Politik

Ein Ampel-Märchen bei ntv.de Überraschende Weihnachtsgrüße für den Kanzler

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Ein Weihnachtsbaum steht vor dem Kanzleramt

Ein Weihnachtsbaum steht vor dem Kanzleramt

(Foto: imago images/Sven Simon)

Spät am Heiligen Abend gönnt sich der Bundeskanzler ein letztes Glas Rotwein, als ihn eine ganz und gar unerwartete Nachricht erreicht. Sie zu beantworten, erweist sich in der weihnachtlichen Stimmung als gar nicht so leicht.

"Und so wünsche ich Ihnen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ein gesegnetes und erholsames Weihnachtsfest", beendete der Bundespräsident seine jährliche Fernsehansprache am Weihnachtsabend. "Gut gemacht, Frank", dachte Olaf und schloss die ntv-App auf seinem Tablet. Er trank den letzten Schluck Brunello di Montalcino. Der Bundeskanzler saß allein in seinem Wohnzimmer, seine Frau war schon zu Bett gegangen. Aus der Nachbarwohnung war leise das Gelächter einer offenbar größeren Runde von Erwachsenen zu hören. "Was für eine nette Familie", dachte Olaf. Die Bergmanns hatten in der Weihnachtsmesse drei Bänke vor ihm gesessen. Beide Kinder, Nele und … wie hieß der Junge doch gleich? ... hatten sich zu ihm umgedreht und schelmisch gegrinst. Olaf hatte ihnen die Zunge rausgestreckt und zugezwinkert. Nele und Thilo … Thilo heißt der Junge! ... hatten in gleicher Weise geantwortet. Alle drei mussten kichern. Herrlich!

Olaf wollte gerade vom Sofa aufstehen, nachschauen, ob noch Wein da war. In dem Moment vibrierte sein Handy und er blieb sitzen. Eine Textnachricht. Olaf öffnete die Kurznachrichten-App. Es waren unzählige Nachrichten eingegangen. Fast alle noch ungelesen. Die Parteikollegen, ein paar enge Mitarbeiter aus dem Kanzleramt, Emmanuel Macron und Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez. Sie alle hatten ihm Weihnachtsgrüße geschickt. Die meisten davon waren Antworten auf Nachrichten, die Olaf am Vormittag schon von seiner Büroleiterin hatte verschicken lassen. Emmanuel, Joe und ein paar anderen hatte er persönlich geschrieben. Die neue Nachricht aber war von einem unbekannten Absender. Seltsam: Diese private Telefonnummer von Olaf kannte wirklich nur der engste Kreis.


Olaf las: "Trotz allem: Dir und deinen Lieben frohe und erholsame Weihnachtstage. Im neuen Jahr steigen wir nochmal in den Ring! Wer weiß, zum letzten Mal? Gruß, Christian." Olaf hatte kaum zu Ende gelesen, als das iPhone in seiner Hand erneut vibrierte. "Ach ja, das ist meine neue Nummer. Die alte ist im Ministerium geblieben. Haha …", schrieb Christian. Er beendete die Nachricht mit ein paar dieser gelben Lachgesichter, deren Bedeutung Olaf nicht immer sicher einzuordnen wusste. Er selbst benutzte stets dieselben fünf Emojis: das lachende und das lächelnde Gesicht, das mit hängender Miene sowie den gereckten und den gesenkten Daumen.

Mit fünf kindischen Symbolen ließ sich ein ganzer Regierungsapparat steuern! Den Gedanken hatte Olaf schon oft und er musste immer wieder darüber schmunzeln. Sein Stab verstand ihn auch ohne Worte. Was für eine hübsche Pointe, falls er bald seine Autobiografie schreiben müssen würde. Beim Gedanken an die vorzeitige Politikrente aber wich das Schmunzeln schlagartig aus seinem Gesicht. "Nicht darüber nachdenken, Olaf! Kämpfen!", sagte sich Olaf. Oh ja, und wie er die kommenden Wochen kämpfen wird! Die werden alle schon noch sehen … Dann versuchte Olaf an etwas anderes zu denken. Ob er noch ein wenig lesen sollte? Doch die Gedanken wanderten zurück zu Christian.

Wie hatte er das gemeint? "Trotz allem …!" Hatte er Christian denn nicht vor aller Welt rundgemacht? Nie zuvor war ein Bundesminister vom Kanzler derart vom Hof gejagt worden. Und nun schreibt der Davongejagte "Trotz allem …" Der hat vielleicht Nerven! Und nun?

Olaf schickte einen Screenshot der Nachricht an Wolfgang, seinem wichtigsten Vertrauten und Mitstreiter im Kanzleramt. Sofort erschienen zwei Häkchen auf dem Bildschirm. Wolfgang war natürlich wach, las sofort, was sein Chef ihm schrieb, und antwortete in wenigen Sekunden: "Der erträgt es nicht, nicht geliebt zu werden. Ignorieren! Wurmt ihn am meisten", schrieb Wolfgang. Brillante Analyse! Immer im Angriffsmodus, der Wolfgang. "Hätte so von mir stammen können", dachte Olaf zufrieden. Doch auch dieses kleine Hochgefühl war nicht von Dauer. Lag Wolfgang da wirklich richtig? Christian zu ignorieren, ist das eine. Aber an Weihnachten?


"Bist du wach, Robert?", tippte Olaf, ohne allzu viel nachzudenken. Der Brunello war wirklich hervorragend. Wo hatte er den bloß her? "Ja, Familie schläft. Lese noch … Wieso?" Typisch! Keiner von ihnen konnte an freien Tagen abschalten, einfach mal früh zu Bett gehen und bis zum Morgen durchschlafen. Mehr als vier Stunden am Stück schaffte keiner mehr von ihnen. Was für ein Beruf. Ob das nach der Politikkarriere wieder besser wird?, fragte sich Olaf.

"Gutes Buch? Empfehlung?", tippte er.

"Hemingway: Wem die Stunde schlägt."

Olaf suchte ein Emoji, das ihm passend schien. War das Roberts Ernst? "Scherz!", schrieb Robert da schon hinterher. "Unveröffentlichter Roman. Eine Kollegin will meine Meinung wissen. Auf jeden Fall besser als Annalenas Buch." Dazu ein zwinkerndes Lachgesicht. "Was Wichtiges? Soll ich anrufen?", fragte Robert nun. "Nein", antwortete Olaf und schickte den Screenshot von Christians Nachricht hinterher. Anders als Wolfgang reagierte Robert darauf nicht sofort. "Robert schreibt …", stand ganz oben in der App. Dann passierte wieder nichts. Dann schrieb Robert offenbar wieder. So ging das hin und her. Olaf spürte Nervosität aufkommen. Sollte er noch eine Flasche öffnen? Unterm Weihnachtsbaum erspähte er ein noch verpacktes Geschenk in eindeutiger Flaschenform. Vielversprechend!

Das Handy vibrierte. Robert hatte geantwortet. "Ist doch nett! Antwortest du?" Dafür hatte Robert mehrere Minuten gebraucht? Olaf riss das Geschenkpapier auf. Kein erkennbarer Absender, keine Weihnachtskarte, dafür aber: derselbe Brunello! Selbes Weingut, selber Jahrgang. Wo kam der bloß her? Olaf ging in die Küche, um die Flasche zu öffnen. "Mist!", dachte er im Gehen. Jetzt musste er Robert UND Christian antworten. Es wurde komplizierter. Hätte er doch bloß ein Buch gelesen. Jetzt schenkte Olaf sich großzügig ein und dachte: "In der Politik muss man sich ehrlich machen!" Er grinste.


Das Handy vibrierte. Olaf eilte zurück zum Sofatisch, Wein schwappte übers Glas und tropfte auf den Teppich. Olaf ignorierte das. "Es ist ein kaltes Geschäft. Wir alle wollen geliebt werden. Prost", schrieb Robert nun. Dazu ein zwinkerndes Gesicht. Diese Emojis nervten jetzt aber echt! Und woher wusste Robert vom Brunello? Hatte er etwa …? Nein, Robert hatte ihm wie jedes Jahr ein Buch zu Weihnachten geschenkt. War diesmal auch gut ausgewählt, hatte Olaf aber natürlich längst gelesen. Zweimal!

Wie kam er aus dieser Nummer bloß wieder raus? Seine schlafende Frau konnte Olaf schlecht fragen. War wohl auch besser so. Sie hatte nichts übrig für diese "Männersachen", wie sie das nannte. Er musste das allein lösen. "Zum Wohl", schrieb er an Robert. Olaf beschloss, ihn über alles Weitere im Unklaren zu lassen. Aber was sollte er jetzt Christian schreiben? Olaf starrte auf den hell erleuchteten Tannenbaum im Wohnzimmer und ließ die Jahre mit Christian Revue passieren. Dann begann er zu tippen. Olaf schrieb immer neue Varianten einer Antwort und löschte sie gleich wieder. Mist! Konnte Christian in diesem Moment nicht auch diese Anzeige "Olaf schreibt …" sehen? Jetzt besser schnell. Es durfte keinesfalls so aussehen, als ob ihn, den Kanzler, Christians Nachricht groß beschäftigen würde.

"Das wünsche ich dir/euch auch. Danke. OS", tippte Olaf und drückte auf Senden. Gleich schoss ihm das Blut in die Wangen. War das nicht zu unpersönlich? Zu kalt? Er tippte eilig hinterher: "Alles Gute für die werdende Famili!". Wieder Mist, er hatte ein "e" zu wenig getippt. Konnte man das nicht noch nachträglich bearbeiten? Während Olaf diese Funktion suchte, surrte das Handy in seiner Hand schon wieder. "Danke. Ich hoffe, der Brunello schmeckt. Den hattest du mir damals im Büro vom Finanzministerium stehen lassen. Wie du inzwischen weißt: Ich hab es nicht so mit den Roten!" Wieder ein Smiley, diesmal mit Lachtränen. Hörte das denn gar nicht mehr auf?

Aber natürlich! Den Brunello hatte Olaf vor Jahren selbst gekauft. Im Toscana-Urlaub. Exzellente Wahl! Olaf spürte wieder diese wohlige Zufriedenheit: Auf sich selbst war Verlass. Den Rest der Flasche hob er aber besser auf. Es war spät. "Stimmt schon", dachte Olaf, als er das Licht im Wohnzimmer löschte, "es war nicht alles schlecht". Auf dem Weg ins Badezimmer tippte er eine letzte Nachricht. "Gute Nacht, Christian." Und dazu: ein lächelndes Gesicht.


Hinweis: Dieses ntv.de-Weihnachtsmärchen ist frei erfunden. Ähnlichkeiten zu real existierenden Persönlichkeiten sind nicht zufällig.

Quelle: ntv.de

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