Sturmtief tobt über Norddeutschland Zwei Tote durch "Norina"
12.07.2010, 21:18 Uhr
Elf Menschen wurden vom Tornado auf der Helgoländer Düne verletzt. Die Hauptinsel blieb verschont.
(Foto: dpa)
Das schwere Unwetter im Nordwesten Deutschlands fordert zwei Todesopfer und viele Verletzte. Über der Helgoländer Düne wütet ein Tornado, in NRW bricht der Bahnverkehr zusammen. Zum Wochenende hin soll es in ganz Deutschland wieder drückend heiß werden.
Im niedersächsischen Nordhorn ist eine Frau durch das Sturmtief "Norina" ums Leben gekommen. Am Tierpark der Stadt knickte infolge des Unwetters eine große Pappel um und stürzte auf ein Haus, in dem die 47-Jährige auf einer Radtour mit ihrem Hund Schutz vor dem Sturm gesucht hatte. In Köln kam eine 54-jährige Rollerfahrerin ums Leben, die sich in einer Unterführung untergestellt hatte und dort von einem Lastwagen erfasst wurde.
Etwa zur gleichen Zeit tobte ein Tornado über die Helgoländer Düne, eine dem Hauptfelsen vorgelagerte Badeinsel. Elf Menschen wurden nach Angaben der Feuerwehr verletzt, vor allem von umherfliegenden Strandkörben. Der Campingplatz wurde fast völlig verwüstet.
Auf dem kleinen Flugplatz kippte eine Propellermaschine um. "So etwas habe ich noch nicht erlebt", sagte der 63-jährige Wilfried Richters. Wie eine schwarze Wand raste das Unwetter gegen 15.30 Uhr heran. Der Wirt des Dünenrestaurants, Lutz Hardersen, berichtete von Strandkörben, die 100 Meter weit durch die Luft gewirbelt und völlig zerstört wurden.

Der 157 Meter lange Neubau eines Frachtschiffes auf der Werft im Hafen von Leer hat sich von der Pier losgerissen und in einen Werftkran verkeilt.
(Foto: dpa)
Im ostfriesischen Hafen Leer richtete das Unwetter Schäden von etwa einer Million Euro an. Sturmböen mit bis zu 110 Stundenkilometern rissen einen Schiffsneubau los. Der Frachter stellte sich im Hafen quer und krachte gegen die Werftanlage. Dadurch sprang ein Kran aus den Schienen, stürzte um und fiel auf das Schiff und zwei Dächer.
Bahn in NRW blockiert
Auch die Bahn war von dem Unwetter am Montagnachmittag betroffen. In Nordrhein-Westfalen kam der Bahnverkehr auf wichtigen Strecken fast vollständig zum Erliegen. Ein Bahnsprecher in Düsseldorf berichtete von "massiven Störungen" wegen Blitzeinschlägen und Bäumen auf der Strecke. Betroffen sind der Fern- und Nahverkehr sowie alle S-Bahnlinien an Rhein und Ruhr. Auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof standen die Reisenden am Nachmittag in dichten Trauben auf den Bahnsteigen und warteten auf Züge. "Zur Dauer der Störungen können wir noch keine Angaben machen", teilte die Bahn mit.
In Niedersachsen wurde die Strecke von Rheine nach Emden ebenso gesperrt wie die Bahnstrecke von Oldenburg nach Osnabrück. Zahlreiche Bäume waren in die Oberleitungen gestürzt. Wegen eines Defekts in einem Stellwerk war der Zugverkehr zwischen Hamburg und Sylt unterbrochen. Betroffen waren allein dort rund 2000 Reisende.
Bäume auf Straßen, Stromausfall
Viele Straßen im westlichen Niedersachen sind wegen umgestürzter Bäume blockiert. Zum Teil fielen auch Strom, Telefon und Internetzugang aus. Von einer Brückenbaustelle an der Autobahn 30 löste sich die Bauverschalung samt Eisenbewehrung. Einige Eisenstangen schlugen durch die Frontscheibe eines Autos. Der 34 Jahre alte Fahrer und seine 22 Jahre alte Beifahrerin wurden nach Polizeiangaben nur leicht verletzt.
In zahlreichen Ortschaften an Rhein und Ruhr flogen Dachziegel durch die Luft, Bäume knickten um, Starkregen setzte Straßen unter Wasser. Allein in Aachen wurden acht Menschen leicht verletzt. In Mönchengladbach wurde eine Schulklasse während eines Ausflugs in einem Park von dem Unwetter überrascht. Vier Kinder wurden von herabfallenden Ästen leicht verletzt.
Allein im Kreis Steinfurth in Nordrhein-Westfalen verzeichnete die Polizei innerhalb von 70 Minuten rund 200 Notrufe, in Oberhausen zählten die Beamten mehr als 100 Sturmeinsätze, in den niedersächsischen Landkreisen Emsland und Grafschaft Bentheim waren es über 500.
Auch in Baden-Württemberg kam es zu heftigen Gewittern. In Waldkirch in Südbaden wurde die längste Röhrenrutschbahn Europas von umstürzenden Bäumen zerstört.
Blasen im Asphalt
Auf der A20 bei Rostock bildeten sich Blasen im Asphalt. Betonplatten verschoben sich auf der A7 bei Seesen in Niedersachsen. Bei einem Tempolimit von 40 Stundenkilometern musste der Verkehr an diesen Stellen mehrere Tage auf den Standstreifen umgeleitet werden.
Dem Frontensystem folgt zunächst eine leichte Abkühlung, ab Mittwoch dann aber wieder ein Anstieg der Tagestemperaturen auf 29 Grad im äußersten Norden und 36 Grad im Süden. Ein Ende der Hitzewelle ist nicht in Sicht. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes dürfte der Juli deutlich zu warm ausfallen. Die Naturschutzorganisation WWF wies auf neue Daten der NASA hin, wonach bereits die ersten sechs Monate die wärmste erste Jahreshälfte seit 130 Jahren waren.
Bauern fürchten Notreife
Die Hitze macht auch der Landwirtschaft zu schaffen. Der Deutsche Bauernverband wies darauf hin, dass es auf den Getreidefeldern bundesweit Anzeichen für eine sogenannte Notreife gebe - die Körner in den Ähren bleiben dann wesentlich kleiner.

Der Dampfer "Dresden" unterhalb der Brühlschen Terrasse. Wenn der Pegel weiter sinkt, könnte der Schiffsverkehr Probleme bekommen.
(Foto: APN)
Auf der Elbe haben die Schiffe immer weniger Wasser unterm Kiel: Statt der üblichen zwei Meter wurde in Dresden ein Pegelstand von 85 Zentimetern gemessen.
Berlin heiß wie Madrid
Mit Trockenheit und Hitze nimmt die Waldbrandgefahr zu. Auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Jüterbog (Teltow-Fläming) standen die Bäume auf einer Fläche von rund 100 Hektar teilweise bis zu den Wipfeln in Flammen, wie der Leiter der Oberförsterei Jüterbog, Norbert Schurk, mitteilte. Die Löscharbeiten gestalteten sich wegen alter Munition äußerst schwierig.
Bei Temperaturen von 35 bis 38 Grad herrscht in Berlin ein Klima wie sonst nur in den Hauptstädten südeuropäischer Länder. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit rief die Berliner auf, besonders auf alte Menschen und Kinder zu achten und sie vor zu viel Hitze und Anstrengung zu schützen.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/AFP