Die Abmahnwelle kann kommenPresseschutz, der keinen schützt
Von Thomas Leidel
Monatelang wurde mit harten Bandagen gerungen, jetzt ist es da, das sagenhafte Leistungsschutzrecht. Deutsche Verlage träumten einst davon, mit seiner Hilfe den verhassten Riesen Google zur Ader zu lassen. Jetzt füllen sich, wenn überhaupt, nur Abmahnanwälte die Taschen.
Für Springer-Chef Mathias Döpfner ist es eine "Schicksalsfrage". Zwar eilt sein Konzern dank "Bild" und "Welt" erlösmäßig von Rekord zu Rekord, trotzdem bereitet ihm der Internet-Konzern Google existentielle Sorgen. Denn Döpfner fühlt sich bestohlen. Nutzt Google nicht ungefragt ganze Sätze aus den Springer-Zeitungen, um die Links zu den Webseiten des Verlages zu beschreiben? Dass Google so zwar auch millionenfach Leser auf die Seiten bringt und so das stark wachsende digitale Geschäft befeuert, ficht Döpfner nicht an.
Um den Suchmaschinenbetreiber und andere Nachrichten-Aggregatoren zur Kasse zu bitten, hat er sich, gemeinsam mit Vertretern von Burda und einiger weiterer Verlage, den Leistungsschutz für Presseerzeugnisse ausgedacht - in Anlehnung an Rechte anderer "Werkmittler", etwa Plattenfirmen oder Filmverleihe, wie der Bund Deutscher Zeitungsverleger nicht müde wird zu betonen.
Hartnäckige Lobbyarbeit hat nun zum Erfolg geführt - oder jedenfalls fast. Denn das, was vom Bundestag als "Leistungsschutzrecht" verabschiedet wurde, wird nicht den Verlagen als Mittler (und schon gar nicht den Autoren als Werkschöpfer) Schutz bieten oder substanzielle Einnahmen bescheren.
So oder so wäre es für Google - den weit und breit einzigen potenten potentiellen Zahler - ein Leichtes gewesen, etwaige Lizenzgebühren zu vermeiden. Es hätte ja genügt, die Erzeugnisse der deutschen Verlage kurzerhand aus den Suchergebnissen auszulisten. Wer davon den größten Schaden hätte, kann sich jeder selbst ausmalen.
Untauglichen Entwurf selbst kastriert
Praktischerweise hat der Gesetzgeber aber seinen von Anbeginn untauglichen Entwurf, an dem kaum ein unabhängiger Experte auch nur ein gutes Haar gelassen hatte, in letzter Minute selbst kastriert: "einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte", also genau das, um was es ja bestenfalls ging, wurden mit einem Federstrich vom Presseschutz ausgenommen.
Immerhin weigerte sich die Koalition, konkret zu definieren, was genau und insbesondere wie lang ein solcher, im Fachjargon der Suchmaschinen "Snippet" genannter, Textausschnitt sein darf. Verlage und Suchmaschinen sollen genau das gefälligst untereinander aushandeln, meint die Koalition.
Freude in der Abmahn-Branche
So kann sich jedenfalls eine Gruppe uneingeschränkt über das neue Gesetz freuen: spezialisierte Anwaltskanzleien und ihre Helfershelfer, die bereits ausführlich bewiesen haben, dass sie willens und in der Lage sind, sich mit Massen-Abmahnungen auf Kosten Wehr- und Ahnungsloser eine goldene Nase zu verdienen, immer hart an der Grenze zum Rechtsmissbrauch entlang. (Ein Gebiet nebenbei, dem sich Rechtspflege und Legislative noch einmal im Sinne der Verbraucher zuwenden könnten. Über die einst gesetzlich festgelegte Kostenobergrenze für einfache Fälle in Höhe von 100 Euro lacht sich die Branche bis heute schlapp.)
Einen Vorteil haben die großen Presseverlage nun wohl nicht. Der Schaden hält sich für sie aber in Grenzen. Ihre Rechtsabteilungen können einerseits Abmahn-Attacken abwehren und andererseits bei Bedarf mit Suchmaschinen Lizenzverträge aushandeln und abschließen. Wer aber nicht diese Möglichkeiten hat - Kleinverlage, Blogger oder junge Unternehmen aus dem Bereich Nachrichten-Aggregation und Content-Kuratierung - werden sehen müssen, wie sie zurechtkommen. Oder eben gar nicht erst an den Start gehen. Land der Ideen? IT-Standort Deutschland? Regierungskunst 2.0? Sieht eindeutig anders aus.