Politik

Linke verärgert über Richterwahl "Wieder ist das Verfahren durch die Koalition und durch Leaks torpediert worden"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Drei Richterämter am Bundesverfassungsgericht sind neu zu besetzen. Im Juli platzte im Bundestag ein erster Wahlversuch.

Drei Richterämter am Bundesverfassungsgericht sind neu zu besetzen. Im Juli platzte im Bundestag ein erster Wahlversuch.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wenn Union und SPD die neuen Verfassungsrichter im Bundestag nicht mit den Stimmen der AfD wählen wollen, sind sie auf Grüne und Linke angewiesen. Die Linke hält sich jedoch bedeckt: Es gebe die Möglichkeit, dass CDU-Kandidat Günter Spinner "der erste Kandidat wird, bei dem das Wahlrecht auf den Bundesrat übergeht", sagt die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger. Sie wirft der Koalition vor, das Verfahren erneut zu torpedieren. Bünger kritisiert vor allem die Union: "Mindestens 30 Abgeordnete von CDU und CSU sind offensichtlich bereit, gemeinsame Sache mit der AfD zu machen."

ntv.de: Wann und wie haben Sie von der Nominierung von Sigrid Emmenegger erfahren?

Clara Bünger: Wir haben erst sehr kurz, bevor der Name öffentlich wurde, davon erfahren.

Clara Bünger vertritt die Linksfraktion im Wahlausschuss des Bundestags. Das zwölfköpfige Gremium schlägt dem Bundestag Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht vor, die dann im Parlament eine Zweidrittelmehrheit brauchen.

Clara Bünger vertritt die Linksfraktion im Wahlausschuss des Bundestags. Das zwölfköpfige Gremium schlägt dem Bundestag Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht vor, die dann im Parlament eine Zweidrittelmehrheit brauchen.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Ist das nicht ein ungewöhnliches Vorgehen? Ist der übliche Weg nicht, dass der Name erst bekannt gemacht wird, wenn die Mehrheit für die Kandidatinnen sicher ist?

Es ist zumindest üblich, dass die Fraktionen die Gelegenheit bekommen, sich mit der Personalie auseinanderzusetzen. Das hätten wir auch in diesem Fall erwartet. Bislang konnten wir das nicht machen. Wir hatten dafür einfach nicht ausreichend Zeit. Deshalb hat uns das Vorgehen der Regierungsfraktionen überrascht und auch verärgert. Aus unserer Sicht geht das so nicht. Wieder ist das Verfahren durch die Regierungsfraktionen und durch Leaks torpediert worden. Da muss man leider sagen, dass der Wahlprozess gleich zu Beginn in die Hose gegangen ist.

Dann haben Sie noch nicht entschieden, ob Sie persönlich im Richterwahlausschuss und Ihre Fraktion später im Bundestag für Sigrid Emmenegger stimmen werden?

Wir als Linke wollen ein geregeltes Verfahren durchführen: uns inhaltlich mit der Personalie beschäftigen und mit der Person auseinandersetzen, in der Fraktion darüber sprechen, um dann eine sichere Stimme abgeben zu können.

Was ist mit den weiteren, seit Juli bekannten Kandidaten Ann-Katrin Kaufhold und Günter Spinner? Über die konnten Sie sich ja schon ein Bild machen.

Das konnten wir. Aber die geplatzte Wahl vor der Sommerpause war eine Zäsur. Deswegen gibt es aus unserer Sicht keinen Automatismus mehr, dass wir den von SPD und Union vorgeschlagenen Personen zustimmen. Die Union hat, getrieben von rechts, eine Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf betrieben, die am Ende sogar zu Morddrohungen gegen sie geführt hat. Wir wollen deshalb erst einmal zu einem geregelten Verfahren zurückkehren. Deshalb machen wir als Fraktion uns Gedanken darüber, wie wir uns verhalten. Dieser Prozess findet in der kommenden Woche statt.

Über die Positionen von Frau Emmenegger zu strittigen Themen ist nichts bekannt, sie ist, so das einhellige Urteil, nicht skandalisierbar. Christian Rath schreibt in der "Legal Tribune Online", man könne "nun lange diskutieren, ob die SPD hier klug oder feige agiert". Was wäre Ihre Einschätzung?

Wir setzen uns nicht damit auseinander, ob die SPD klug oder feige agiert. Nach der geplatzten Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf wäre es vielleicht eine gute Idee gewesen, sich mutig darzustellen und nicht einzuknicken. Aber das muss die SPD für sich klären. Uns ist das Bundesverfassungsgericht wichtig, deshalb darf man da auch nicht irgendwelche Spielchen mitmachen und das übliche Verfahren torpedieren.

Die Grünen wollen nur für Kandidatinnen und Kandidaten stimmen, die auch von der Linken unterstützt werden. So soll verhindert werden, dass ein Richter nur mit Hilfe der AfD auf die notwendige Zweidrittelmehrheit kommt. Damit ist es letztlich Ihre Fraktion, an der die Entscheidung hängt.

Was die Grünen machen, müssen die Grünen für sich entscheiden. Wir als Linksfraktion tragen Verantwortung für unsere Entscheidungen. Und weil diese Entscheidung so wichtig ist und weil das vor dem Hintergrund vor dem, was vor der Sommerpause passiert ist, für uns keine einfache Frage ist, müssen wir das in einem größeren Zusammenhang sehen. Deshalb werden wir uns ausreichend Zeit nehmen. In jedem Fall ist es ein Armutszeugnis, dass die Union es nicht geschafft hat, für stabile, sichere Mehrheiten zu sorgen. Stattdessen ist im Juli deutlich geworden, wie zerstritten sie ist: Teile der Fraktion sind schon sehr radikal konservativ, mindestens 30 Abgeordnete von CDU und CSU sind offensichtlich bereit, gemeinsame Sache mit der AfD zu machen. Wenn am Horizont eine blau-schwarze Koalition schimmert, wir aber auch wissen, dass die AfD die Demokratie abschaffen und das Bundesverfassungsgericht für eigene Zwecke politisieren will, dann müssen wir dafür sorgen, dass dieses Gericht nicht zum Spielball parteitaktischer Spielchen wird. Wir müssen die Institutionen stärken, die für den Erhalt der Demokratie wichtig sind. Gleichzeitig zeigen wir als Linke klare Kante: Was die Union vor der Sommerpause gemacht hat, darf sich nicht wiederholen.

Die Unionsfraktion hat noch immer keine Gespräche mit Ihrer Fraktion geführt?

Bisher ist die Union nicht offiziell auf uns zugekommen. Wir haben immer gesagt, dass wir gesprächsbereit sind. Aber wir laufen auch nicht einer Union hinterher, die nicht verstanden hat, dass sie Teil des Problems ist.

Befürchten Sie, dass Sie als Fraktion am Ende in jedem Fall kritisiert werden? Wenn Sie die Zustimmung verweigern, könnte man Ihnen vorwerfen, zumindest indirekt das Bundesverfassungsgericht zu beschädigen. Und wenn Sie zustimmen, werden einige in Ihrer Partei nicht begeistert sein, dass Sie geholfen haben, einen konservativen Richter zu installieren - den von der Union vorgeschlagenen Arbeitsrichter Spinner. Das ist für Sie doch ein echtes Dilemma.

Die Verantwortung liegt hier vor allem bei den Regierungsfraktionen. Sie müssen ein Verfahren einleiten, das Mehrheiten mit der AfD ausschließt. Das ist der Skandal, über den man sprechen muss. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Ich weiß nicht, ob das bei Union und SPD auch der Fall ist.

Aber die Wahl im Bundestag ist geheim und die AfD hat bereits angekündigt, dass sie Günter Spinner wählen wird. Wenn Sie ihn nicht wählen, könnte er der erste Verfassungsrichter sein, der mit Stimmen der AfD ins Amt gekommen ist.

Das wäre desaströs. Aber die Union hatte ausreichend Zeit, sich zu überlegen, wie eine Mehrheit ohne die AfD zustande kommen kann. Es sei denn, sie will das so. Es gibt allerdings auch die Möglichkeit, dass Herr Spinner der erste Kandidat wird, bei dem das Wahlrecht auf den Bundesrat übergeht. Rechtlich wäre das möglich, wenn sich der Bundestag nicht einigen kann. Das könnte theoretisch in der nächsten Sitzung des Bundesrats geschehen, am 26. September.

Mit Clara Bünger sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen