Angehörige durchleiden Qualen Breivik-Prozess reißt tiefe Wunden
16.04.2012, 16:52 Uhr
Für die Angehörigen, aber auch für viele Prozessbeobachter, ist der Auftakt der Verhandlung der Taten von Oslo und Utøya nur schwer zu ertragen. In aller Drastik werden die Bilder des vergangenen Sommers wieder präsent. Im Gerichtssaal fließen Tränen. Doch auch das Auftreten und die Haltung des Massenmörders Breivik zu seinen Taten schockieren Norwegen.

Breivik provoziert und erkennt das Gericht nicht an, weil Norwegen den "Multikulturalismus unterstützt".
(Foto: REUTERS)
In Oslo ist der erste Tag im Prozess gegen den norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik zu Ende gegangen. Die Prozessbeteiligten mussten grausame Details der Taten und schmerzhafte Provokationen des 33-Jährigen hinnehmen. Der rechtsradikale Islamhasser plädierte gleich zu Beginn auf "nicht schuldig" und sagte, er habe in Notwehr gehandelt.
Breivik, der in schwarzem Anzug mit hellbrauner Seidenkrawatte erschien, muss sich für den Tod von 77 Menschen verantworten. Die Verlesung der Anklageschrift und der Opferliste verfolgte Breivik ohne emotionale Regung. Für die Angehörigen seiner Opfer wurden die Schrecken des vergangenen Sommer noch einmal lebendig.
Breivik nutzt Prozess als Plattform
"Ich gebe die Taten zu, bekenne mich aber nicht strafschuldig", sagte Breivik, der nach Betreten des Gerichtssaales mit geballter Faust einen rechtsradikalen Gruß zeigte. So oft wie möglich ergriff Breivik das Wort: Das Gericht erkenne er nicht an, weil es von Parteien eingesetzt sei, die den Multikulturalismus unterstützten, sagte er gleich zu Beginn. Außerdem sei die Richterin nicht unabhängig.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Norweger vor, im Juli 2011 im Osloer Regierungsviertel mit einer Autobombe acht Menschen getötet zu haben. Anschließend habe er auf der Insel Utøya gezielt 69 Teilnehmer eines Feriencamps für junge Sozialdemokraten umgebracht. Breivik ist wegen Terrorismus' und vorsätzlichen Mordes angeklagt.
Ist Breivik schuldfähig?
Der Prozess, der als der größte der norwegischen Geschichte eingeordnet wird, wurde für die Angehörigen live in 17 Gerichtssäle in ganz Norwegen übertragen. Fernsehsender wie NRK, BBC und CNN zeigten ihn weltweit. Mehr als 800 Medienvertreter von mehr als 220 Redaktionen sind akkreditiert.
Im Mittelpunkt des Prozesses steht vor allem auch die Frage nach der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Für seine Terrorakte könnte Breivik 21 Jahre lang ins Gefängnis kommen - oder, falls ihn das Gericht für geisteskrank erklärt, in die geschlossene Psychiatrie.
Staatsanwältin Inga Bejer Engh verlas zu Beginn eindrücklich und fast monoton die Namen der 77 Todesopfer. Aufgelistet wurden auch 42 der mehreren hundert Verletzten der beiden Anschläge. Sie nannte das Alter und führte detailliert die Verletzungen auf, die jedes einzelne der Opfer erlitten hatte. Auf der Insel Utøya tötete Breivik ihren Ausführungen zufolge 67 Menschen durch Schüsse, ein Opfer erlag auf der Flucht vor dem Mörder seinen Schussverletzungen, ein weiteres Opfer ertrank.
Details der Taten für viele kaum zu ertragen
Prozessbeobachter berichten, wie bereits der erste Verhandlungstag die Überlebenden des Massakers und die Angehörigen der Opfer extrem mitgenommen hat. So sei ein junges Mädchen in der Prozesspause zusammengebrochen und musste betreut werden. Während Bejer Engh die Anklage verlas, kamen vielen im Gerichtssaal die Tränen.
Die Überlebenden der beiden Attentate mussten ihre wohl schrecklichsten Momente noch einmal durchleben, andere hörten, wie ihre Angehörigen starben. Auch am Dienstag, wenn Breivik erstmals selbst über seine Motive sprechen darf, sind schockierende Aussagen zu erwarten.
Schockierend wurde es vor allem, als die Staatsanwälte eine Tonaufnahme vorspielten, auf der ein Mädchen auf Utøya die Polizei um Hilfe ruft. Im Hintergrund sind Schüsse zu hören. Während des Telefonats starben nach Angaben der Anwälte wahrscheinlich 14 Menschen.
An dieser Stelle kamen vielen Angehörigen der Opfer, die den Prozessauftakt größtenteils gefasst verfolgten, die Tränen. Ein junges Mädchen brach in einer Prozesspause zusammen und musste behandelt werden. Vor allem in den kommenden fünf Tagen, wenn Breivik selbst seine Motive erklären darf, erwarten die Angehörigen schockierende Aussagen.
Lippestad pocht auf Aussagerecht
Staatsanwalt Svein Holden berichtete über Breiviks Vorbereitungen für die Attentate und rekonstruierte minutengenau die Bombenexplosion in Oslo wie auch das Massaker auf Utøya. Dabei ging er auch auf das rund 1500 Seiten umfassende Manifest des Rechtsradikalen ein, in dem dieser vor einer Islamisierung Europas warnt. Als Holden einen von Breivik selbstproduzierten Videofilm vorführte, begann der Attentäter zu weinen.
Breiviks Weltbild sei schwer zu verstehen, betonte sein Verteidiger Geir Lippestad. Daher sei es umso wichtiger, dass der 33-Jährige seine Taten selbst erklären dürfe. "Er hat ein fundamentales Recht auszusagen", sagte Lippestad. Breiviks eigene Worte seien das wichtigste Beweismittel auch in der Frage, ob der Attentäter zurechnungsfähig oder geisteskrank sei.
Für die Norweger reißt der zehnwöchige Prozess in Oslo die Wunden aus dem vergangenen Sommer wieder auf. Viele befürchten, Breivik könnte mit seinen rassistischen Aussagen zum Mythos werden. Denn Breivik darf fünf Tage lang selbst über seine Motive und Ideologie sprechen. Verteidiger Lippestad kündigte an, sein Mandant wolle die Taten nicht nur verteidigen, sondern bedauern, dass er nicht noch weiter ging. Die Staatsanwälte Bejer Engh und Svein Holden dagegen wollen versuchen, Breiviks Aussagen auf das absolut wichtigste zu begrenzen und so Hinterbliebene und Opfer zu schützen. Dass die Aussagen dennoch schockierend sein werden, ist zu erwarten.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa