Abgabe für Kinderlose "Unzulässige Einmischung des Staates"
14.02.2012, 19:32 Uhr
Eine Gruppe um den sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz löst mit ihrem Modellvorschlag einer nach Kinderzahl gestaffelten Abgabe einen Sturm der Entrüstung aus. Ihre Idee: eine "solidarische Demografie-Rücklage" für Kinderlose. Die prozentual vom Einkommen berechnete Abgabe soll nach der Anzahl der Kinder gestaffelt werden: Kinderlose sollen voll zahlen, Eltern mit einem Kind die Hälfte, Eltern mit zwei oder mehr Kindern sollen nicht belastet werden. Für n-tv.de ist der Vorschlag eine aberwitzige "Luftnummer". Und welcher Ansicht sind die Kommentatoren der deutschen Zeitungen?
Die Berliner Zeitung meint: "Ohne Kinder zu leben ist des einen Wunsch und des anderen trauriges Schicksal. In vielen Ländern gilt eine Frau ohne Kinder nichts. Es ist ein Glück, in einer Gesellschaft zu leben, die Kinderlosigkeit nicht bestraft - ganz gleich wie sie zustande kam". Nach Ansicht der Kommentatoren muss es bei dieser Straflosigkeit bleiben: "Der Vorschlag junger CDU-Politiker, Kinderlosen eine Strafsteuer aufzudrücken, ist zu verwerfen". Dennoch gibt es für das Blatt in Zeiten von Überalterung und Nachwuchsmangel auch "starke Argumente für stärkere Beteiligung Kinderloser an den Aufgaben der Gesellschaft": "Zuallererst ist die Förderung Kinderloser einzustellen. Warum sollte die Allgemeinheit mit Milliarden das überlebte Ehegattensplitting fördern statt alle Kraft dafür zu verwenden, Eltern das Leben mit Kindern zu erleichtern? Noch verhindern die Freunde der Hausfrauenehe den Aufbruch".

Für Kanzlerin Merkel ist "die Diskussion der Einteilung in Menschen mit Kindern und ohne Kinder ist hier nicht zielführend".
(Foto: picture alliance / dpa)
"Kinder bedeuten automatisch mehr Ausgaben. Das führt bei vielen Eltern zu Frust und dem Gefühl, ungerecht behandelt und gegenüber Kinderlosen benachteiligt zu werden. Ein Gefühl, das von den politischen Entscheidungsträgern seit Jahrzehnten nicht ernst genommen wird. Nur so lässt sich erklären, dass junge Unionsabgeordnete nun medienwirksam die ganz große Keule auspacken", konstatiert die Allgemeine Zeitung. Doch bei allem Verständnis für belastete Familien, wäre "eine solche 'Strafsteuer' für Kinderlose" für das Blatt aus Mainz "eine unzulässige Einmischung des Staates in die persönliche Lebensgestaltung seiner Bürger". "Leider", heißt es weiter, "besteht nun die Gefahr, dass das Thema des gerechten Lastenausgleichs für Familien nach kurzer, heftiger Aufregung wieder verschwindet. Dabei ist es höchste Zeit, das Problem anzugehen".
"Ethik und Moral verbieten schlicht, Kinderlose in die gesellschaftliche Schmuddelecke zu stellen. Nichts anders würde eine Straf-Steuer bewirken. Steckt doch dahinter der Gedanke, dass sich solche Paare im Grunde sozial-schädlich verhalten", kommentiert die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg. "Nur in Diktaturen maßt sich der Staat an, über den Lebensentwurf von Menschen zu bestimmen. Wer in einer Demokratie Bürger zu einem bestimmten Verhalten zwingen will, dokumentiert, dass er das alles überragende Prinzip unseres Grundgesetzes nicht verstanden hat: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dazu gehört Entscheidungsfreiheit".
Für den Kölner Stadt-Anzeiger ist die Debatte "heikel": "Viele Paare können aus medizinischen Gründen keine Kinder bekommen. Eine Menge Alleinstehende hätten zudem gern Kinder. Nur der Partner fehlt. Dass die Kinderlosen sich materiell besserstehen als Menschen mit Kindern - vor allem als Alleinerziehende - ist trotz allem eine Tatsache. Hier einen Ausgleich anstreben zu wollen, ist nachvollziehbar und legitim. Allerdings macht der Ton die Musik". Das Blatt kommt zu dem Schluss: "Wer Gruppen gegeneinander ausspielt, hat schon verloren. Und eine Abgabe würde der Vielfalt des Lebens sicher nicht gerecht".
"Mumpitz - mehr lässt sich zum Vorschlag junger Unionspolitiker, Kinderlose mit einer Strafsteuer zu belasten, nicht sagen", kommentiert das Offenburger Tageblatt. "Die staatlichen Kassen sind leer und bei der Rente ist nur sicher, dass sie weniger wird. Der erste Reflex von Politikern ist immer, an der Steuerschraube zu drehen. Oder gar eine neue Abgabe zu erfinden. Die Ökosteuer zum Beispiel subventioniert zum Großteil die Rentenversicherung. Und jetzt sollen Kinderlose die löchrigen Bildungsetats von Bund und Länder stopfen". Für den Kommentator aus Baden-Württemberg ist die Idee "nicht originell". Sie zeige vielmehr, "wie wenig die Politik in der Lage ist, die Staatseinnahmen gerecht einzuziehen und auch auszugeben".
Kritik an der Politik übt auch die Ludwigsburger Kreiszeitung: "Das beste Mittel gegen Kindermangel sind immer noch optimale familienpolitische Rahmenbedingungen, an denen es in Deutschland aber zum Teil kräftig hapert". Das fange "bei prekären Beschäftigungsverhältnissen an und hört bei fehlenden Betreuungsplätzen noch lange nicht auf", so der Kommentator der baden-württembergischen Zeitung. "Industriestaaten wie Frankreich machen vor, dass es auch anders geht. Die Geburtenrate ist dort jedenfalls deutlich höher als hierzulande. Mehr Planungssicherheit für die Gründung einer Familie zu schaffen stellt allerdings eine wesentlich komplexere Aufgabe dar, als mal eben eine politische Rakete gegen Kinderlose zu zünden".
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke