neuberger warnte dagegen davor, von einer Tendenz zu immer spektakuläreren Eventshows zu sprechen. "Ein gewisser Druck durch das Schielen auf Zuschauerquoten ist sicher da. Aber pauschal würde ich auf keinen Fall eine Verschlimmerung in dieser Hinsicht bei den öffentlich-rechtlichen Sendern in Konkurrenz zu den privaten behaupten", sagte der Kommunikationswissenschaftler der Universität Münster.
Wissenschaftlich sei es nicht seriös zu beurteilen, ob die Wetten in Thomas Gottschalks Sendung im verschärften Kampf um die Zuschauergunst riskanter geworden seien. "Das müsste man sich im Detail ansehen", sagte Neuberger. "Die Gefahr ist, jetzt diesen Einzelfall als Beleg für einen behaupteten Trend zu nehmen." Neuberger betonte: "Riskante Grenzbereiche werden zwar immer mal wieder durch einzelne Formate der privaten Sender berührt. Diskussionen darüber gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Aber die Mechanismen der Selbstregulierung funktionieren da gut."
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP