Experte Meister im Interview "Der Gipfel hat uns dem Frieden keinen Millimeter nähergebracht"
19.08.2025, 15:40 Uhr Artikel anhören
Die Europäer haben erfolgreich Einigkeit demonstriert, sagt Stefan Meister. Aber sonst? Bleibt nicht viel.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Nach dem Gipfel von Washington keimt Hoffnung auf – könnte es nun eine Chance auf Frieden in der Ukraine geben? Russland- und Osteuropa-Experte Stefan Meister sieht das nicht so. Sein Blick auf das Treffen im Weißen Haus ist ernüchternd.
ntv.de: Herr Meister, war das Treffen im Weißen Haus ein Erfolg auf dem Weg zu einem gerechten Frieden?
Stefan Meister: Nein, das war es nicht. Es war sicher ein Erfolg für die Demonstration europäischer Einheit und die Unterstützung der Ukraine. Aber es hat uns keinen Millimeter näher an ein Friedensabkommen oder eine sonstige Vereinbarung zur Beendigung dieses Krieges gebracht. Wir haben überhaupt nicht die Situation dafür oder ein Interesse auf russischer Seite daran.
Wo stehen wir jetzt nach dem Treffen mit Putin in Alaska und diesem Gipfel im Weißen Haus?
Da wird gerade etwas verhandelt, das Donald Trump gerne möchte. Das aber nichts mit der Realität an der Frontlinie und den russischen Interessen zu tun hat. Putin spielt auf Zeit, während seine Truppen weiter in der Ostukraine vorrücken. Die russische Führung meint, jetzt Durchbrüche an der Front erreichen zu können. Zugleich will Putin US-Sanktionen oder eine stärkere Hilfe für die Ukraine verhindern. Für mich sind das Fake-Verhandlungen, die vor allem Trumps Ego dienen und vom russischen Vormarsch ablenken sollen.
Was meinen Sie mit Dingen, die Trump gern hätte, aber nichts mit der Realität zu tun haben?
Trump hätte gern den Friedensnobelpreis und möchte sich als der große Friedensstifter präsentieren. Das hat aber nichts mit der Situation an der Frontlinie und den russischen Zielen zu tun. Wenn das Momentum für einen Waffenstillstand nicht da ist und Sie nicht bereit sind, den Aggressor unter Druck zu setzen, über Sanktionen oder mehr Militärhilfe, dann werden Sie dem Frieden keinen Millimeter näherkommen.
Trump bekannte sich aber zu Sicherheitsgarantien. Im Weißen Haus sagten die Europäer, das sei ganz wichtig gewesen. Finden Sie das nicht?
Ich habe von US-Seite nichts Konkretes gehört. Auch der Sondergesandte Steve Wittkoff und Außenminister Marco Rubio haben in Interviews dazu nur herumgeeiert. Möglicherweise gibt es da irgendetwas. Aber Konkretes habe ich bislang nicht gehört. Trump hat eines immer deutlich gemacht: Die USA werden sich in der Ukraine nicht militärisch engagieren. Ohne US-Truppen auf ukrainischem Territorium wird es aber keine glaubhafte Abschreckung Russlands geben.
Könnten nicht auch europäische Truppen in die Ukraine entsandt und von den USA durch ihren Nuklearschutzschirm geschützt werden?

Dr. Stefan Meister ist Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
(Foto: Stefan Meister/DGAP)
Die Europäer können Russland nicht glaubhaft abschrecken, weil sie gar nicht genug Truppen und die notwendige Ausstattung haben. Ohne US-Luftunterstützung, US-Geheimdienstaufklärung und Logistik sind europäische Armeen nicht in der Lage, dort einen Einsatz zu fahren. Ich möchte erstmal sehen, dass die USA da mitmachen. Möglicherweise sind die USA zu mehr bereit. Aber Trump hat gestern nichts Konkretes gesagt. Stattdessen hat er den Ball den Europäern zugeschoben, in dieser etwas eigenwilligen Show .
