"...dass mich alle kennen!" Porträt eines Amokläufers
29.04.2002, 12:49 UhrBis zum letzten Freitag war er nur ein Schüler unter Millionen in Deutschland. Nun hat er sich als „Amokschütze von Erfurt“ in die Annalen der Mörder der Bundesrepublik geschossen, Robert Steinhäuser, ein 19-Jähriger aus Erfurt.
Das Familienleben
Sein bürgerliches Umfeld deutet nicht auf das fatale wie brutale Ende des jungen Mannes hin. Wiewohl sich seine Eltern schon getrennt hatten, lebte die Familie gemeinsam in einem gepflegten Altbau in Erfurt, nur wenige hundert Meter vom Tatort, dem Gutenberg-Gymnasium, entfernt. Robert und seine Mutter bewohnten die Dachgeschosswohnung. Ein Stockwerk tiefer wohnten sein Vater und die Großeltern.
Seine Mutter arbeitet als Krankenschwester in der Erfurter Hautklinik, sein Vater ist Ingenieur bei der Firma Siemens. Robert hat einen sechs Jahre älteren Bruder. Der 25-jährige Peter Steinhäuser studiert an der Fachhochschule in Schmalkalden.
Auch Roberts Zimmer unterschied sich beim ersten Hinsehen nicht von dem anderer junger Leute. Ein Bett mit rotweiß gestreifter Decke, ein Schrank, an den Wänden Poster von Musikstars wie der Sängerin Viktoria Beckham, von der Mädchenband „Spice-Girls“. Freunde erzählten, Robert schwärmte von der US-Schauspielerin Pamela Anderson. Er selbst hatte aber keine Freundin. „Ich habe noch nie gesehen, dass er was mit Mädchen hatte“, so ein Freund. Robert galt weder als besonders exzessiv noch rüpelhaft. „Er war ein höflicher Junge, der ganz selten Alkohol trank“, charakterisierte ihn der Vater eines Freundes.
Hobbys eines Jugendlichen
Über die Vergangenheit des korpulenten, pausbäckigen Robert ist bekannt, dass er bis zur A-Jugend im Handballverein SSV Erfurt als Torwart spielte. Mitspieler bezeichneten ihn allerdings als nicht besonders gut und eher leidenschaftslos. Sein ehemaliger Handball-Jugendwart sagte: „Er war korpulent, aber durchtrainiert, ein ruhiger Typ, nicht der Macher“.
Musikalisch stand Robert auf harte Töne, ebenfalls nichts Ungewöhnliches für junge Männer. Heavy-Metal war sein Stil, seine Lieblingsband soll laut Freunden die Band „Slipknot“ aus dem US-Bundesstaat Iowa gewesen sein.
Eine andere Vorliebe des 19-Jährigen ist ebenfalls weit verbreitet bei Jugendlichen, also ebenfalls nichts besonderes. Computer- und Videospiele der Rubrik „Ballern und Gewalt“. Diese wurden nach der Tat ebenso von der Polizei zur Auswertung beschlagnahmt wie zahlreiche Videokassetten mit Action- und Horrorfilmen.
Roberts Lieblings-Computergame soll „Counterstrike“ gewesen sein. In diesem Actiongame bekriegt eine Anti-Terroreinheit eine Terroristengruppe in grauen Betonwelten und Wüstenlandschaften. ‚Töten oder getötet werden’, ist hier das Motto. Ähnlich das Spiel „Quake“, das Robert häufiger mit seinem Kumpel Niko, ebenfalls 19, zum virtuellen Ballern nutzte.
Und war es nur das übliche Aufschneiden eines Jugendlichen, dass sich Robert beim Chatten am Computer mitunter „Satans Sohn“ nannte? Fragen, die wohl offen bleiben. Ein Lehrer meinte über Robert: „Er war freundlich und ruhig, manchmal aber großmäulig und oberflächlich“.
Der Waffennarr
Fakt ist jedenfalls, das der Amokschütze vor eineinhalb Jahren einem Schießsportverein beitrat. Der damals 17-Jährige hatte die Registriernummer 128 im Sportschützenverein Domblick, einer Unterabteilung des Erfurter Polizeisportvereins. Auch dies klingt im Nachhinein wie Ironie.
Roberts Mutter sagte: „Er war ein Waffennarr und schnell auf die Palme zu bringen“. Robert übte mit Kleinkaliber- und 9-Milimeter-Waffen, „besonders gut war er auf der 25-Meter-Distanz“, so ein Vereinskamerad. Und ein anderer ergänzt, „ ich kannte ihn als ruhigen Typen, aber er war ein ausgezeichneter Schütze“. Trainiert hatte Robert jedoch in den letzten drei Monaten auf dem Vereinsgelände nicht mehr, so die Unterlagen.
Andererseits, dank der Waffenbesitzkarte, die er via Vereinsmitgliedschaft erstand, konnte er sich legal mit Waffen eindecken. So erstand er die Tatwaffe, eine Pistole der Marke „Glock 17“, produziert in Österreich, die wegen ihrer Robustheit sehr oft bei Armeen und der Polizei eingesetzt wird. Die Munition besteht aus Patronen vom Typ „9 Millimeter Parabellum“, die besonders stark und somit durchschlagskräftig sind. Das doppelreihige Magazin beinhaltet bis zu 18 Schuss. Roberts Pump-Gun, die ebenfalls am Tatort gefunden wurde, ist ein nur einen Meter langes Repetiergewehr, das Schrotmunition verschießt und wegen der brutalen Streu- und Vernichtungswirkung gefürchtet ist. Etliche Spezialeinsatzkommandos sind damit ausgerüstet.
Leidiges Thema Schule
Wenn Computer, Videos und Waffen auch zu Roberts ultimativen Hobbys zählten, die Schule schien es nicht zu sein. Im letzten Jahr wurde er nicht von der elften in die zwölfte Klasse versetzt. Anfang dieses Jahres fehlte er häufiger. Als Entschuldigung legte er Atteste vor, die sich dann aber als gefälscht herausstellten.
Die Konsequenz: Robert flog im Februar dieses Jahres wegen Urkundenfälschung vom Gymnasium. Im Bundesland Thüringen hat das zur Folge, dass es dann keinen höherwertigen Schul-Abschluss gibt. Der Weg zu einem Studium, wie es sein Bruder vorlebte, war so eindeutig versperrt.
Für Robert war dies anscheinend eine Demütigung, die er nicht ertragen konnte. Auf jeden Fall hielt er diesen Rauswurf vor seinen Eltern geheim, zuhause tat er so, als ob er für das Abitur büffelte. Selbst am Freitag, dem Tag der Untat, verabschiedete er sich von seiner Mutter mit den Worten, „ich habe heute Prüfungen“. Sie wünschte ihm noch viel Glück.
Das Bild, das Roberts ehemaligen Mitschüler über ihn zeichnen, ist vieldeutig: „Ruhig, kontaktfreudig, durchaus intelligent, beliebt, introvertiert bis arrogant, wollte immer auffallen, ist damit bei Lehrern angeeckt, hatte einen Hass auf alle Lehrer“. Soweit Roberts Mitschüler.
Und nur wenige Wochen vor dem schrecklichen Amoklauf von Erfurt soll Robert erklärt haben: „Einmal möchte ich, dass mich alle kennen!“
Quelle: ntv.de