12.00 Uhr Schweigeminute Merkel gedenkt der Opfer
23.02.2012, 08:07 Uhr
Im April 2006 präsentiert die Dortmunder Polizei eine mit der Mordwaffe baugleiche Pistole. Damals dachte niemand daran, dass die Mörder Neonazis sein könnten.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Bundeskanzlerin Merkel spricht heute in Berlin bei einer Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie. Arbeitgeber und Gewerkschaften haben außerdem für 12.00 Uhr zu einer deutschlandweiten Schweigeminute aufgerufen. Es ist ein Stück Wiedergutmachung: Die Mörder waren jahrelang im Umfeld der Opfer vermutet worden.
Gut drei Monate nach Aufdeckung der Mordserie von Neonazis findet heute in Berlin eine Gedenkfeier für die Opfer des rechtsradikalen Terrors statt. Außerdem haben Gewerkschaften und Arbeitgeber zu einer Schweigeminute aufgerufen.
In einer gemeinsamen Erklärung riefen der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände "die Menschen in Deutschland dazu auf, ... um 12.00 Uhr für eine Schweigeminute in ihrer Arbeit innezuhalten". Im stillen Gedenken an die Opfer solle "ein kraftvolles Zeichen gesetzt werden". In Berlin und Hamburg soll der öffentliche Nahverkehr am Mittag für eine Minute ruhen.
DGB-Chef Michael Sommer sagte, die Rückmeldungen von Betrieben zu der Schweigeminute seien überwältigend. "Ich wünsche mir, dass sich viele Menschen beteiligen und unser Land eine Minute innehält." Viele Betriebe und der Zusammenhalt vieler Belegschaften seien positive Beispiele für erfolgreiche Integration, Respekt und Toleranz.
Opfer der Mordserie in verschiedenen deutschen Großstädten waren acht türkischstämmige und ein griechischer Kleinunternehmer sowie eine deutsche Polizeibeamtin. Zugeschrieben werden die Verbrechen drei mutmaßlichen Rechtsterroristen.
Zehn Morde

Fahndungsbilder von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (v.l.).
(Foto: picture alliance / dpa)
Die bis November 2011 unbekannte Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" hat nach bisherigen Erkenntnissen zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordet. Ihr letztes Opfer war eine Polizistin, alle anderen hatten einen türkischen oder griechischen Migrationshintergrund. Außerdem werden der Gruppe zwei Sprengstoffanschläge in Köln 2001 und 2004 mit insgesamt 23 Verletzten sowie eine Serie von Banküberfällen zur Last gelegt.
Da zwei der Mitarbeiter oder Inhaber von Imbissbuden gewesen waren, war die Mordserie in den Medien als "Döner-Morde" bezeichnet worden. Der Begriff wurde Anfang Januar zum Unwort des Jahres gewählt. Die Sonderkommission, die Mitte 2005 eingerichtet wurde, trug den Namen "Soko Bosporus". Hinterbliebene hatten sich beschwert, dass die Ermittler den rechtsradikalen Hintergrund der Taten jahrelang übersehen und die Täter stattdessen etwa im Umfeld der Ermordeten vermutet hatten.
Die Terrorzelle flog erst auf, nachdem zwei ihrer Mitglieder, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, sich am 4. November 2011 umgebracht hatten, um sich der Festnahme zu entziehen. Beate Zschäpe, die mit den beiden im Untergrund gelebt hatte, stellte sich vier Tage später der Polizei.
Merkel springt für Wulff ein
Die Hauptrede bei der Gedenkfeier im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin wird Bundeskanzlerin Angela Merkel halten. Auch zwei Töchter von Ermordeten sollen sprechen. Die Veranstaltung geht auf eine Initiative von Ex-Bundespräsident Chrstian Wulff zurück.
Ursprünglich sollte Wulff auch die Hauptrede halten; Wulff ist jedoch am vergangenen Freitag zurückgetreten. Wulffs designierter Nachfolger Joachim Gauck, der im vergangenen November gesagt hatte, er halte nichts von dem Vorschlag eines Staatsakt für die Opfer der Neonazi-Mordserie, wird unter den insgesamt 1200 geladenen Gästen sein.
Unter den Wahlmännern und -frauen, die am 18. März den neuen Bundespräsidenten wählen, wird auch eine Angehörige eines Opfers der Neonazi-Mordserie sein. Am Mittwoch war bekannt geworden, dass die Landtagsfraktion der Grünen in Nordrhein-Westfalen die Tochter des im April 2006 ermordeten türkischstämmigen Kioskbetreibers Mehmet Kubasik in die Bundesversammlung entsenden wolle.
Seit Solingen "hat sich nichts verändert"
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, äußerte sich skeptisch zu der Gedenkfeier. Was Politiker Anfang der 90er Jahre nach den Morden in Mölln und Solingen gesagt hätten, könne man "heute wortwörtlich übernehmen, da hat sich nichts verändert", sagte er der Zeitung "Neues Deutschland". "Es ist wichtig, dass man Rassismus verurteilt, aber das reicht nicht aus." Er vermisse eine klare Strategie der Bundesregierung gegen den gesellschaftlichen Rassismus.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, forderte, die Gedenkfeier müsse "mehr sein als ein Zeichen der Solidarität und Anteilnahme". In der "Neuen Osnabrücker Zeitung" verlangte er "ein klares und demonstratives Bekenntnis zum resoluten Einschreiten gegen Rechts", dem konkrete Taten folgen müssten. "Wir dürfen Antisemitismus und Rassismus keinen Platz mehr gewähren, weder auf politischer noch auf gesellschaftlicher Ebene."
"Angehörige wollen wissen, wie Ermittlungen verlaufen"
Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Neonazi-Opfer, die frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John, forderte von den Ermittlungsbehörden eine ständige Information der Angehörigen. "Für alle Angehörigen der Opfer ist es wichtig, von den Behörden zu erfahren, wie die Ermittlungen verlaufen, wie es damit weitergeht", sagte sie der "Welt". Generalbundesanwalt Harald Range müsse hier einen gangbaren Weg finden.
Wie die Zeitung unter Berufung auf Zahlen des Bundesjustizministeriums weiter berichtete, wurden an die Opfer-Familien bisher rund 437.000 Euro ausgezahlt. Von Ende November 2011 bis zum 21. Februar 2012 habe es in 61 Fällen sogenannte Härteleistungen an Eltern, Ehepartner, Kinder und Geschwister der Opfer der Mordserie sowie an die Verletzten der Bombenanschläge von 2001 und 2004 in Köln gegeben.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/AFP