Politik

Erfurt nach der Tragödie Gedenken am ersten Schultag

Am ersten Schultag nach dem Amoklauf im Erfurter Gutenberg-Gymnasium wird in Deutschland am Montag der Opfer gedacht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft haben für 11.05 Uhr zum Gedenken für die Opfer zu einer Schweigeminute aufgerufen.

Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) und CDU-Chefin Angela Merkel wollen am Tatort Blumen niederlegen. Im Gutenberg-Gymnasium selbst gehen die Ermittlungen der Einsatzkräfte von Bundes- und Landeskriminalamt weiter.

Deshalb wird dort vorerst kein Schulunterricht stattfinden. Die Schüler sollen ab Montag im Rathaus in ihren Klassenverbänden psychologisch betreut werden, sagte der Erfurter Oberbürgermeister Manfred Ruge am Sonntag. Man sei dem Wunsch aller Betroffenen gefolgt, die Schüler nicht auf Schulen in der Stadt zu verteilen, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, die Vorfälle gemeinsam aufzuarbeiten.

"Weder Hass noch Mitgefühl"

Die Schülersprecherin des Gutenberg-Gymnasiums, Michaela Seidel, sagte, sie fühle keinen Hass, aber auch kein Mitgefühl gegen den Täter, Robert Steinhäuser. "Das ist das, was er verdient hat. Hass oder Mitgefühl wären für ihn noch eine Genugtuung." Er sei ein kranker Mensch gewesen, dem man früher hätte helfen müssen.

Selbstmord vor Sucheinsatz des SEK

Steinhäuser hat sich erschossen, bevor das Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei in die Schule eindrang. Er sei zwischen 10.58 Uhr und 11.30 Uhr gestorben, sagte Erfurts Polizeichef Rainer Grube am Sonntag unter Berufung auf das Obduktionsergebnis. Die Spezialeinheit habe um 12 Uhr damit begonnen, das Gymnasium Zimmer für Zimmer abzusuchen. Gegen 13.00 Uhr wurde die Leiche des Amokläufers gefunden.

Der 19-Jährige war mit einer Pistole und einer Pumpgun durch die Schule gelaufen und hatte in den Zimmern zielgerichtet nach Lehrern gesucht, sagte Grube. Ein 14-jähriges Mädchen und ein 15-jähriger Junge seien vermutlich unbeabsichtigt von dem Täter durch eine Tür hindurch erschossen worden. 12 Lehrer, eine Sekretärin und ein Polizist wurden meist durch Kopfschüsse getötet. Nach bisherigen Ermittlungen gab Steinhäuser über 40 Schüsse aus der Pistole, jedoch keine Schüsse aus der Pumpgun ab.

Steinhäuser hatte sich zuvor mit einer Lüge von zu Hause verabschiedet. Er habe seinen Eltern gesagt, er gehe in die Schule, weil er Prüfung habe, berichtete Grube. Die Eltern wussten nicht, dass ihr Sohn, vermutlich wegen Urkundenfälschung, längst von der Schule verwiesen worden war.

Wann und wie Steinhäuser seine Waffen gekauft hat, ist noch unklar. Die Waffenbesitzkarte des 19-Jährigen sei am 16. Oktober 2001 ausgestellt worden, teilte die Polizei mit. Dass er bei seinem Amoklauf einen Komplizen hatte, schließen die Ermittler jetzt aus. Schüler hatten zunächst ausgesagt, sie hätten einen zweiten Täter im Schulgebäude gesehen.

Steinhäuser hatte einen "Hang zu Krieg- und Gewaltverherrlichung". Der 19-Jährige habe entsprechende Comics gehabt und sich auch im Internet oder über Videos damit beschäftigt. Er sei mit dieser Neigung aber nie nach außen getreten, betonte Grube.

Sondersitzung des Landtags

Der Thüringer Landtag wird sich auf einer Sondersitzung mit dem Amoklauf im Erfurter Gutenberg-Gymnasium befassen. Die Sitzung solle bald nach der für kommenden Freitag geplanten offiziellen Trauerfeier stattfinden, sagte Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht am Sonntag. „Wir möchten zunächst Angehörigen und Freunden der Opfer als Landtag ein Zeichen der Solidarität geben.“

Lehrertag abgesagt

Der für den 3. Mai in Weimar geplante Deutsche Lehrertag ist abgesagt worden. Angesichts der tragischen Ereignisse sei entschieden worden, das Treffen zu verschieben, teilte der Verband Bildung und Erziehung (VBE) am Sonntag in Erfurt mit. Ein neuer Termin steht noch nicht fest.

Gottesdienst im Erfurter Dom

Auch am Sonntag versammelten sich mehrere hundert Menschen zu einem Gedenkgottesdienst im Erfurter Dom. Theologieprofessor Klaus-Peter März erinnerte zu Beginn in einer kurzen Ansprache an all jene, die durch die Ereignisse der vergangenen Tage "ins Bodenlose gefallen sind ".

Am Samstagabend hatten sich fast 5.000 Menschen zu einem Gottesdienst im Erfurter Dom versammelt. An der ökomenischen Trauerfeier nahmen auch Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel und Bundeskanzler Gerhard Schröder teil.

Blumen vor dem Gutenberg-Gymnasium

Der Strom der Menschen, die zum Gutenberg-Gymnasium kommen, um zu trauern und ihre Anteilnahme auszudrücken, riss auch am Sonntag nicht ab. Vor dem Haupteingang der Schule türmen sich die Blumen zum Teil meterhoch.

Auch Bundesaußenminister Joschka Fischer legte am Sonntag am Eingang des Gutenberg-Gymnasiums ein Blumengebinde nieder. Zuvor hatte er sich im Rathaus in ein Kondolenzbuch eingetragen. Vor dem Gymnasium schilderte Schuldirektorin Christiane Alt dem Außenminister unter Tränen den Ablauf des Blutbades. Auch Fischer, der von der Erfurter Grünen-Bundestagsabgeordneten Katrin Göring-Eckardt begleitet wurde, standen Tränen in den Augen.

Quelle: ntv.de

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