Staatsakt im Bundestag Bas: Schäuble war "der vollendete Staatsdiener"
22.01.2024, 16:00 Uhr Artikel anhören
Zum Gedenken an den verstorbenen CDU-Politiker Schäuble findet ein Trauerstaatsakt im Bundestag statt. Parlamentspräsidentin Bas, CDU-Chef Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erinnern an den im Dezember verstorbenen Politiker und würdigen dessen Lebenswerk.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat ihren an Weihnachten im Alter von 81 Jahren gestorbenen Vorgänger Wolfgang Schäuble gewürdigt. "Deutschland verliert einen großen Demokraten und Staatsmann. Europa einen Vordenker. Und Frankreich einen besonderen Freund", sagte die SPD-Politikerin in einem Trauerstaatsakt im Bundestag in Berlin. Unionsfraktionschef Friedrich Merz sagte: "Wir verneigen uns vor einem wahren Staatsmann unseres Landes, vor einem europäischen Staatsmann, vor einem streitbaren Demokraten, vor einer prägenden Persönlichkeit der jüngeren Geschichte unseres Landes. Danke, Wolfgang Schäuble."
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hielt seine Rede weitgehend auf deutsch. "Wenn heute ein Franzose im Bundestag zu hören ist, dann ist dies auch der Freundschaft dieses großen Deutschen zu verdanken." Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag trage Schäubles Handschrift, betonte Macron. "Nur wenn Deutschland und Frankreich an einem Strang ziehen, können oft schwierige Fragen gelöst werden", zitierte der französische Präsident den Verstorbenen. Die "untrennbare Verbindung" zwischen Deutschland und Frankreich sei die Formel, durch die die beiden Länder nach dem Zweiten Weltkrieg aufblühen konnten. "Nehmen wir dieses Erbe an, seien wir auf der Höhe der Aufgabe."
Für Schäuble sei die europäische Einigung ein Friedensprojekt gewesen, "die Lehre aus der deutschen Geschichte", sagte Bas weiter. Dass der Staatsakt zu Schäubles Ehren am Jahrestag des Élysée-Vertrages zur Aussöhnung der beiden einstigen Kriegsgegner Deutschland und Frankreich stattfinde, "hätte ihm gefallen", sagte Bas.
Der Vertrag war vor 61 Jahren unterzeichnet worden, er gilt bis heute als Grundlage der deutsch-französischen Freundschaft. Schäuble sei die deutsch-französische Freundschaft ein besonderes Anliegen gewesen, erinnerte Bas. So habe er auf den Tag genau vor sechs Jahren in der französischen Nationalversammlung gesprochen und für eine gemeinsame Kammer mit dem Bundestag geworben. Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung sei "sein Vermächtnis für die deutsch-französische Freundschaft. Dafür werden ihm die Abgeordneten in beiden Ländern immer dankbar sein."
Auch Merz erinnerte daran, dass Schäuble die Zusammenarbeit mit Frankreich besonders wichtig gewesen sei. "Er wusste um die historische Bedeutung und um unsere besondere Verantwortung zusammen mit Frankreich." Schäuble sei nie müde geworden, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Deutschland "Verantwortung in und für Europa" habe, aber auch Vertrauen in Europa brauche. "Dieses Vertrauen muss sich Deutschland immer wieder und beständig erarbeiten, verbunden mit der Bereitschaft, Führungsverantwortung zu übernehmen", sagte er weiter.
"Er machte weiter. Für die Demokratie. Für dieses Land."
Dem Bundestag und ihr selbst sei "sein Vermächtnis ein Ansporn und eine Verpflichtung, die Partnerschaft unserer beiden Länder zu vertiefen", sagte Bas. Politische Rückschläge und persönliche Schicksalsschläge habe Schäuble weggesteckt, sagte Bas - seit dem Attentat eines geistig verwirrten Mannes auf ihn im Oktober 1990 saß Schäuble im Rollstuhl. "Er machte weiter. Für die Demokratie. Für dieses Land. Und er hat Historisches vollbracht", erinnerte sie an die Leistungen Schäubles als Architekt der Deutschen Einheit.
Schäuble sei "der vollendete Staatsdiener" gewesen - "immer galt für ihn: erst das Amt, dann die Person. Zum Schluss war er zu einer Instanz geworden - über Parteigrenzen hinweg", sagte Bas. Schäuble habe zudem gewusst: "Unsere Demokratie ist nicht selbstverständlich. Sie ist es wert, verteidigt zu werden. Und sie muss verteidigt werden."
Merz erinnerte daran, Schäuble konnte "in der Sache sehr hart sein, und das hat ihm - zum Beispiel in der Finanzkrise - nicht nur Freunde eingetragen". Für seinen Kurs in der Griechenland-Krise war er aus Athen scharf kritisiert worden. "Aber sein Umgang war immer fair, er war immer bereit, seinem Gegenüber respektvoll zuzuhören, und war immer bereit, im Interesse Europas Kompromisse zu machen."
Auch Macron erinnerte an Schäubles Agieren in jener Krise. "Er wurde nicht immer verstanden, manchmal auch in Frankreich nicht", räumte er ein. Schäuble habe die Interessen Deutschlands verteidigt, aber dabei immer gewusst, "dass in Europa niemand danach streben sollte, an der Spitze zu stehen".
Der frühere Kanzleramtschef, Bundesinnen- und Finanzminister, CDU-Vorsitzende und Bundestagspräsident Schäuble war am zweiten Weihnachtstag im Alter von 81 Jahren nach langer Krankheit in seiner Heimatstadt Offenburg gestorben. Dort wurde er auch beigesetzt. Schäuble gehörte dem Bundestag 51 Jahre lang an - länger als jede und jeder andere in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus.
An dem Trauerstaatsakt nahmen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dessen Vorgänger Joachim Gauck, Christian Wulff und Horst Köhler teil. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz war unter den Teilnehmern, ebenso seine Vorgängerin Angela Merkel.
"Unsere Welt vorangebracht"
Zuvor hatte es bereits einen Gedenkgottesdienst im Berliner Dom gegeben. Die evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs würdigte dabei die Vorbildfunktion Schäubles. Mit seinem "Hoffnungsmut" habe er unglaublich vielen Menschen Kraft gegeben, sagte die amtierende EKD-Ratsvorsitzende. "Es gibt Schweres, ja, Rollstühle, Barrieren, Grenzen aller Art, aber nichts, woraus man nicht das Beste machen könnte." Bis zum Ende sei Schäuble so gewesen. "Wir danken Gott für diesen über alle Maßen prägenden Politiker und hingebungsvollen Demokraten, wir danken Gott für diesen großartigen Menschen."
Fehrs nannte den Gestorbenen einen "imponierenden Antipopulisten", wie sie gerade in diesen Zeiten gebraucht würden. "Ein Antipopulist und zugleich Mensch, der sich ganz und gar, mit all seiner Kraft, Leidenschaft und Hingabe in den Dienst unseres Gemeinwesens und unserer Demokratie gestellt hat. Und dem mit seiner Willenskraft so vieles gelang. Wie würde unser Land jetzt aussehen, wenn nicht ein so weitsichtiger Politiker wie er den deutschen Einigungsvertrag ausgehandelt hätte?"
Am Gottesdienst nahmen neben der Familie Schäubles die Spitzen der fünf Verfassungsorgane teil, voran Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Außerdem waren zahlreiche politische Weggefährten gekommen. Auf den Stufen zum Altar stand vor einem Weihnachtsbaum ein großes Schwarz-Weiß-Porträt des Verstorbenen. Im Gottesdienst wies Bischöfin Fehrs auf Schäubles Fähigkeit zur Selbstironie, seine sagenhafte Präsenz, seine Disziplin, seinen Intellekt "und seinen Scharfsinn, der auch Schärfe kannte", hin.
Schäuble werde fehlen - seiner Familie, seinen Freunden, seinen Weggefährtinnen und Weggefährten. "An Tagen wie diesen merken wir, was fehlt, aber auch, was bleibt: Mit großer Dankbarkeit werden wir gewahr, wie viel Gutes Wolfgang Schäuble für unser Land, unsere Welt vorangebracht hat", sagte Fehrs.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa/AFP