Kühlhaus wird geschlossen Gaddafis Leichenschau beendet
24.10.2011, 16:45 Uhr
Schlangestehen für einen Toten: Viele Menschen wollen sich Gaddafis Leiche ansehen.
(Foto: dpa)
Vier Tage wurde der Leichnam des getöteten Ex-Diktators Gaddafi wie eine Trophäe ausgestellt. Trotz des zunehmenden Verwesungsgeruchs stehen Tausende Schlange, um ihn zu sehen. Doch damit soll nun Schluss sein. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft den neuen Machthabern in Libyen unterdessen vor, in Sirte mehr als 50 Gaddafi-Anhänger hingerichtet zu haben.
Die Leiche des soll nach vier Tagen der Ausstellung in einem Kühlhaus nicht mehr öffentlich gezeigt werden. Das kündigten Vertreter des Übergangsrates an. Der Leichnam werde nicht mehr ausgestellt, und die Tore würden für Schaulustige geschlossen. Am Nachmittag sperrten Wachleute den Kühlraum ab.
Gaddafi wurde am Donnerstag vergangener Woche gefasst und starb wenig später unter Umständen, die noch immer nicht geklärt sind. Der Regierungschef des libyschen Übergangsrats, Mahmud Dschibril, hatte unter Berufung auf den Obduktionsbericht gesagt, Gaddafi sei nach seiner Gefangennahme auf dem Weg ins Krankenhaus im Kreuzfeuer getötet worden. Es gibt jedoch auch die Vermutung, dass er nach seiner Gefangennahme gelyncht wurde.

Das Interesse an Gaddafi war bis zuletzt riesig.
(Foto: REUTERS)
Die Leichen Gaddafis, seines Sohnes Motassim und seines Armeechefs wurden tagelang in einer Kühlhalle in der Stadt Misrata ausgestellt. Am Montag bekamen Schaulustige wegen des Verwesungsgeruches Mundschutze. Tausende standen noch immer Schlange, um einen Blick auf den Mann zu erhaschen, der 42 Jahre in Libyen an der Macht war. Der Umgang mit dem Körper sorgte vor allem unter ausländischen Verbündeten des Übergangsrates für Befremden. Nach muslimischem Brauch werden Tote innerhalb eines Tages beerdigt. Die Umstände von Gaddafis Tod und der Umgang mit seiner Leiche scheinen bei den meisten Libyern aber auf wenig Interesse zu stoßen.
Der Obduktionsbericht soll nach Angaben des untersuchenden Arztes erst in einigen Tagen veröffentlicht werden. Bislang könne er lediglich bestätigen, dass Gaddafi durch Schussverletzungen getötet worden sei; zur Bekanntgabe weiterer Details brauche er die Zustimmung seines Vorgesetzten, des Generalstaatsanwalts.
Sohn schwört Rache
Auch US-Außenministerin Hillary Clinton unterstützt die Forderung nach einer Untersuchung der genauen Todesumstände. Dem Fernsehsender NBC sagte Clinton, diese Aufklärung sei Teil des Übergangs von einer Diktatur zu einer Demokratie. Sie rief auch zur Versöhnung auf: "Jeder, der Teil des alten Regimes war und an dessen Händen kein Blut haftet, sollte sicher und in ein neues Libyen miteinbezogen sein."
Der letzte noch in Libyen untergetauchte Sohn von Ex-Machthaber Gaddafi will allerdings den Kampf fortsetzen. In einer kurzen Audiobotschaft beschimpfte Gaddafis Lieblingssohn Saif al-Islam außerdem die NATO, die zum Sturz des Regimes beigetragen hatte. "Geht zur Hölle Ihr Ratten und NATO", zitierte der arabische Nachrichtensender Al-Arabija den Gaddafi-Sohn. Auch dessen Vater hatte die früheren Oppositionstruppen und heutigen neuen Machthaber in Libyen regelmäßig als Ratten verunglimpft.
Dutzende Gaddafi-Männer getötet
In der Heimatstadt des getöteten libyschen Machthabers hat es offenbar Massenhinrichtungen seiner Anhänger durch Kämpfer der neuen Führung des Landes gegeben. Wie die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) mitteilte, wurden in einem leerstehenden Hotel der Küstenstadt Sirte 53 bereits verwesende Leichen gefunden. Einige der Toten auf dem Rasen im Garten des Hotels hatten dem Bericht zufolge die Hände hinter dem Rücken gefesselt.
Das Gebiet um das Hotel sei seit Anfang Oktober von Anti-Gaddafi-Kämpfern aus der Stadt Misrata kontrolliert worden, hieß es unter Berufung auf Augenzeugen. Der Zustand der Opfer lasse darauf schließen, dass sie zwischen dem 14. und 19. Oktober getötet worden seien, sagte der HRW-Experte Peter Bouckaert. Die in New York ansässige Organisation forderte den Nationalen Übergangsrat auf, "eine unverzügliche und transparente Untersuchung der offensichtlichen Massenhinrichtung einzuleiten und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen".
Für den Nationalen Übergangsrat tätige Kämpfer erklärten, das Hotel habe den Gaddafi-Männern als Gefängnis für ihre Leute gedient. Sie hätten es am Donnerstag entdeckt, als Gaddafi umgebracht wurde, und seien überzeugt gewesen, dass die Gaddafi-Truppen vor ihrer Flucht die Gefangenen getötet hätten.
Libyer feiern Befreiung
Der Übergangsrat hatte Libyen am Sonntag nach 42 Jahren Diktatur offiziell für befreit erklärt. Während eines Festaktes drei Tage nach dem Tod des Ex-Machthabers verkündete der Ratsvorsitzende, Mustafa Abdul Dschalil, den Sieg über das Gaddafi-Regime. Dschalil rief seine Landsleute zu Einheit, Versöhnung, Geduld und Toleranz auf. Außerdem versprach er Rechtsstaatlichkeit sowie die Einhaltung von Menschenrechten. Die Basis für das neue Libyen soll die islamische Rechtsprechung sein.
Dschalil dankte auch der NATO sowie der Europäischen Union für die Hilfe bei der Befreiung. Wie erwartet, kündigte Dschalil eine stärkere islamische Orientierung Libyens in der Zukunft an. "Bei uns ist das islamische Recht die Grundlage der Rechtsordnung. Ein Gesetz, das dem islamischen Recht widerspricht, ist null und nichtig."
In diesem Sinne werde auch das geltende libysche Eherecht abgeschafft, dass die Zahl der Frauen für einen Muslim begrenze. Man werde auch islamische Banken gründen, die keine Zinsen verlangen, versprach Dschalil. Die Armee werde künftig nur noch zur Verteidigung des Landes eingesetzt. Angesichts der Differenzen zwischen Stämmen, politischen Gruppierungen, Milizen und Landesteilen warnte Dschalil vor einer Spaltung des Landes. "Wir sind alle Brüder geworden, was wir lange Zeit nicht waren."
Deutschland ermahnt zur Demokratie
Nun soll binnen 30 Tagen eine provisorische Regierung gebildet werden. Diese solle dann bis Juni 2012 Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung vorbereiten, kündigte Dschalil an. Dieses Gremium soll eine Verfassung ausarbeiten, auf deren Grundlage innerhalb eines Jahres ein Parlament und ein Präsident gewählt werden.
Die Bundesregierung drängt die neue Regierung zu einer Demokratisierung des Landes. "Für uns ist entscheidend, dass Libyen den Weg in Richtung Demokratie geht. Darauf setzen wir, darauf hoffen wir und das werden wir unterstützen", sagte Außenminister Guido Westerwelle. Zu Äußerungen des libyschen Übergangsrats, die islamische Scharia zur Grundlage für das neue Rechtssystem zu machen, sagte Westerwelle: "Das werden wir genau beobachten." Deutschland führe derzeit Gespräche mit Repräsentanten des neuen Libyens.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Befreiung Libyens als "historischen Wendepunkt" begrüßt. Ab sofort hätten die Libyer ihre Zukunft selbst in der Hand. Das Ende des Krieges sei "nur der Anfang dessen, worum die libyschen Kämpfer, Jugendlichen und Frauen gerungen haben". Wichtig sei es nun, ein "wirklich neues Libyen" aufzubauen und das Erbe von Menschenrechtsvergehen und Korruption zu überwinden. Die Vereinten Nationen seien entschlossen, Libyen beim Aufbau einer besseren Zukunft zu unterstützen.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP