Politik

Ägyptische Opposition über Reformkonzept einig Massendemonstration legt Kairo lahm

Der Tahrir-Platz, der "Platz der Freiheit", wird zum Symbol des Volksaufstandes in Ägypten.

Der Tahrir-Platz, der "Platz der Freiheit", wird zum Symbol des Volksaufstandes in Ägypten.

(Foto: dpa)

In der ägyptischen Hauptstadt Kairo demonstrieren trotz Einbruch der Dunkelheit noch Zehntausende Menschen gegen den verhassten Präsidenten Mubarak. Das Militär greift nicht ein, Panzer sind mit Parolen gegen die Regierung beschmiert. Die Opposition legt ein gemeinsames Reformkonzept vor. Ihre Bedingung für Gespräche mit der Regierung: Der Machthaber muss abtreten.

Die Forderung von Demonstranten und Opposition: Das Herrscher soll abtreten.

Die Forderung von Demonstranten und Opposition: Das Herrscher soll abtreten.

(Foto: AP)

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo, der zum Symbol der Massenproteste in Ägypten geworden ist, demonstrierten am Nachmittag mindestens hunderttausende Menschen. Die Opposition hatte angekündigt, eine Million Demonstranten zu mobilisieren. Die Meldungen über die Zahl der tatsächlichen Teilnehmer sind unterschiedlich - die Angaben reichen von Einhunderttausend bis zu zwei Millionen Menschen allein in der ägyptischen Hauptstadt. Auch nach Einbruch der Dunkelheit blieben Zehntausende auf dem Tahrir-Platz und verlangten mit Sprechchören politische Reformen.

Der Protest ging quer durch die ägyptische Bevölkerung. Auf dem zentralen Platz versammelten sich Arbeiter und Ärzte ebenso wie Geistliche, Frauen mit Kindern und junge Männer. Die Stimmung war ausgelassen, fast fröhlich. "Wir wollen Freiheit. Wir wollen Demokratie", riefen Demonstranten. In Alexandria und Ismailija protestierten ebenfalls mehrere Zehntausend Menschen.

Kernforderung der Demonstranten ist der Rücktritt des 82-jährigen Präsidenten Husni Mubarak, der bereits seit drei Jahrzehnten im Amt ist. Die von Vize-Präsident Omar Suleiman in Aussicht gestellten Zugeständnisse wie eine Verfassungsreform reichen den Bürgern nicht aus.

Opposition fordert neue Verfassung

Vertreter aller größeren Oppositionsparteien und -bewegungen in Ägypten haben sich auf eine gemeinsame Linie für einen Neubeginn in dem Land verständigt. Sie fordern ebenfalls einen Rücktritt von Präsident Husni Mubarak und eine "Regierung der nationalen Allianz". Zu den nach einem Treffen erhobenen Forderungen gehört auch die Auflösung der beiden Parlamentskammern sowie der Regionalparlamente. Eine Arbeitsgruppe soll eine neue Verfassung ausarbeiten.

Die Opposition lehnt Gespräche mit den Machthabern vor einem Rücktritt Mubaraks ab. "Wir erwarten, dass die Führung uns einen Zeitplan für die Umsetzung dieser Forderungen präsentiert. Erst dann sind wir bereit, einen Dialog mit Vizepräsident Omar Suleiman zu beginnen", hieß es.

Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei nahm an dem Treffen nicht teil, aber andere Vertreter seiner Bewegung für den Nationalen Wandel. El-Baradei forderte im Sender Al-Arabija, Mubarak müsse bis spätestens Freitag sein Amt niederlegen.

Auch Anhänger Mubaraks demonstrieren

Mubarak hat auch seine Anhänger mobilisiert.

Mubarak hat auch seine Anhänger mobilisiert.

(Foto: AP)

Zusätzlich heizen Aufzüge von Mubarak-Anhängern die Stimmung in Kairo auf. Etwa 2000 Teilnehmer riefen "Ja zu Mubarak, nein zu Demonstrationen und Sabotage". Zusammenstöße mit den anderen Demonstranten gab es zunächst nicht.

Am Vorabend hatte das Militär erklärt, dass es nicht auf friedliche Demonstranten schießen werde. "Wir erkennen die Legitimität der Forderungen der Bürger an", hieß es in der Erklärung der Militärführung, die am Montagabend veröffentlicht wurde. "Wir werden keine Gewalt gegen die Bürger einsetzen." Demonstranten steckten Blumen an die aufgefahrenen Panzer, berichten Teilnehmer des Aufmarsches per Twitter. Manche Militärfahrzeuge seien mit Anti-Mubarak-Grafitti beschmiert, berichtet der englische TV-Sender Channel 4.

Die Vereinten Nationen gehen inzwischen von deutlich mehr Todesopfern bei den Unruhen aus als bisher bekannt. "Unbestätigte Berichte sprechen von bisher 300 Toten und mehr als 3000 Verletzten", sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, in Genf. Die Entwicklung sei besorgniserregend.

Armee blockiert Kairo

An den Eingängen zum Tahrir-Platz kontrollierten Zivilisten Ausweispapiere und durchsuchten die Teilnehmer. Auffällig war, dass unter den Demonstranten deutlich mehr Vertreter der Muslimbruderschaft als zuletzt zu sehen waren. Ein Vertreter der islamistischen Organisation sagte: "Wir sind eine gut organisierte Bewegung. Es wird Zeit, dass auch wir auf diesem Platz reden dürfen." Die Muslimbrüder sind in Ägypten offiziell verboten, haben aber viele Anhänger. Sie könnten an einer neuen, von der Opposition gebildeten Regierung beteiligt sein, was in Israel Ängste ausgelöst hat.

Die ägyptische Armee hat die Zugänge nach Kairo und weiteren Städten gesperrt, in denen sich Demonstranten zum sogenannten Marsch der Million zusammenfinden wollen. Die Autobahn zwischen Kairo und der Hafenmetropole Alexandria war kurz vor der Hauptstadt durch Blockaden des Militärs gesperrt. Auch die Menschen aus den Städten Mansura im Norden und Suez im Osten des Landes sowie aus Fajjum südlich von Kairokamen nicht in Richtung Hauptstadt heraus. Seit Montag sind außerdem der Zugverkehr und Metroverbindungen in die Innenstadt Kairos unterbrochen.

Straßen gesperrt

Zur Behinderung der Anreise der Regimegegner sei der Eisenbahnverkehr unterbrochen worden, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira. Auch eine Anreise mit dem Auto wird immer schwieriger, da das Benzin zunehmend knapp wird. Vor den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen. Wie BBC unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, sind auch wichtige Zufahrtsstraßen nach Kairo blockiert.

Das Militär hatte zugesichert, friedliche Proteste nicht zu unterbinden.

Das Militär hatte zugesichert, friedliche Proteste nicht zu unterbinden.

(Foto: REUTERS)

Um die Demonstranten weiter zu behindern, will die Regierung die Kommunikation erschweren und nach Medienberichten das Mobiltelefonnetz kappen. Ein weiterer ägyptischer Internetprovider, die Noor Group, sei am Montagabend von Netz genommen worden. Das teilte Renesys mit, ein amerikanisches IT-Unternehmen aus New Hampshire, das für Internet-Anbieter die Sicherheit und die Infrastruktur des Netzes überprüft. Das sei der letzte Internetprovider gewesen, der funktioniert habe, hieß es in einem Medienbericht.

Erste Wirkung bei der politischen Führung

Mubarak beauftragte seinen Vizepräsidenten Omar Suleiman, mit der Opposition zu sprechen. Das Büro Suleimans sagte dem US-Nachrichtensender CNN, dass erste Kontakte zur Opposition geknüpft worden seien. Es gab nach CNN-Angaben aber keine Hinweise, welche Vorschläge gemacht worden seien. Auch lagen keine Reaktionen von Oppositionellen vor. Zudem fehlten Angaben über die Gesprächspartner.

Dutzende ägyptische Menschenrechtsorganisationen haben Mubarak zum Rückzug aufgefordert. "Präsident Mubarak muss den Willen des ägyptischen Volkes respektieren und sich zurückziehen, um ein Blutbad zu verhindern", hieß es in der Erklärung von 50 Organisationen. Zu den Unterzeichnern gehören die wichtigsten Menschenrechtsgruppen des Landes, darunter das Zentrum für Menschenrechtsstudien in Kairo, der Verband für wirtschaftliche und soziale Rechte sowie das arabische Zentrum für die Unabhängigkeit der Justiz.

Neben dem Rückzug von Mubarak forderten sie eine neue Verfassung. Sie solle von einer Kommission ausgearbeitet werden, in der sowohl sämtliche Parteien und politischen Kräfte als auch die Zivilgesellschaft des Landes vertreten sein müssten. Die Menschenrechtsorganisationen verlangten in ihrem Schreiben zudem Parlaments- und Präsidentschaftswahlen innerhalb der nächsten sechs Monate.

El-Baradei: Mubarak soll seine Haut retten

Oppositionspolitiker Mohammed el-Baradei rief Mubarak auf, sich nach 30 Jahren an der Macht zurückzuziehen. Die Menschen auf den Straßen des Landes forderten nicht mehr nur seinen Rücktritt, sondern dass er vor Gericht zur Verantwortung gezogen werde, sagte der Friedensnobelpreisträger der britischen Zeitung "The Independent". "Wenn er seine Haut retten will, zieht er sich lieber zurück."

Die USA riefen zu Zurückhaltung auf. Die Regierung hoffe, dass der "Marsch der Million" in Kairo ruhig und ohne Gewalt verlaufen werde, teilte das Weiße Haus mit. Den Rücktritt von Staatschef Mubarak, wichtiger Verbündeter der USA in der arabischen Welt, verlangte Washington bislang nicht.

USA schicken Sondergesandten

Die USA schicken Frank Wisner als Sondergesandten nach Kairo.

Die USA schicken Frank Wisner als Sondergesandten nach Kairo.

(Foto: AP)

Der frühere US-Botschafter in Ägypten, Frank Wisner, wurde als Sondergesandter nach Kairo geschickt. Wie das Außenministerium in Washington mitteilte, soll der pensionierte Diplomat Gespräche mit hochrangigen Vertretern der ägyptischen Regierung führen und der Forderung nach mehr Demokratie Nachdruck verleihen. Zugleich berufen die USA einen Großteil ihrer Mitarbeiter ab, lediglich eine diplomatische Notbesetzung solle in dem Land verbleiben. Alle anderen US-Vertreter und ihre Angehörigen sollten heimkehren, teilte das Außenministerium mit.

Die EU will die Ägypter in ihrem Streben nach mehr Demokratie unterstützen, hält sich in der Kontroverse um Mubarak aber weitgehend zurück. Immer mehr Staaten bemühen sich derweil, ihren Bürgern eine schnelle Heimreise aus Ägypten zu ermöglichen. Auch aus Deutschland starten zusätzlich Maschinen Richtung Kairo. Das Auswärtige Amt rät nun dringend von Reisen nach ganz Ägypten ab.

Quelle: ntv.de, rpe/hdr/dpa/rts/AFP

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