Interview mit Bärbel Höhn "Ministerin Aigner drückt sich"
06.06.2011, 14:21 UhrDie stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Höhn erhebt in der EHEC-Krise schwere Vorwürfe. Die Regierung habe die Infektionswelle vollkommen unterschätzt und sich weggeduckt, sagt sie n-tv.de. So sei wertvolle Zeit verloren gegangen.
n-tv.de: Wie schätzen Sie den Umgang von Bundesverbraucherschutzministerium und Gesundheitsministerium mit der EHEC-Infektionswelle ein?
Bärbel Höhn: Ministerin Ilse Aigner und Minister Daniel Bahr haben beide zu spät reagiert. Beide sind in dieser Krise mehr Getriebene denn Handelnde. Sie hätten schon längst in Absprache mit den Ländern ein Arbeitskrisenstab errichten müssen, der die Suche nach dem Erreger zusammenführt und aktiv vorantreibt. Bisher läuft die Suche nach dem Auslöser der Seuche zu unkoordiniert ab. Da wurde zu viel wertvolle Zeit verspielt.
Haben die zuständigen Ministerien und Ämter die Krise richtig eingeschätzt?
Die Krise wurde von beiden Ministern lange unterschätzt. Sie haben sich beide weggeduckt. Ministerin Aigner trat erst Tage nach der ersten Meldung von sprunghaft angestiegenen EHEC-Fällen mit einem vorgefertigten Statement in der "Bild"-Zeitung in Erscheinung – aber leider ohne konkreten Krisenplan.
Warum ist die Infektionsquelle immer noch unklar?
Den Auslöser eines EHEC-Ausbruchs zu finden, ist sehr schwer. Hier kommt es darauf an, schnell und möglichst weitflächig zu suchen. Jede Stunde zählt. Die Patientenbefragung ist aber viel zu spät und begrenzt angelaufen. Auch war die Auswahl der Lebensmittel, nach der gefragt wurde, zu eingeengt. Nach dem Verzehr von Sprossen, die in der Vergangenheit auch schon mal als Überträger von EHEC aufgefallen waren, ist zum Beispiel gar nicht erst gefragt worden.
Auf dem Papier ist die deutsche Lebensmittelkontrolle lückenlos, allerdings fühlt sich die Bevölkerung schlecht informiert und aufgeklärt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Ministerin Aigner hat das Informationsbedürfnis der Verbraucher klar unterschätzt. Es gab ja lange noch nicht einmal eine Telefonhotline für die Verbraucher. Ein solches Bürgertelefon hätte sie aktiv bewerben müssen. Dazu mussten wir sie im Sonderausschuss erst auffordern.
Bei jedem Lebensmittelskandal wird wieder neu beklagt, wie zersplittert die Lebensmittelkontrolle in Europa, Deutschland und den Bundesländern ist. Was müsste sich da ändern?
In Lebensmittelkrisen ist entscheidend, dass eine Person die Verantwortung übernimmt. Künast und Seehofer haben das in ihrer Amtszeit gemacht. Ministerin Aigner tut dies aber, wie auch schon in der Dioxinkrise, nicht. Sie drückt sich davor, Verantwortung zu übernehmen. Natürlich müssen die Länder kontrollieren. Aber dem Verbraucherministerium kommt die zentrale Koordinierungsaufgabe zu. Bei Besorgnis erregenden Verläufen muss zügig ein Krisenstab eingerichtet werden.
Mit Bärbel Höhn sprach Solveig Bach
Quelle: ntv.de