Russen ziehen die Schlinge zu Bachmut droht die Einkesselung
28.02.2023, 19:48 Uhr
Orts- und Häuserkampf gegen einen Feind, der keine Rücksicht auf eigene Verluste nimmt: Ukrainische Verteidiger in Bachmut.
(Foto: via REUTERS)
Im Osten der Ukraine stehen die Ukrainer vor schweren Entscheidungen: Die Lage in der heftig umkämpften Stadt Bachmut wird immer heikler. Russische Vorstöße nähern sich der letzten freien Verbindungsstraße. Übersichtskarten zeigen die aktuelle militärische Lage.
Die Schlacht um Bachmut erreicht die entscheidende Phase: Nach monatelangem Artilleriebeschuss und unablässigen Angriffen am Boden haben russische Truppen die einst rund 75.000 Einwohner zählende Stadt am Rand des Donbass von drei Seiten umschlossen. In verlustreichen Vorstößen nähern sich russische Stoßtrupps der letzten offenen Verbindungsstraße.
Die Lage rings um Bachmut im Osten der Ukraine sei "extrem angespannt", heißt es. Russische Wagner-Söldner versuchten, die Stadt einzukesseln, teilte der Kommandeur der ukrainischen Verteidiger vor Ort, Olexandr Syrskji, mit. "Trotz erheblicher Verluste hat der Feind die am besten vorbereiteten Angriffseinheiten von Wagner eingesetzt", zitierte das ukrainische Militär den Generaloberst. Die Wagner-Einheiten versuchten, die Verteidigung zu durchbrechen und die Stadt einzukesseln, sagte Syrskji.
Schwere Gefechte gibt es übereinstimmenden Berichten zufolge sowohl bei Ivanivske im Westen des Bachmuter Stadtzentrums als auch im Nordwesten der Stadt bei der Siedlung Jahidne. Auch im Stadtgebiet von Bachmut selbst wird intensiv gekämpft. Dort sind russische Angriffsspitzen in den vergangenen Tagen in brutalen Häuserkämpfen in der Osthälfte von Bachmut näher an den Fluss Bachmutka herangerückt. Auch von Norden her sind russische Einheiten bereits ins Stadtgebiet eingedrungen.

Blick auf Bachmut, topografische Karte: Links unten Ivanivske, in der Mitte die letzte offene Straße durch Khromowe, links oben: Jahidne.
(Foto: Kartendaten: © OpenStreetMap-Mitwirkende, SRTM | Kartendarstellung: © OpenTopoMap (CC-BY-SA))
Russland habe seine Streitkräfte im Gebiet um Bachmut verstärkt, teilte das ukrainische Militär mit. Russische Artillerie beschieße rund um die Stadt gelegene Siedlungen. "Am vergangenen Tag haben unsere Soldaten mehr als 60 feindliche Angriffe abgewehrt", erklärte ein Sprecher des ukrainischen Generalstabs an diesem Dienstagmorgen in Bezug auf Bachmut und Umgebung.
Problematisch für die Verteidiger sind insbesondere die jüngsten Erfolge der Russen im Norden und Nordwesten von Bachmut: Die von den Wagner-Einheiten behauptete Einnahme der Siedlung Jahidne - in Friedenszeiten nicht viel mehr als ein Straßendorf mit gut einem Dutzend Häusern - eröffnet den Russen einen Zugang zu den Höhenzügen im Westen der Stadt. Die Lage vor Ort ist unklar. Russische Angriffe auf die Dörfer Jahidne und Berchiwka an den nördlichen Zugängen zu Bachmut seien zurückgestoßen worden, hieß es zuletzt aus Kiew.
Letzte Lebensader Richtung Tschassiw Jar
Wenn sich die russischen Stoßtruppen in Jahidne festsetzen könnten, wäre die Verteidigung der Ortsverbindungsstraße durch Khromowe weiter südwestlich enorm erschwert: Schon jetzt sind Nachschublieferungen und Verwundetentransporte nur noch unter Gefechtsbedingungen möglich. Der ukrainische Militärexperte Oleh Schdanow sagte mit Blick auf die Situation im Nordwesten Bachmuts, die russischen Truppen hätten einen Keil zwischen Jahidne und Berchiwka getrieben. Zugleich bemühten sie sich, die Straße nach Westen Richtung Tschasiw Jar abzuschneiden. "Der südliche Teil von Bachmut ist das einzige Gebiet, das als unter ukrainischer Kontrolle stehend bezeichnet werden kann. In allen anderen Gebieten ist die Situation unvorhersehbar", sagte Schdanow. "Es ist unmöglich zu sagen, wo die Frontlinie verläuft."
Die Sorge ist groß, dass neue russische Attacken den letzten Ausweg aus dem Talkessel von Bachmut abschneiden könnten. Schon jetzt liegt die Strecke über Khromowe Richtung Tschassiw Jar in Reichweite russischer Artilleriegranaten, ebenso wie das gesamte freie Hinterland von Bachmut. Die breitere Kreisstraße T0504, die von Tschassiw Jar kommend durch Ivanivske nach Bachmut führt, ist dagegen durch die Nähe zur Frontlinie nicht mehr regulär passierbar: Hier haben sich russische Einheiten teils bis auf Sichtweite vorgearbeitet. Auf der Straße droht damit direkter Beschuss durch russische Granatwerfer, Panzer, Scharfschützen und Maschinengewehre.
In der Region im Osten der Ukraine herrscht derzeit Tauwetter - Rasputiza, wie die Ukrainer sagen. Die Straßen werden zu Schlammpisten. Flüsse und Felder verwandeln sich in Sümpfe. Dazu kommt die allgegenwärtige Gefahr durch Minen. "Beide Seiten bleiben in ihren Stellungen", sagte Mykola, der Kommandant einer ukrainischen Raketenwerferbatterie an der Front, einem Reuters-Reporter. "Frühling bedeutet Schlamm. Daher ist es unmöglich, sich vorwärts zu bewegen." Und so sind etliche Militärfahrzeuge zu sehen, die stecken geblieben sind.
"In Richtung Bachmut wird die Situation immer komplizierter", fasste der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Lage zuletzt in seiner abendlichen Videoansprache zusammen. "Der Feind zerstört ständig alles, was zur Verteidigung unserer Stellungen, zu ihrer Befestigung und Verteidigung dienen kann", sagte er über die Kämpfe in Bachmut. Die ukrainischen Soldaten, die die Stadt seit einem halben Jahr verteidigen, nannte er "wahre Helden".
Die Ukrainer kämpfen mit russischen Wagner-Söldern um jedes Haus. Die russischen Angriffe auf die Stadt begannen im vergangenen Sommer. Bisher konnten die Verteidiger alle Versuche abwehren, die Stadt einzunehmen oder zu umschließen. Wie lange sich die Ukrainer dort jetzt noch halten können, ist jedoch unklar.
Quelle: ntv.de, mit dpa und rts