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Kein Land hat die Corona-Pandemie so heftig getroffen wie die USA. Derzeit gibt es täglich gewaltsame Proteste. Dabei geht ein Thema beinahe unter: In acht Bundesstaaten finden Vorwahlen statt - und dabei könnte die Krise Amtsinhaber Trump helfen.
Ach so. Da war ja noch was. Nicht nur Corona-Krise, Rassenunruhen, Wirtschaftskrise. Nicht nur Ausgangssperre und Nationalgarde in amerikanischen Großstädten. Richtig! Heute finden in acht Bundestaaten und Washington DC mal wieder Vorwahlen statt - im seltsamsten US-Wahlkampf aller Zeiten.
Seltsam nicht, weil die Vorwahlen in der ersten Liga zumindest in der Frage, wer im November antritt, längst entschieden sind. Donald Trump hatte von Anfang an keinen ernsthaften innerparteilichen Gegenkandidaten gegen Joe Biden. Nachdem Anfang April Bernie Sanders das Handtuch geworfen hatte, ist Biden de facto der demokratische Herausforderer von Donald Trump.
Seltsam ist dieser Wahlkampf vor allem, weil er die Schlagzeilen kaum dominiert, er aber dennoch alles bestimmt. Nicht zuletzt die Frage, wie die auf dem Papier reichste und waffentechnisch mächtigste Nation der Welt mit den aktuellen Unruhen umgeht oder mit der größten Herausforderung der vergangenen Jahre, der Pandemie. Oder, wie Donald Trump in seiner Weise sagt, dem Krieg gegen den unsichtbaren Feind. Ein "Krieg", in dem mittlerweile mehr Amerikaner gefallen sind, als in den vergangenen 70 Jahren in Vietnam, Korea, Afghanistan und dem Irak zusammen. Wird ein Oberbefehlshaber mit dieser Opferzahl im Amt bestätigt? Trauen die Wähler ihm Führungskraft, Strategie und Fortune zu?
Nach den Unruhen 1968 gewann Nixon die Wahl
Wollen die Wähler einen Präsidenten der Empathie hat, der die berechtigten Ängste und Sorgen der schwarzen Bevölkerung wahrnimmt und teilt? Afro-Amerikaner leben ja nicht nur in Angst vor der Polizei - sie stellen auch den proportional höchsten Anteil der Corona-Opfer. 400 Jahre Rassismus hinterlässt - trotz Fortschritte in vielen Gebieten - überall noch Spuren.
Joe Biden gibt mitfühlende Ansprachen aus dem zum TV-Studio umgebauten Keller seines Hauses in Delaware. Empathie ist Bidens starke Seite. Unvergessen wie er im Februar bei einem Town-Hall-Meeting in South Carolina auf den Pfarrer der Emanuel Kirche zuging, der 2015 dort seine Frau bei dem Amoklauf eines Rechtsradikalen verloren hatte. Biden hatte Tränen in den Augen. Echte Tränen.
Unvorstellbar beim selbstverliebten Donald Trump, der in diesen Tagen pflichtschuldig ein paar Worte der Trauer über die Tötung des George Floyd in Minneapolis abgibt, der Familie aber erst durch einen Anruf kondoliert nachdem bekannt wurde, dass Biden das längst getan hatte.
Ansonsten eskaliert Trump die Lage. Bemüht in düsteren Law-and-Order-Rede ein Gesetz von 1807, um die Randale militärisch zu beenden, nachdem er zuvor seinem Präsidenten-Amt vor allem auf Twitter nachgegangen war, wo er mit Gewaltphantasien spaltete und Öl ins Feuer goß.
Sollten die Plünderungen und das Brandschatzen in den amerikanischen Großstädten noch länger anhalten und die berechtigen, überwiegend friedlichen Demonstrationen in den Medien überlagern, dann könnte Trumps Strategie aufgehen: Dann wäre die grausame Auslöschung von George Floyds Leben in Minneapolis lange vergessen und verängstigte weiße Arbeiter und Kleinbürger suchen vermeintlichen Schutz bei den Law-and-Order-Versprechungen Trumps. 1968 war das so, nach den Unruhen, ausgelöst durch die Ermordung Martin Luther Kings, hieß der nächste Präsident Richard Nixon.
Trumps Wirtschaftskrise kein Grund für Schadenfreude
Kurz bevor die Neun-Minuten-Hinrichtung George Floyds den Wahlkampf erneut aus der Bahn warf, schnappte der Washington-Korrespondent der Zeitschrift "Vanity Fair" wehleidiges Heulen im Weißen Haus auf. "Das ist so unfair", soll Donald Trump gejammert haben, er sei seiner Wiederwahl entspannt entgegengefahren. Doch dann kam das böse Virus.
Und das bestimmt nun die Zahlen der November-Wahlen. Besteht Trumps Präsidentschafts-Bilanz dann vor allem aus weit über 100.000 Corona-Toten und Millionen Amerikanern in der Privat-Insolvenz? Wieviel Tote werden die Wähler akzeptieren? Fragt man Trumps Sprecherin, dann weicht sie aus. Der einflussreiche republikanische Senator Lindsey Graham sagte einem Reporter von "Politico", seine Grenze seien 130.000 Corona-Tote. Eine Zahl die im Sommer erreicht sein dürfte.
Die Zahl, auf die die Demokraten schauen, heißt aber derzeit 40 Millionen plus. Das ist die Zahl der Arbeitslosen. Die Corona-Folge, die Trumps bisherige Trumpf-Karte wertlos macht. Wie will er sich jetzt noch mit Amerikas wirtschaftlicher Stärke brüsten?
Doch Vorsicht sagt ausgerechnet Barack Obamas alter Wirtschaftsberater. Trumps Wirtschaftskrise sei kein Grund für Schadenfreude und am Ende vielleicht bei weitem nicht so schlimm. Jason Furman, von 2013 bis 2017 Vorsitzender des Council of Economic Advisors, sieht eine V-Kurve: Steiler Wegfall der Jobs durch Corona und dann eine unmittelbare, teilweise Erholung. Es könnte sein, so Furman, dass Trump am Ende vielleicht sogar damit prahlen könnte, vielleicht ein oder zwei Millionen Jobs mehr in einem Monat geschaffen zu haben, als jeder andere Präsident in der Geschichte.
Was könnte dann die Wahl entscheiden? Abnehmende Corona-Todeszahlen und steigende Job-Zahlen oder Todes-Rekord und Massen-Arbeitslosigkeit? Wenn Wähler zwischen Momentan-Zustand und dem Trend unterscheiden, dann ging das in der Vergangenheit häufig für das Vertraute, den Amtsinhaber aus. Ronald Reagan 1984 und Barack Obama 2012 wurden beide trotz hoher Arbeitslosigkeit wiedergewählt.Aber, so grundverschieden beide politisch waren, Donald Trump ist weder Ronald Reagan noch Barack Obama.
Quelle: ntv.de