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Zwischenruf Proteste: Rumänen feiern Arafat

Brennende Barrikaden in Bukarest.

Brennende Barrikaden in Bukarest.

(Foto: dpa)

Die Rumänien vom IWF aufgezwungene Sparpolitik entlädt sich in Gewalt. Anlass ist die geplante Privatisierung des medizinischen Notdienstes, der auf Initiative eines Palästinensers mit rumänischem Pass entstanden war. Die politisch der Union verbundene Regierung reagiert mit rassistischen Ausfällen. Weitere Unruhen drohen. Berlin muss reagieren. Und zwar rasch.

Die schweren Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten in der rumänischen Hauptstadt Bukarest und in anderen Städten des EU- und NATO-Landes sind wie andernorts Folge einer unsozialen Sparpolitik, welche die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufklaffen lässt. In der Hauptstadt und in mindestens zwölf anderen Städten wurden Läden verwüstet und geplündert und Fahrzeuge angezündet. Die Polizei reagierte mit äußerster Härte: Landesweit wurden Dutzende von Demonstranten verletzt, viele mussten in Krankenhäusern behandelt werden. Zwar kann die Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Emil Boc auf ein Wirtschaftswachstum von immerhin zwei Prozent verweisen. Für dieses Jahr erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF/IMF/FMI) einen Zuwachs in derselben Höhe. Doch kommt bei den Lohnabhängigen, Armen und Alten so gut wie nichts davon an.

Ein Student nimmt an Protesten gegen Staatspräsident Basescu teil.

Ein Student nimmt an Protesten gegen Staatspräsident Basescu teil.

(Foto: dpa)

Derweil wird das Crescendo des Streichorchesters, das sein Konzert auf Ordre de FMI nach Gewährung von Notkrediten im Zuge der Finanzkrise begann, immer schriller. Renten und Sozialleistungen wurden drastisch zusammengestrichen, eine Privatisierungsorgie begann. Besonders getroffen hat es das Gesundheitswesen, das sich schon zu Zeiten der Ceausescu-Diktatur in einem erbarmungswürdigen Zustand befand. Schlechte Bezahlung trieb viele Ärzte ins Ausland. Unmittelbarer Anlass für die Unruhen waren Pläne, ein nationales Notdienstnetz, das mit staatlicher Unterstützung entstanden war, in Privathand zu überführen.

Initiator des Notdienstes war Raed Arafat, ein rumänischer Staatsbürger palästinensischer Abstammung, der es unter Bloc bis zum Staatsekretär gebracht hatte. Als er die Gesundheitspolitik der Regierung im Fernsehen jedoch öffentlich kritisierte, rief der zunehmend autoritär agierende Staatspräsident Traian Basescu während der Sendung im Studio an, beschimpfte den Mann und verlangte seinen Rücktritt, den Arafat inzwischen vollzogen hat. Mediendemokratie auf Rumänisch. Der für seine rassistischen Ausfälle bekannte Staatschef hielt sich diesmal verbal zurück. Andere Regierungsvertreter warnten davor, sich mit "diesem Araber" einzulassen. Die Demonstranten aber lassen Arafat hochleben und tranken nach den Protesten auch schon einmal einen ?uica, den typisch rumänischen Zwetschgenschnaps auf ihren Helden.

Basescu und Bloc versicherten dem IWF unter dem Eindruck der Proteste, keine Abstriche an den Sparmaßnahmen vornehmen zu wollen. Die regierende Demokratische Partei war früher Mitglied der Sozialistischen Internationale. Heute gehört sie der Europäischen Volkspartei an, in der auch die Union Mitglied ist. Wie der ultranationalistische Bürgerbund FIDESZ in Ungarn. CDU/CSU sollten in Ungarn wie in Rumänien schleunigst ihrer politischen Verantwortung gerecht werden. Sonst geht der Krug solange zur ?uica und zum Tokajer bis er bricht.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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