Panorama

Bis zu 400 Tote erwartetWie kam es zu dem Grubenunglück?

15.05.2014, 11:08 Uhr
2014-05-15T054436Z-1618193485-GM1EA5F06P902-RTRMADP-3-TURKEY-MINE-JPG4986469207258249733
Inzwischen beerdigen die Familien in Soma ihre Toten. (Foto: REUTERS)

Das Feuer in der Kohlegrube Soma fordert Hunderte Tote und Vermisste. Doch was löste das Unglück aus und welchen Anteil hat die Bergwerksgesellschaft daran? Fragen und Antworten.

Das Feuer in der Kohlegrube Soma fordert Hunderte Tote und Vermisste. Doch was löste das Unglück aus und welchen Anteil hat die Bergwerksgesellschaft daran? Fragen und Antworten.

Gibt es noch eine realistische Aussicht, dass Kumpel gerettet werden können?

Sollten die eingeschlossenen Bergleute sich nicht in irgendwelche Frischluft-Blasen gerettet haben, dürfte wohl keiner von ihnen mehr lebend an die Oberfläche gebracht werden. In den vergangenen zwölf Stunden sind keine Kumpel mehr lebend geborgen worden, sagte Energieminister Taner Yildiz der Nachrichtenagentur Anadolu. Die aktuelle Totenzahl liegt bei 282. "Es gibt keine Hoffnung mehr für sie, es ist aus", sagte der Bergmann Murat Kürkoglü in der Nacht vor dem Eingang der Grube in der südwestlichen Kohleregion. "Niemand kann auf den Grund des Bergwerks vordringen, das Erstickungsrisiko ist viel zu groß", betonte auch der für die Rettungsversuche verantwortliche Arzt Erdem Bakin.

Wie viele Opfer könnte es insgesamt geben?

Zum Zeitpunkt des Unglücks waren nach Angaben von Energieminister Taner Yildiz 787 Kumpel unter Tage. Nach Behördenangaben wurden aber nur 363 geborgen, nach Angaben des Zechenbetreibers 450. Inzwischen wird mit bis zu 400 Toten gerechnet.

Wie ist es überhaupt zu dem Unglück gekommen?

Zunächst hieß es, in etwa 150 Meter Tiefe sei ein Defekt in einer Trafoanlage aufgetreten. Dabei entstandene Funken hätten dann eine Explosion ausgelöst, die während des Schichtwechsels Teile des Bergwerkes in Brand setzte. Inzwischen gehen die Experten davon aus, dass ein nicht mehr aktiver Flöz sich erhitzt und Kohlenmonoxid durch die Schächte und Stollen verströmt hat.

Woran sind die Kumpel gestorben?

Die meisten Opfer starben an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Kohlenmonoxidvergiftungen führen binnen drei bis fünf Minuten zum Tode. Nach einer Explosion unter Tage funktionierte die Stromversorgung nicht mehr. Ventilatoren konnten nicht mehr arbeiten, dadurch wurde der Luftstrom unterbrochen. Die Rettungsmasken, die die Männer möglicherweise bei sich hatten, reichten lediglich für 45 Minuten Frischluft.

Welche Dimension hat das Unglück?

Es ist das schwerste Bergwerksunglück in der türkischen Geschichte. Das zuvor größte Unglück im türkischen Bergbau hatte sich 1992 ereignet, als 263 Bergarbeiter ums Leben kamen. Der türkische Industrielle Ishak Alaton warnte damals schon: "Das Sterben im türkischen Bergbau ist nicht von Allah vorgeschrieben, sondern nur das Ergebnis menschlicher Unvernunft."

Wie steht es um die Sicherheitsbedingungen in türkischen Bergwerken?

In der Türkei kommt es immer wieder zu tödlichen Grubenunfällen. Zwischen 2002 und 2012 kamen in dem Land mehr als 1000 Bergleute bei Grubenunglücken ums Leben. Mehrfach gab es in den vergangenen Jahren Verstöße gegen Sicherheitsregeln oder es wurden veraltete Arbeitsgeräte eingesetzt. Der Vorsitzende der linken Gewerkschaft DISK, Kani Beko, kritisierte, in der Zeche seien zahlreiche Arbeiter von Subunternehmern gewesen. Beko sprach von einem "Massenmord" in dem Bergwerk. Die deutsche Bergbaugewerkschaft IG BCE kritisierte nach dem Grubenunglück in der Türkei Sicherheitsmängel im Bergbau des Landes. "Die Katastrophe in Soma ist das jüngste Glied in einer langen Kette schrecklicher Grubenunglücke in der Türkei", sagte der Gewerkschafts-Vorsitzende Michael Vassiliadis. Dabei habe es immer wieder Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen gegeben. Mindestvorschriften im Arbeits- und Gesundheitsschutz würden nicht eingehalten.

Welche Rolle spielt die Privatisierung der Gruben?

Nicht nur die Gewerkschaften werfen der Betreibergesellschaft Soma Kömür vor, Profit sei im türkischen Bergbau einmal mehr vor Sicherheit gegangen. Das Unglück sei kein Schicksal, sondern von Menschen verschuldet. Dabei soll die islamisch-konservative Regierungspartei AKP eine schützende Hand über die Betreiberholding gehalten haben. Mit ihrer Mehrheit war Ende April im Parlament ein Antrag der Opposition, die eine Kontrolle in Soma durchsetzen wollte, abgelehnt worden. Im September 2012 habe der Chef der Soma Holding, Alp Gürkan, in einem Interview gefeiert, dass er die Kosten in dem Bergwerk nach dessen Übernahme aus Staatsbesitz deutlich habe senken können, berichtet die Zeitung "Hürriyet". Die Produktionskosten pro Tonne Kohle seien von bis zu 140 US-Dollar (knapp 102 Euro) pro Tonne auf nun knapp 24 US-Dollar (knapp 17,50 Euro) gesenkt worden. "Die staatlichen Unternehmen bekommen vom Staat nicht die nötigen Kredite und haben sich entschlossen, Geschäftsfelder an die Privatwirtschaft zu geben und Förderabgaben zu kassieren", sagte er noch im März der Fachpresse. "Das ist eine sehr gute Idee, die für den Kohlesektor vorteilhaft war."

Quelle: ntv.de, sba