Anschlag in Damaskus Syriens Verteidigungsminister getötet
18.07.2012, 12:40 Uhr
Daud Radscheha (Mitte) wird getötet.
(Foto: dpa)
In Syriens Hauptstadt Damaskus kommt es in einem Regierungsgebäude zu einer schweren Explosion. Der Verteidigungsminister des Assad-Regimes kommt ums Leben, ebenso Assads Schwager. Unterdessen berichten abtrünnige Militärs Schreckliches aus Krankenhäusern. So sollen dort Verwundete einfach totgespritzt werden.
In der syrischen Hauptstadt Damaskus spitzt sich die Lage dramatisch zu. Vor dem Gebäude der Nationalen Sicherheitsbehörde detonierte ein Sprengsatz vor. Dabei starben im Al-Rawda-Viertel fünf Menschen. Unter den Toten ist Verteidigungsminister Daud Radscheha. Auch der Schwager von Baschar al-Assad wurde offenbar getötet. In dem Gebäude habe gerade eine hochrangig besetzte Sitzung stattgefunden, zahlreiche Angehörige der Sicherheitskräfte seien verletzt worden, hieß es. Unter den Verletzten soll Innenminister Mohammed Ibrahim al-Schaar sein.
Das Staatsfernsehen berichtete, das Attentat sei das Werk eines Selbstmordattentäters. Regimegegner sprachen von einer Autobombe. Bei mehreren Anschlägen in Damaskus in den vergangenen Monaten waren Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Die Opposition und das Regime hatten sich jeweils gegenseitig beschuldigt
Die Rebellen hatten zuvor eine "Schlacht für die Befreiung" von Damaskus angekündigt. Die regierungsnahe Zeitung "Al-Watan" titelte, der Kampf um Damaskus werde "bald beendet" sein, die Hauptstadt werde zum "Friedhof der Angreifer". Auch aus anderen Landesteilen wurden anhaltende Kämpfe gemeldet. Am Dienstag waren nach Angaben der Beobachtungsstelle bei der landesweiten Gewalt 93 Menschen getötet worden, darunter 48 Zivilisten.

Assad-Truppen in Damaskus: Bisher kann keine der beiden Seiten die Kontrolle übernehmen.
(Foto: REUTERS)
In China wirbt derweil UN-Generalsekretär Ban Ki Moon für eine Unterstützung des vom Westen eingebrachten Resolutionsentwurfs im Sicherheitsrat. Vor der entscheidenden Abstimmung kam Ban mit dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao zusammen und will Diplomaten zufolge anschließend auch dessen Stellvertreter Xi Jinping, Außenminister Yang Jiechi sowie den außenpolitischen Berater Dai Bingguo treffen.
Russland und China bewegen sich nicht
Peking und Moskau bereits hatten schon zwei Mal eine aussagekräftige Resolution gegen die Führung des mit ihnen verbündeten syrischen Präsidenten Baschar al-Assad verhindert. Der Resolutionsentwurf sieht eine Verlängerung des Beobachtereinsatzes in Syrien um drei Monate und Sanktionen vor, falls sich Damaskus nicht an den Friedensplan des Sondergesandten Kofi Annan hält. Die Abstimmung ist nötig, da das Mandat der UN-Beobachtermission ausläuft und diese ohne eine Verlängerung enden würde. Die Beobachter sollen die Einhaltung des Friedensplans überwachen, haben ihren Einsatz aber wegen der Gewalt derzeit ausgesetzt.
Der vom Westen vorgelegte Entwurf sei die "letzte Chance", dem Sechs-Punkte-Plan von Annan noch Leben einzuhauchen, sagte die Außenbeauftragte des oppositionellen Syrischen Nationalrats, Basma Kodmani. Sollte die Abstimmung scheitern, werde der Nationalrat "andere Alternativen mit internationalen und regionalen Freunden" prüfen, um das syrische Volk zu schützen. Ein erneutes Scheitern im UN-Sicherheitsrat wäre ein "Blankoscheck" für weitere Gewalt in Syrien.
Russland hatte bereits angekündigt, die Annahme der Resolution notfalls mit einem Veto zu verhindern. Moskau selbst legte noch einmal einen neuen eigenen Resolutionsentwurf vor, der das Beobachtermandat zwar verlängert, aber keine internationalen Konsequenzen für weitere Gewalt in Syrien vorsieht. Dieser wird Diplomaten zufolge aber von Großbritannien, Frankreich, den USA, Deutschland und Portugal abgelehnt.
