Minister darf nicht in den Gazastreifen Niebels Kritik verstört Israel
20.06.2010, 16:06 Uhr
"Großer Fehler": Niebel bei seinem Besuch in Nablus.
(Foto: dpa)
Entwicklungsminister Niebel sorgt für Irritationen im deutsch-israelischen Verhältnis. Weil er nicht in den Gazastreifen darf, übt er scharfe Kritik: "Es ist für Israel fünf Minuten vor Zwölf." Israel reagiert überrascht. Das Einreiseverbot sei üblich und lange bekannt.
Israel hat Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel einen Besuch im Gazastreifen verwehrt und damit heftige Kritik ausgelöst. Diese Entscheidung sei ein "großer außenpolitischer Fehler", sagte Niebel der "Leipziger Volkszeitung". Kritik kam auch von FDP und CDU sowie von den oppositionellen Linken und den Grünen, während der Zentralrat der Juden für die Entscheidung Verständnis äußerte und den Minister angriff.
Die Blockade sei "kein Zeichen von Stärke, sondern eher ein Beleg unausgesprochener Angst", sagte Niebel. Die Zeit, die Israel angesichts der internationalen Proteste gegen die Gaza-Blockade und der stockenden Friedensverhandlungen mit den Palästinensern noch bleibe, neige sich dem Ende zu. "Es ist für Israel fünf Minuten vor Zwölf", sagte Niebel. Israel sollte jetzt jede Chance nutzen, "um die Uhr noch anzuhalten".

Ein Mann der Praxis: Dirk Niebel (2. von links) bei der Eröffnung einer Kläranlage in der Westbank.
(Foto: picture alliance / dpa)
Israel wurde von der Kritik Niebels überrascht. "Es gibt eine klare Politik", sagte ein Repräsentant des israelischen Außenamtes. "Wir haben den Europäern schon seit langem erklärt, dass wir die Einreise ranghoher Politiker in den Gazastreifen nicht erlauben." Israel erlaube keine Besuche ausländischer Politiker im Gazastreifen, weil die dort herrschende radikal-islamische Hamas diese zu Propagandazwecken ausnutze. Dies würde wiederum die gemäßigte Führung des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas im Westjordanland schwächen.
"Macht es Freunden nicht einfach"
Im ZDF zeigte sich Niebel enttäuscht von der Entscheidung der israelischen Behörden. "Ich hätte mir gewünscht, dass hier ein klares politisches Signal für eine Öffnung und für Transparenz gesetzt worden wäre. Manchmal macht es die israelische Regierung ihren Freunden nicht einfach zu erklären, wieso sie so handelt, wie sie es tut." Niebel startete am Samstag seine viertägige Nahostreise, im Rahmen derer er eigentlich den Gazastreifen besuchen wollte. Er war dort mit Vertretern des UN-Hilfswerks für die palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) verabredet.
Der "LVZ" sagte Niebel, wenn die israelische Regierung Unterstützung für ihre neue Strategie erwarte, dann müsse sie "zunächst selbst für mehr Transparenz und für eine neue Partnerschaft sorgen". Israel hatte sich nach immensem internationalen Druck zu einer Lockerung der Landblockade gegen den Gazastreifen bereiterklärt und will nun deutlich mehr Güter in das Gebiet liefern. Die Seeblockade soll jedoch aufrechterhalten bleiben.
Westerwelle bedauert Entscheidung
FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle erklärte, er "bedaure die Entscheidung" Israels. Ziel der Bundesregierung bleibe das vollständige Ende der Abriegelung des Gazastreifens. CDU-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff sagte dem "Hamburger Abendblatt", mit solch einer Aktion schade Israel "seinen eigenen Interessen". Er forderte den "ungehinderten Zugang" für internationale Gäste und Politiker zum Gazastreifen.
Auch Linke und Grüne äußerten Kritik. Diese Entscheidung sei "rechtswidrig und provokativ", erklärte der außenpolitische Sprecher der Linken, Wolfgang Gehrcke. Israel habe damit die Pläne zur Lockerung der Blockade gegen den Gazastreifen "ad absurdum geführt". Grünen-Politiker Volker Beck bezeichnete das Verbot als "unverständlich".
Der Zentralrat der Juden äußerte hingegen Verständnis. Israel wolle "unbedingt jede Eskalation vermeiden", sagte Vizepräsident Dieter Graumann dem "Handelsblatt". Das Land fühle sich einer "vielfach übertriebenen und ungerechten Hetzkampagne" ausgesetzt und reagiere daher "besonders verletzt". Graumann riet dazu, den Vorfall nicht überzubewerten. "Es war sehr ungeschickt, wie Niebel das Ganze hat zuspitzen lassen."
Nur Experten und Organisationen
Die Hamas hatte im Juni 2007 gewaltsam die Kontrolle im Gazastreifen an sich gerissen und die Führung der rivalisierenden Fatah vertrieben. Die Organisation steht auf der Terrorliste der Europäischen Union. Das Nahost-Quartett (UN, EU, USA und Russland) hat als Bedingung für eine Beendigung des internationalen Boykotts von der Hamas gefordert, Israels Existenzrecht anzuerkennen, der Gewalt abzuschwören und die unterzeichneten Nahost-Friedensabkommen anzuerkennen. Dies verweigert die Hamas, deren Charta zur Zerstörung Israels aufruft. Israel fordert als Bedingung für ein Ende der Blockade auch eine Freilassung des vor vier Jahren entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit.
Die israelische Regierung erklärte, das Land habe kein Problem mit dem Besuch ausländischer Experten und Beamten im Gazastreifen, die Hilfsprojekte begutachten wollten. "Sie können problemlos einreisen", sagte er. Eine weitere Ausnahme seien Repräsentanten multilateraler Organisationen wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die das Palästinensergebiet in diesem Jahr besucht haben.
Niebel besucht Jerusalem
Im Westjordanland, wo sich Niebel am Samstag aufhielt, bekräftigte er indes das Engagement Deutschlands in den Palästinensergebieten. Nach Angaben des Entwicklungsministeriums sagte die Regierung für das Jahr 2010 insgesamt 42,5 Millionen Euro für die deutsch-palästinensische Entwicklungszusammenarbeit zu. Kernpunkte der Unterstützung sind demnach der Wasser- und Abwassersektor und die Wirtschaft in den Palästinensergebieten.
Nahe Nablus im Westjordanland setzte Niebel mit dem palästinensischen Regierungschef Salam Fajad den Bau einer neuen Kläranlage in Gang, von der mittelfristig 250.000 Menschen profitieren sollen. Niebel traf im Westjordanland auch mit Palästinenserpräsident Abbas zusammen. Am Montag und Dienstag will er sich in Jerusalem aufhalten.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa