Tangerhütte rudert zurück Kita heißt vorläufig weiter nach Anne Frank
06.11.2023, 12:32 Uhr Artikel anhören
In Sachsen-Anhalt will sich eine Kita umbenennen, weil ihr der Name Anne Frank zu politisch geworden ist. Nach breiter Kritik erklärt die Stadt: Eine Entscheidung stehe derzeit gar nicht an. Die aktuelle Diskussion soll in die Pläne "mit einfließen".
Eine Kita in der Stadt Tangerhütte in Sachsen-Anhalt ist bundesweit in die Schlagzeilen geraten, nachdem Pläne zu einer Umbenennung bekannt geworden sind. Bislang heißt der Kindergarten nach Anne Frank, dem jüdischen Mädchen, das 1945 im Konzentrationslager Bergen Belsen ermordet und später mit ihrem Tagebuch weltweit bekannt wurde. Künftig solle die Kita "Weltentdecker" heißen, hatte die "Magdeburger Volksstimme" am Wochenende gemeldet.
Am Montag teilte die Stadt Tangerhütte dann mit, die Entscheidung einer Namensänderung "steht aktuell nicht an". Der Pressemitteilung zufolge war die Idee eines neuen Namens Teil eines längeren Erneuerungsprozesses. Die Diskussionen darüber liefen noch, "ohne dass aktuell eine Entscheidung darüber anstünde".
Bürgermeister begrüßt "neue Dynamik"
"Selbstverständlich wird dabei mittelfristig auch die aktuell öffentlich geführte Diskussion um die Namensgebung mit einfließen", heißt es von der Stadt weiter. "Viele konstruktive Anregungen und Vorschläge haben uns dazu erreicht, für die wir sehr dankbar sind", sagte Tangerhüttes Bürgermeister Andreas Brohm. "Diese werden dem Abwägungsprozess eine neue Dynamik verleihen, was wir begrüßen."
Die "Volksstimme" hatte über das Vorhaben berichtet, nachdem sich, wie sie schreibt, eine Mutter aus Tangerhütte entsetzt an die Redaktion gewandt habe. Die Kita heißt laut "Volksstimme" seit Anfang der 1970er-Jahre nach Anne Frank. Ihr auf Niederländisch verfasstes Tagebuch erschien schon kurz nach dem Krieg, in Deutschland erstmals 1950. Das Buch wurde 2009 ins Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen.
Anne Frank war 1929 in Frankfurt am Main zur Welt gekommen. Ihre Eltern flohen 1934 mit Anne und ihrer Schwester vor den Nationalsozialisten nach Amsterdam. Nach der Besetzung der Niederlande durch Deutschland versteckte sich die Familie in einem Hinterhaus in der Prinsengracht 263 - heute ist dort das Anne-Frank-Haus untergebracht.
"Wir wollten etwas ohne politische Hintergründe"
Nach Angaben des Anne-Frank-Zentrums in den USA wurden weltweit mehr als 30 Millionen Exemplare des Tagebuchs verkauft. In Tangerhütte scheint das Wissen um die Geschichte des Mädchens allerdings nicht so verbreitet zu sein: Laut Stadtverwaltung kommt der Wunsch zur Namensänderung von Eltern und Mitarbeitern der Kita. Kita-Leiterin Linda Schichor sagte der "Magdeburger Volksstimme", der Kinderrat der Einrichtung habe einen Namen gewählt, der kindgerechter sei. Die Zeitung schreibt weiter: "Die Geschichte der Anne Frank sei laut Leiterin gerade für kleine Kinder schwer fassbar. Auch Eltern mit Migrationshintergrund könnten mit dem Namen oft nichts anfangen."
Das Argument der "Eltern mit Migrationshintergrund" klingt wenig plausibel: Dem Zensus von 2020 zufolge gehört Sachsen-Anhalt zu den Bundesländern mit dem geringsten Anteil von Personen mit Migrationshintergrund. Kita-Leiterin Schichor sagte laut "Volksstimme" weiter: "Wir wollten etwas ohne politische Hintergründe." Aktuell laufe eine Unterschriftensammlung für den neuen Namen unter den Eltern.
Das Vorhaben stieß auf breite Kritik. Sachsen-Anhalts CDU-Chef Sven Schulze twitterte, die CDU im Stadtrat von Tangerhütte werde einer Umbenennung der Kita "selbstverständlich nicht zustimmen". Er hoffe, dass dies auch für alle anderen Stadträte gelte. "Nicht nur in der heutigen Zeit, sondern generell ist solch ein Vorschlag völlig abwegig, instinktlos und kleingeistig."
Der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Magdeburg, Tobias Krull, sprach laut MDR von einem falschen Signal. Zwar seien Träger von Kindertageseinrichtungen grundsätzlich frei in ihren Entscheidungen zur Namenswahl, dennoch sei bei einem solchen Vorhaben Sensibilität gefragt.
Quelle: ntv.de, hvo