Politik

Wann und wo starb der Diktator? Gaddafis Tod gibt Rätsel auf

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Vor der libyschen Botschaft in London jubeln Exil-Libyer über die Todesnachricht.

(Foto: dpa)

Bis zum Tod wollte er kämpfen, und er hielt Wort: Der langjährige libysche Machthaber Gaddafi kommt in Gewahrsam der Rebellen ums Leben. Seine Söhne Mutassim und Saif-al Islam werden bei der Einnahme von Gaddafis Heimatstadt Sirte getötet. Während ganz Libyen seinen Tod feiert, herrscht noch immer keine Klarheit über die genauen Todesumstände des Diktators. Der Westen reagiert erleichtert auf Gaddafis Tod, der NATO-Einsatz könnte ein schnelles Ende finden.

Der frühere libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi soll erst auf dem Weg von seiner Heimatstadt Sirte nach Misrata schwer verwundet worden sein. Das behauptet der Chef der Übergangsregierung, Mahmud Dschibrilo, nach Angaben des Nachrichtensenders Al-Dschasira. Gaddafi habe sich in Sirte in einem großen Wasserrohr aus Beton versteckt. Als ihn die Revolutionstruppen dort entdeckt hätten, sei er ihnen mit einer Pistole in der Hand entgegengetreten.

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Dieses Foto des toten Gaddafi war das erste, das seinen Weg ins Internet fand.

Die Verletzungen, die später zu seinem Tod geführt hätten, habe er jedoch erst erlitten, als die Kämpfer, die ihn auf einem Pritschenwagen von Sirte in die Stadt Misrata bringen wollten, auf dem Weg unter Beschuss geraten seien. Gaddafi habe eine Schusswunde am Kopf und eine am Bauch gehabt. Er sei nicht von den Kämpfern zu Tode geprügelt worden, sondern erst nach seiner Ankunft im Krankenhaus von Misrata gestorben, weil er viel Blut verloren habe. Ob die Angaben Dschibrilos der Wahrheit entsprechen, ist schwer zu beurteilen. Auf Videobildern ist zu sehen, wie ein offenbar verwundeter Gaddafi von Milizionären herumgeschubst wird. Das rief Kritik der Menschenrechtsorganisation Amnesty International hervor, die eine genaue Untersuchung der Todesumstände forderte.

Mit Gaddafis Tod zwei Monate nach seinem Sturz ist der Weg für die Bildung einer provisorischen Übergangsregierung und die Vorbereitung demokratischer Wahlen in Libyen endgültig frei. Die Truppen des Übergangsrates meldeten gleichzeitig die Einnahme der letzten Bastion der Gaddafi-Unterstützer. Auch Gaddafis Söhne Mutassim und Saif al-Islam wurden getötet. Militärchef Abu Bakr Junis Jabr und Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi kamen ebenfalls ums Leben.

Sirte fällt

Von Gaddafi fehlte seit dem 27. August jede Spur. Der Ex-Diktator soll jetzt nach libyschen Medienberichten nach islamischem Ritus an einem geheimen Ort beigesetzt werden, damit seine Anhänger keinen Wallfahrtsort haben.

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Auch Gaddafis Sohn Saif al-Islam wurde getötet.

(Foto: dpa)

Dass Gaddafi sich in Sirte versteckt hatte, ist für viele Beobachter überraschend. Der seit zwei Monaten Flüchtige war in einer Oase im Süden des Landes vermutet worden. Allerdings erklärt sich jetzt, warum in Sirte Gaddafi-Getreue über Wochen hinweg erbitterten Widerstand gegen die Truppen des Übergangsrates geleistet haben

Sirte war als letzte Bastion des Widerstands gegen die neuen Herrscher gefallen. Die Truppen des Übergangsrates hissten ihre Flagge im Stadtzentrum. Außerdem feuerten sie Salven aus ihren Maschinenpistolen ab. Auch in der Hauptstadt Tripolis herrschte große Freude. Überall feierten die Menschen.

Todesumstände lange unklar

Zum Todeshergang kursierten zunächst vier widersprüchliche Versionen. Zunächst hieß es, er habe versucht in einem Konvoi zu fliehen, der von der NATO angegriffen wurde. Später meldete Al-Dschasira, er sei auf der Flucht aus einem Haus verletzt und aufgegriffen worden. Al-Arabija berichtete, Gaddafi sei in einem Erdloch aufgefunden worden, nur um später die Meldung zu verbreiten, der Ex-Diktator sei in einem Abwasserrohr gefunden worden.

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Milizionäre zeigen auf die Röhren, in denen sich Gaddafi versteckt haben soll.

(Foto: REUTERS)

Später fügten sich die verschiedenen Berichte zusammen: Der langjährige Machthaber hatte offenbar versucht, sich abzusetzen, als sein Konvoi von der NATO aus der Luft attackiert wurde. Gaddafi und seine Bewacher wurden schließlich von den Regierungssoldaten in zwei Abwasserröhren gestellt, in denen sie vor den Luftangriffen Schutz suchten.

Nach einem kurzen Schusswechsel habe sich der ehemalige Machthaber ergeben, berichteten Kämpfer, die nach eigener Aussage an der Aktion beteiligt waren. Der Nachrichtensender Al-Arabija zeigte Bilder, auf denen zwei große Betonröhren zu sehen waren. Darüber hatte jemand auf eine Betonwand gesprüht: "Dies ist der Platz der verfluchten Ratte Al-Gaddafi - Gott ist groß". Vor den Betonröhren liegen zwei Leichen am Boden.    

Der schwer verletzte Gaddafi wurde nach seiner Gefangennahme offenbar misshandelt. Auf Videobildern war zu sehen, wie aufgebrachte Soldaten ihn verprügelten und an seinem Haar rissen. In einem von Al-Arabija ausgestrahlten verwackelten Video ist angeblich der verwundete Gaddafi zu sehen. Er wird von der Kühlerhaube eines Fahrzeugs gezogen und von Milizionären umringt, die ihn wegzerren. Gaddafi scheint dabei noch auf eigenen Beinen zu stehen und zu wanken. Sein Hemd ist blutgetränkt. Er scheint zu sprechen und seine rechte Hand zu bewegen.Auf späteren Bildern ist Gaddafi tot mit einer Schusswunde im Kopf zu sehen - eben diese Wunde soll er erst auf dem Transport nach Misrata erhalten haben, behauptete Dschibril.

"Sic transit gloria mundi"

Die Nachricht über den Tod des Despoten löste in westlichen Staaten Erleichterung aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem Schlusspunkt unter das Regime Gaddafi. "Damit geht ein blutiger Krieg zu Ende, den Gaddafi gegen sein eigenes Volk geführt hat", sagte Merkel." Heute kann Libyen eine neue Seite in seiner Geschichte aufschlagen und eine neue demokratische Zukunft beginnen", heißt es in einer EU-Erklärung. "Sic transit gloria mundi" - so vergeht der Ruhm der Welt - mit diesen Worten zitiert die italienische Nachrichtenagentur Ansa Regierungschef Silvio Berlusconi. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sagte: "Für das libysche Volk öffnet sich ein neues Kapitel, das der Versöhnung in Einheit und Freiheit."

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Freudenfeiern in Tripolis.

(Foto: dpa)

"Ich bin stolz auf die Rolle, die Großbritannien dabei gespielt hat", kommentierte der britische Premierminister David Cameron mit Blick auf die Unterstützung der Aufständischen durch die NATO. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die Libyer zur Versöhnung auf: "Die Kämpfer aller Seiten müssen ihre Waffen in Frieden niederlegen. Das ist die Zeit der Versöhnung, nicht der Rache."

US-Präsident Barack Obama hat den Tod Gaddafis als "Ende eines langen und schmerzhaften Kapitels" bezeichnet. Das libysche Volk habe nun die Chance, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, sagte Obama. Die Libyer hätten aber auch eine "große Verantwortung", eine Regierung zu schaffen, die alle gesellschaftlichen Gruppen einschließe.

Der NATO-Rat will auf einer Sondersitzung voraussichtlich schon am Freitag den Militäreinsatz in Libyen für beendet erklären. Das Militärbündnis hatte seit 31. März mehr als 26.000 Einsätze über Libyen geflogen, davon gut 9600 Kampfeinsätze. Zudem hatte das Bündnis eine Seeblockade verhängt.

Seit 1969 an der Macht

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Gaddafi hatte sich 1969 an die Macht geputscht.

(Foto: REUTERS)

Der junge Offizier Gaddafi hatte sich 1969 an die Macht geputscht und versucht, das nordafrikanische Land mit einer Mischung von sozialistischen und islamischen Ideen zu gestalten. Dem für seine exzentrischen Auftritte bekannten Herrscher wurden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Außerdem soll das Gaddafi-Regime in mehrere Terroranschläge verwickelt gewesen sein. Dazu gehörte 1988 der Bombenanschlag auf ein PanAm-Verkehrsflugzeug, das über der schottischen Ortschaft Lockerbie abstürzte. Dabei waren insgesamt 270 Menschen getötet worden.

Gaddafis Regierung soll auch hinter dem Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" gestanden haben, bei dem in der Nacht auf den 5. April 1986 drei Menschen starben und mehr als 200 andere verletzt wurden.          

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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