Politik

Terroranschlag vor 20 Jahren Das Blutbad auf Bali schmerzt bis heute

Oktober 2002: Autos und Gebäude brennen nach dem Sprengstoffanschlag auf zwei gut besuchte Nachtclubs auf Balis Amüsiermeile Jalan Legian.

Oktober 2002: Autos und Gebäude brennen nach dem Sprengstoffanschlag auf zwei gut besuchte Nachtclubs auf Balis Amüsiermeile Jalan Legian.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Horrorszenario in der Urlaubsidylle: Vor 20 Jahren zünden Islamisten auf Bali mehrere Bomben. Dabei sterben 202 Menschen, darunter 6 Deutsche. Die Überlebenden kämpfen bis heute mit den Folgen. Doch der 2012 verurteilte Bombenbauer soll bald freikommen.

Die Detonation ist ohrenbetäubend. Dann wird alles dunkel. Irgendjemand holt Thiolina Marpaung aus dem brennenden Auto. Wer, das weiß sie bis heute nicht. "Eine starke Hand" sei das gewesen, sagt die Indonesierin. "Tolong!" (Hilfe!) schreit sie wieder und wieder, während sie durch das Chaos von Toten und Verletzten vor dem Sari Club im Ferienort Kuta läuft. Sehen kann sie nichts, in ihren Augen stecken überall Glassplitter von der Windschutzscheibe. Schließlich packt sie ein Mann in ein Auto und fährt sie in eine Klinik auf Bali. Er habe Englisch gesprochen, das ist alles, was die 49-Jährige über ihren Retter weiß.

Auf dem Bali Bombing Monument sind die Namen der Toten verewigt - auch die deutsche Flagge weht dort: Sechs Deutsche waren unter den Todesopfern.

Auf dem Bali Bombing Monument sind die Namen der Toten verewigt - auch die deutsche Flagge weht dort: Sechs Deutsche waren unter den Todesopfern.

(Foto: picture alliance/dpa/AAP)

Nach vielen Operationen unter anderem im australischen Perth und langen Monaten, in denen sie fast blind war, kann Marpaung heute wieder einigermaßen sehen - aber die Narben auf ihren Armen und im Gesicht und die Wunden auf ihrer Seele erinnern die Verlagsredakteurin bis heute täglich an jene grauenvolle Nacht vor 20 Jahren. "Es ist hart, bis heute. Ich kann kaum glauben, dass das schon so lange her ist", sagt sie und schaut nachdenklich auf die Gedenkstätte, auf der die Namen der 202 Todesopfer verewigt sind.

Ferngezündete Bomben

Es war der 12. Oktober 2002, ein Samstag. Um 23 Uhr tobt auf der Legian Road das Leben. Autos kommen nur im Schritttempo voran. Im Sari Club und anderen Lokalen vergnügen sich Touristen aus aller Welt. Dann verwandeln radikale Islamisten die Urlaubsfreude in ein Horrorszenario: Mit ferngezündeten Bomben legen sie zwei Nachtclubs in Schutt und Asche. 202 Menschen sterben, Hunderte weitere werden verletzt. Die meisten Opfer gibt es im und um den Sari Club, der völlig zerstört wird. Auch sechs Deutsche sind unter den Toten.

Thiolina Marpaung zeigt auf die Stelle, an der 2002 die Autobombe vor dem Sari Club detonierte.

Thiolina Marpaung zeigt auf die Stelle, an der 2002 die Autobombe vor dem Sari Club detonierte.

(Foto: picture alliance/dpa)

"Der Anschlag hat bei mir gleich mehrere Traumata ausgelöst, etwa wenn ich im Stau stehe, so wie damals, als hier die Autobombe hochging", sagt Marpaung und zeigt auf die Stelle in der Legian Road, wo es passierte. Sie saß in einem Auto nur wenige Meter dahinter. Die Menschen in den Fahrzeugen vor ihr seien alle ums Leben gekommen, erzählt sie. Auch die Sirenen von Krankenwagen und der Geruch von Krankenhäusern lösen bis heute starke Emotionen aus.

Gegen das Vergessen

Damit die Opfer, die Überlebenden und die betroffenen Familien nicht vergessen werden, engagiert sie sich seit 2012 für die Isana Dewata Foundation. Diese setzt sich unter anderem für die Einrichtung eines "Peace Park" an der Stelle ein, an der einst der Sari Club stand. Heute klafft dort ein leeres Grundstück. Jedoch sei dies bislang daran gescheitert, dass das Land Privatbesitz einer javanisch-chinesischen Familie sei, sagt Marpaung. Sie lässt nicht locker und hat sich auch schon direkt mit einem Brief an Präsident Joko Widodo gewandt.

Australische Fahne mit Porträts der Opfer des Terroranschlags von 2002 auf Bali am Bombing Monument: Das Land hatte besonders viele Todesopfer zu beklagen.

Australische Fahne mit Porträts der Opfer des Terroranschlags von 2002 auf Bali am Bombing Monument: Das Land hatte besonders viele Todesopfer zu beklagen.

(Foto: picture alliance/dpa/AAP)

88 Australier starben im Ferienort Kuta. Keine Nation hat bei dem Blutbad mehr Landsleute verloren. Einer, der schwer verletzt überlebte, ist Antony Svilicich. Aber sein Leben hing monatelang an einem seidenen Faden. "Etwa 60 Prozent meines Körpers waren verbrannt, zudem hatte ich eine Hirnschwellung, Splitterwunden und Hörverlust auf dem linken Ohr", sagt der 46-Jährige. Mehr als 40 Tage lang wurde er damals ins künstliche Koma versetzt. Insgesamt musste er fast 30 Operationen über sich ergehen lassen und mühselig wieder lernen zu laufen.

"Physisch bin ich heute relativ okay, aber ich leide noch immer unter den psychischen Folgen", sagt er. 2013 sei bei ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert worden. "Ich arbeite daran und probiere verschiedene Techniken aus, um die Panikattacken und Angstzustände zu bewältigen." Er sei sich bewusst, dass sein Leben nie mehr so sein werde wie vorher, "aber ich habe meinen Frieden mit jenem Tag gemacht, und das Leben geht weiter". Seine Erlebnisse und den langen Weg zurück ins Leben hat er in einem gerade erschienenen Buch mit dem Titel "Phoenix Rising" verarbeitet.

Radikalislamisten bekannten sich zur Tat

Am 17. August erhielt der verurteilte Terrorist Umar Patek während einer Zeremonie im Porong-Gefängnis auf Java sein Schreiben zur Strafminderung.

Am 17. August erhielt der verurteilte Terrorist Umar Patek während einer Zeremonie im Porong-Gefängnis auf Java sein Schreiben zur Strafminderung.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Zu der Tat bekannte sich die radikalislamische Gruppe Jemaah Islamiyah, die Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Kaida hatte. Über die Jahre haben die Ermittler viele der Drahtzieher und Hintermänner festgenommen. Einige sind bereits wieder auf freiem Fuß, wegen guter Führung und weil es das indonesische Rechtssystem so vorsieht. Und ein weiterer wird vermutlich bald folgen: der mutmaßliche Bombenbauer Umar Patek.

Lange einer der meistgesuchten Terroristen der Welt, wurde er 2011 in Pakistan gefasst und im Juni 2012 in Indonesien zu 20 Jahren Haft verurteilt. Als im August bekannt wurde, dass er nach einer Reihe von Strafnachlässen das Gefängnis bald auf Bewährung verlassen würde, kam es speziell in Australien zu einem wütenden Aufschrei. Ministerpräsident Anthony Albanese sagte, eine vorzeitige Freilassung Pateks werde sich verheerend auf die Angehörigen der Toten auswirken. Er kündigte an, Kontakt zur indonesischen Regierung aufzunehmen.

Schock über baldige Bombenbauer-Freilassung

Der Wirbel hat Wirkung gezeigt - bisher. Noch sitzt der Terrorist in Haft. "Es war schrecklich, von seiner möglichen Freilassung zu erfahren", sagt Svilicich. Dass Umar Patek seine extremistische Vergangenheit bedauert, wie die indonesischen Behörden betonen, glaubt er nicht. "Das sagt er nur, damit er aus dem Gefängnis kommt", ist der Australier überzeugt. "Die indonesische Justiz fühlt nicht mit den Opfern dieses barbarischen Angriffs auf unschuldige Zivilisten, sie streut nur Salz in die Wunden."

Auch Thiolina Marpaung war schockiert von der Nachricht der bevorstehenden Begnadigung. "Ich habe daraufhin ein Radio-Interview gegeben und den Behörden gesagt, sie sollen ihre Regeln überdenken", sagt sie. Umar Patek sei immer noch eine Bedrohung. Terroristen müssten anders behandelt werden als gewöhnliche Kriminelle. "Er wurde zu 20 Jahren verurteilt und soll nun nach 10 wieder freikommen. Ich wurde wie so viele andere durch den Anschlag zu lebenslänglich verurteilt", sagt sie, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie befürchtet, dass Patek nach dem 20. Jahrestag des Attentats und dem Mitte November auf Bali anstehenden G20-Gipfel doch noch freikommen wird.

Zum runden Jahrestag der Bluttat hat Marpaung mit ihrer Stiftung eine große Gedenkveranstaltung am Monument für die Opfer organisiert. Das Denkmal steht in unmittelbarer Nähe des Anschlagsortes. Davor liegen zwei Blumensträuße. Touristen betrachten still die Tafel mit den Namen der 202 Toten. "Ich würde so gerne wissen, wer mich damals gerettet hat", sagt Thiolina Marpaung. "Ich möchte ihm danke sagen. Ich hoffe, er hat ein erfülltes Leben."

Quelle: ntv.de, Carola Frentzen, dpa

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