Behandlungen zu teuer
Indessen gibt es neue grausame Berichte eines desertierten Offiziers. So sollen in syrischen Militärkrankenhäusern Verwundete totgespritzt werden. Er habe das als Stabsarzt im Militärkrankenhaus von Aleppo mit eigenen Augen gesehen, sagte Oberst Abdalhamid Zakaria dem "Stern". "In einer Nachtschicht sah ich fünf, die umgebracht wurden." Ähnlich äußerten sich in der Vergangenheit viele Verletzte, die fliehen konnten. Sie seien nicht ins Krankenhaus gegangen, weil dort Verhaftung oder Tod drohe, sagten sie.
Sein Spezialgebiet sei Augenheilkunde, berichtete Zakaria. Er habe oft verletzte Demonstranten wegen Hornhautablösung behandelt, das sei keine komplizierte Verletzung. "Aber wenn ich am nächsten Tag nach ihnen sehen wollte, hieß es: über Nacht verstorben." Auch verletzte Soldaten und Mitglieder der regimetreuen Schabiha-Miliz seien im Militärhospital getötet worden, sagte der Oberst. Das sei mit Kalzium-Injektionen geschehen, die einen Herzstillstand auslösten. Oder mit einer Überdosen Insulin, die zu einem sogenannten hypoglykämischen Koma und schließlich zum Tod führten.
Die Kämpfer seien ermordet worden, um zu verhindern, dass sie von Kriegsgräueln berichten, und um Geld für teure Behandlungen zu sparen, so der Militärarzt. Täter seien regimetreue Pfleger und Krankenschwestern gewesen. Aus Todesangst habe das Krankenhauspersonal nicht gewagt, Widerstand zu leisten. Oberst Zakaria hatte im Juni bekanntgegeben, dass er zusammen mit seinen Brüdern in die Türkei desertierte. Seine Frau und seine Kinder sind demnach ebenfalls in der Türkei.
Tlass bestreitet Ambitionen
Der langjährige Vertraute von Diktator Assad, der desertierte General Manaf Tlass, ruft indessen zu einem Wandel in seiner Heimat auf. Der bislang hochrangigste Deserteur, der Anfang Juli abgetaucht war, fordert ein Ende des "Blutvergießens" und warf der syrischen Führung vor, die "Hauptverantwortung" an der Krise in dem Land zu tragen.
Syrien müsse "durch einen konstruktiven Übergang" aus der Krise kommen, der die "Einheit, Stabilität und Sicherheit" des Landes sowie die "legitimen Bestrebungen" des Volkes gewährleisten müsse. Er sei ohne persönliche Ambitionen bereit, zu einer "besseren Zukunft" beizutragen. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius hatte vergangene Woche erklärt, dass Tlass in "Kontakt" mit der syrischen Opposition stehe. In seiner Erklärung geht Tlass aber nicht darauf ein, ob er sich der Opposition angeschlossen hat.
Tlass, dessen Familienangehörige sich ebenfalls nach Paris abgesetzt haben, war ein Jugendfreund des syrischen Präsidenten. Er gehörte lange Jahre zu einer Elite-Einheit, die für die Sicherheit der Staatsführung unmittelbar verantwortlich ist. Vor etwa einem Jahr soll er das Vertrauen der Staatsführung verloren haben. Er hatte sich um einen Ausgleich zwischen der Führung in Damaskus und den Rebellen bemüht. Sein Vater, General Mustafa Tlass, war Verteidigungsminister und ein Freund des Vaters von Baschar al-Assad, dem langjährigen Präsidenten Hafis al-Assad.
Immer mehr Angehörige der Streitkräfte setzen sich unterdessen in das Nachbarland Türkei ab. Wie aus türkischen Behördenkreisen verlautete, flüchteten wieder 600 Syrer über die Grenze. Darunter seien auch zwei Brigadegeneräle. Damit bietet die Türkei nun 20 Generälen aus Syrien Zuflucht.
Die türkische Regierung, die früher enge Verbindungen zum syrischen Staatschef Baschar al-Assad unterhielt, ist inzwischen ein Kritiker des Machthabers. Mehr als 43.000 Syrer sind nach offiziellen türkischen Angaben in das Land geflüchtet.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa/rts