Eine wichtige Frage ist die Reihenfolge von Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Seit dem Treffen mit Putin sagt Trump, er wolle gleich Friedensverhandlungen, ohne vorherigen Waffenstillstand.
Auch das ist Teil von Putins Verzögerungstaktik. Putin hat sich auch hier zu 100 Prozent durchgesetzt. Er will den Krieg weiterführen, auf brutalste Art und Weise. Er will einen großen Gipfel mit Trump auf dem die Kapitulation der Ukraine entschieden wird. Davor wird er nicht aufhören. Also gibt es keinen Waffenstillstand. Und Trump hat dem zugestimmt.
Kann man mit Putin überhaupt verhandeln? Braucht es dafür nicht gegenseitiges Vertrauen?
Diesen deutschen Wunsch nach Verhandlungen um der Verhandlungen willen sehe ich sehr kritisch. Dieses "Sprechen ist besser als nicht Sprechen" hat Trump auf dem Alaska-Gipfel ins Absurde geführt. Dieses Prinzip Hoffnung ist nichts anderes als Realitätsverweigerung. Wir sehen ja, wie Trump Putin in Alaska legitimiert hat und ihn aus der diplomatischen Isolation geholt hat. Putin hat die Bühne genutzt und auf der Pressekonferenz drei Viertel der Zeit unwidersprochen seine Desinformation verbreiten können. Putin hat kein Interesse an Frieden. Er braucht den Krieg, auch innenpolitisch. Er hat das Gefühl, er kann weiter vorrücken und braucht keine Kompromisse zu machen. Demnächst werden die Festungsstädte im Donbass fallen. Er hat keinen Grund, zu verhandeln. Außer, um Zeit zu gewinnen.
Haben Sie das Gefühl, Trump ist Putin gewachsen?
Überhaupt nicht. Alaska war ein neuer Tiefpunkt der US-Diplomatie. Es ist schon schockierend, auf was für einem Niveau Trump mit Putin spricht und versucht, ihm zu schmeicheln. Putin hat die Agenda für den Gipfel gesetzt und sich bei allen Themen weitestgehend durchgesetzt. Dafür musste er gar nicht viel machen, sich nur mit Trump treffen. Auch von Sanktionen, die Trump angedroht hatte, ist keine Rede mehr. Trump hat ihm sogar noch gehuldigt. Putin war viel besser vorbereitet und hat viel smarter verhandelt als Trump.
Russland hat ein Angebot gemacht - die Front einfrieren, Gebietsaufgabe in der Oblast Donezk. Ist das ein Entgegenkommen?
Das ist vielleicht ein taktisches Entgegenkommen, aber wohl eher ein Scheinangebot. Putin hat natürlich ein Interesse, die Festungsstädte kampflos einzunehmen. Um dann weiter im Süden der Ukraine vorzustoßen. Mein Eindruck ist eher: Putin hat Bedingungen gestellt, die für die Ukraine nicht akzeptabel sind. Selenskyj könnte dem innenpolitisch gar nicht zustimmen. Putin geht davon aus, dass Trump eher Selenskyj unter Druck setzt und damit der ukrainische Präsident als derjenige dasteht, der keine Kompromisse machen möchte.
Wie könnte denn ein Kompromiss aussehen, wenn man bald Frieden möchte?
In keinem aktuellen Konflikt weltweit oder in der Geschichte bekommen Sie Frieden nur weil Sie Frieden möchten. Die Realität ist: Putin möchte diese Ukraine als Staat und Gesellschaft zerstören. Er möchte sie in seinen Einflussraum integrieren. Trump möchte schöne Bilder und den Friedensnobelpreis. Man muss Putin dazu zwingen, einem Waffenstillstand zuzustimmen. Alles andere ist Show. Das kann nur gelingen durch Aufrüstung der Ukraine, Sanktionen und Abschreckung Russlands mit Truppen on the ground. Gibt es das nicht, wird der Krieg weitergehen.
Warum sind Friedensverhandlungen komplett illusorisch?
Putin wird einem Friedensabkommen nur zustimmen, wenn die Ukraine de facto kapituliert. Das bedeutet eine Abrüstung der Ukraine, ein Regimechange, Abgabe von Territorien und keine Sicherheitsgarantien. Das sehe ich nicht, dafür ist die Ukraine dann doch noch militärisch zu stark. Auch Trump kann Selenskyj nicht dazu zwingen.
Kann die Ukraine einen Frieden ohne Gebietstausche oder -abtretungen erreichen?
Das Wort "Gebietstausch" ist eine russische Beschönigung, hier geht es um ukrainisches Territorium, was man abgeben soll. Die Ukraine wird auf absehbare Zeit bestimmte Territorien nicht mehr zurückerobern. Aber sie sollte sie de jure niemals aufgeben, auch nicht die Krim. Die ist zentral für die Machtprojektion in der Schwarzmeerregion. Das ist auch wichtig für die europäische Sicherheit. Die Frage ist doch, ob wir als Europäer bereit sind, mehr zu tun. Offenbar sind wir nicht bereit, die Ukraine dauerhaft so zu unterstützen, dass die Kosten zu hoch für Russland werden. Das stärkt Putin.
Sehen Sie Anzeichen der Ermüdung auf russischer Seite?
Die Russen haben natürlich massive Verluste in diesem brutalen Abnutzungskrieg. Aber die Chinesen haben ihre Hilfe massiv hochgefahren, auch Nordkorea wird mehr Soldaten schicken. Die Russen haben eine komplett andere Kostennutzenrechnung. Putin ist es egal, wie viele Menschen sterben. Entscheidend ist für ihn, das größere Reservoir an Menschen zu haben, die er in den Krieg schicken kann. Innenpolitisch hat er alles unter Kontrolle. Ich sehe keine Opposition im Regime, in der Elite, im Sicherheitsrat. Viele haben dort auch Vorteile vom Krieg. Insofern sehe ich keine Ermüdung, jedenfalls nicht in den kommenden ein, zwei Jahren.
Wann wäre nun ein trilaterales Treffen Trumps mit Putin und Selenskyj denkbar? Wird es nun bald Frieden geben?
Putin hat eigentlich immer gesagt, er werde Selenskyj nicht treffen. Insofern glaube ich nicht an so ein Treffen. Warum sollte er das auch tun? Er könnte Trump natürlich taktisch entgegenkommen und sich darauf einlassen. Aber herauskommen wird dabei nichts. Putin macht keine Kompromisse und für ihn bringt der Krieg aktuell Vorteile.
Sie sagten, wir tun nicht genug für unsere Sicherheit. Aber Deutschland hat doch die Schuldenbremse für Verteidigung ausgesetzt und will die größte konventionelle Armee Europas aufbauen. Warum ist das nicht genug?
Die Ukraine ist in dieser Lage, weil unter anderem Kanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden zu spät und zu wenig Waffen geliefert haben. Wenn sie früher mehr geliefert und bestellt hätten, wäre die Ukraine in einer ganz anderen Situation. Noch immer unterstützen wir die Ukraine nur häppchenweise. Der Marschflugkörper Taurus scheint gar kein Thema mehr zu sein. Patriot-Systeme für die Ukraine haben wir nicht rechtzeitig bestellt, obwohl wir wussten, dass Luftabwehr zentral ist. Offenbar ist uns noch immer nicht vollkommen bewusst, in welcher Situation wir uns selbst befinden. Ich weiß immer noch nicht, was der Plan ist, die Ukraine so zu stärken, damit sie nicht verliert. Das muss doch das Ziel sein. Sonst sind wir irgendwann die Frontline.
Mit Stefan Meister sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de