Emmenegger für Brosius-Gersdorf Schwarz-Rot zockt schon wieder mit Karlsruhe


SPD-Chef Miersch, der Unionsfraktionsvorsitzende Spahn, CSU-Landesgruppenchef Hoffmann wollten diesmal eine geordnete Richterwahl. Ob es klappt?
(Foto: picture alliance / Chris Emil Janßen)
Seit Wochen hat die SPD angeblich eine Ersatzkandidatin für Frauke Brosius-Gersdorf: Nun machen die Regierungsfraktionen gemeinsam den Namen der Frau öffentlich, die stattdessen ans Bundesverfassungsgericht gehen soll. Das Vorgehen von Union und SPD ist aber ähnlich riskant wie beim Debakel im Juli.
Frauke Brosius-Gersdorf wird bekanntermaßen nicht Richterin am Bundesverfassungsgericht. Rund einen Monat nach ihrem faktisch von CDU und CSU erzwungenen Verzicht auf die Kandidatur, schmeißt die SPD nun die Bundesverwaltungsrichterin Sigrid Emmenegger als Ersatzkandidatin ins Rennen um den hochangesehenen Posten. Die Zustimmung der Unionsfraktionsspitze hat die Personalie schon einmal. Das geht aus dem gemeinsamen Brief der Parlamentarischen Geschäftsführer von SPD und Union an ihre Abgeordneten hervor. Doch beendet ist die Krise um die Neubesetzung von drei Richterposten des Bundesverfassungsgerichts damit noch lange nicht.
Bekanntermaßen brauchen die Kandidatinnen und Kandidaten für Karlsruhe eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Hierfür bräuchte Schwarz-Rot zusätzlich die Stimmen aus den Fraktionen von Grünen und Linken. Andernfalls drohten die Kandidaten durchzufallen - oder durch Stimmen der AfD beschädigt zu werden. Dem Gespräch mit der Linken entzieht sich die CDU aber beständig unter Verweis auf ein in den Parteistatuten verankertes Kooperationsverbot. Die Krux: Die Veröffentlichung des Namens Emmenegger erfolgte nun, ohne überhaupt eine grundsätzliche Zustimmung oder Ablehnung von den beiden Oppositionsfraktionen abzuwarten.
Auf ersten Blick nicht skandalisierbar
Das ist einigermaßen abenteuerlich, nachdem das Debakel um die Wahl von Brosius-Gersdorf doch vor allem eine Konsequenz haben sollte: dass das Wahlverfahren im zweiten Anlauf ruhig und geordnet zugehen würde. Nichts weniger hatten die Spitzenvertreter der drei Regierungsparteien landauf, landab den ganzen Sommer über versprochen. Stattdessen droht nun die nächste Frau und angesehene Juristin zum Objekt politischer Zockerei zu werden.
Objektiv betrachtet dürfte es Grünen und Linken einigermaßen schwerfallen, sich gegen die Kandidatin zu stellen. Die Karriererichterin Emmenegger hat anders als die Universitätsprofessorin und Dozentin Brosius-Gersdorf wenig publiziert, was auf ihre politischen und gesellschaftlichen Ansichten schließen lässt. Sie ist eine Frau und offenkundig exzellente Juristin, die sich nicht leicht skandalisieren lässt. Was sie vermeintlich über Abtreibungen oder Corona-Maßnahmen denkt, lässt sich nicht durch drei Mausklicks und Googeln herausfinden. Das dürften zusammengenommen die maßgeblichsten Kriterien für das SPD-Findungsgremium gewesen sein: eindeutig qualifiziert, aber schwer für polarisierende Debatten zu missbrauchen.
Schwarzen Peter nach links gereicht
Doch die Aufgabe der Koalition war größer als nur eine Kandidatin zu finden, über die sich SPD, CDU und CSU nicht auf den letzten Metern öffentlich zerlegen. Bekanntlich müssen auf einen Schlag drei Richterstellen in Karlsruhe neu besetzt werden. Die Nominierungen der Universitätsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold und des Bundesarbeitsrichters Günter Spinner, die im Juli zusammen mit Brosius-Gersdorf gewählt werden sollten, stehen weiter. Doch gerade der von der Union vorgeschlagene Jurist Spinner ist kein Herzenskandidat linker Parteien, schon gar nicht der Linken. Dafür erachtet aber die AfD Spinner als wahlwürdig.
Schwarz-Rot muss also die beiden linken Oppositionsparteien umwerben, damit diese allen drei Kandidaten zustimmen - und nicht am Ende die AfD für sich reklamieren kann, erst durch die eigenen Stimmen einen Richter nach Karlsruhe gebracht zu haben. Die Grünen aber sind jetzt schon pikiert vom Vorgehen beider Regierungsparteien, den Namen Emmenegger öffentlich zu machen, ohne sich weiter abzustimmen. Linke und Grüne könnten nun, wie es in der Vergangenheit schon mit anderen Vorschlägen passiert ist, ihre Zustimmung im Richterwahlausschuss verweigern. Doch dann würde wohl ihnen der Schuh angezogen, die Arbeitsfähigkeit von Karlsruhe zu beschädigen.
Es ist denkbar arrogant, die Opposition vor vollendete Tatsachen zu stellen und darauf zu vertrauen, dass sie schon zustimmen wird - damit keine staatspolitische Krise entsteht und nicht noch eine Spitzenjuristin verheizt wird. Es ist zudem Ausdruck großer Hybris der Unionsparteien, den so oft gescholtenen Grünen und den als radikal betrachteten Linken solch ein Maß an Verantwortung zuzuschieben, wenn es wirklich drauf ankommt. Vor allem aber ist dieses Vorgehen die reinste Zockerei, dass das Ganze schon irgendwie gutgehen wird. Die Regierungskoalition präsentiert sich damit keinen Deut klüger als im Juli - dem Monat des ersten Richterwahldebakels.
Quelle: ntv.de