Berlin & BrandenburgGiffey: 50.000 bis 60.000 ukrainische Flüchtlinge in Berlin

Noch immer weiß niemand so genau, wie viele Geflüchtete aus der Ukraine in Berlin Schutz suchen. Nur langsam ergibt sich ein Bild. Und der Senat macht erneut klar: Die Aufnahmefähigkeit der Hauptstadt hat Grenzen.
Berlin (dpa/bb) - Der Berliner Senat geht davon, dass inzwischen mehrere Zehntausend ukrainische Flüchtlinge in der Hauptstadt leben. "Unsere Vermutung ist ganz klar, dass auf jeden Fall 50.000 bis 60.000 Menschen bei uns in der Stadt sind", sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey am Dienstag nach der Senatssitzung.
Nach den Worten der SPD-Politikerin handelt sich es sich um eine grobe Größenordnung, die sich aus zwei Quellen speist. Zum einen seien beim Landesamt für Einwanderung bislang etwa 20.000 Anträge auf einen Aufenthaltstitel für rund 35.000 Personen gestellt worden. Es sei davon auszugehen, dass diese Menschen vorerst in Berlin bleiben wollten.
Zum zweiten hätten in den Bezirken 32.410 Ukrainerinnen und Ukrainer Anträge auf Sozialunterstützung gestellt. "Das ist eine riesige Zahl, die natürlich bedeutet, dass die Sozialämter in einer großer Belastungssituation sind."
Beide Angaben seien verlässlich, so Giffey. Obwohl unklar sei, wie viele der Menschen sich doppelt gemeldet haben, lasse dies erste Schlüsse auf die ungefähre Gesamtzahl ukrainischer Geflüchteter in der Stadt zu. Wie hoch diese genau sei, sei aber noch nicht klar. Denn wahrscheinlich hätten viele Neuankömmlinge noch gar keine Anträge gestellt - bei welchem Amt auch immer.
"Berlin ist der am stärksten von diesen Herausforderungen betroffene Ort", sagte Giffey. Zur Einordnung verwies sie darauf, dass die Bundespolizei seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine am 24. Februar 310.000 Flüchtlinge von dort erfasst habe. Davon seien über 180.000 in der Metropolregion Berlin-Brandenburg angekommen. Bundesweit seien bislang 67.000 Anträge auf einen Aufenthaltstitel gestellt worden.
Die Bundespolizei erfasst nicht alle Einreisen von Kriegsflüchtlingen nach Deutschland. Die tatsächliche Zahl dürfte also höher liegen. Und jeden Tag kommen weitere Menschen aus der Ukraine an, darunter nicht zuletzt im sogenannten Ankunftshub Berlin.
Um deren Aufnahme in der Stadt einerseits, aber auch eine faire Verteilung auf andere Bundesländer zu verbessern, beschloss der Senat einen Kriterienkatalog. In Berlin dürfen nach Angaben von Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) vor allem diejenigen Geflüchteten bleiben, die hier enge Familienmitglieder oder einen Aufenthaltstitel haben, für den unter anderem eine Unterkunft Voraussetzung ist.
Das gilt außerdem für Schwangere, für kranke Menschen, die nicht mehr reisen können, oder für solche, die bereits einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz ergattert haben. Außerdem soll darauf geachtet werden, dass etwa Menschen mit Behinderungen dorthin kommen, wo es Inklusionsangebote gibt, oder queere Menschen dorthin, wo es ausreichend Beratungsstrukturen gibt.
"Das ist ein guter Weg, den wir heute miteinander vereinbart haben", sagte Giffey. Denn wichtig seien eine abgestimmte Weiterleitung in andere Bundesländer, wo ebenfalls guter Schutz, gute Hilfe und gute Integrationschancen für die Menschen bestünden. "Weil ansonsten Berlin das nicht alles stemmen kann." Sowohl Giffey als auch Kipping gehen trotzdem davon aus, dass Berlin unterm Strich weit mehr in Deutschland ankommende Kriegsflüchtlinge aufnimmt als der im Königsteiner Schlüssel festgelegte Anteil von fünf Prozent. "Wir sind schon drüber", so Giffey.
Deswegen mahnte sie zwei Tage vor der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) erneut rasche finanzielle Hilfen des Bundes an. Das betreffe Berlin, aber auch andere Großstädte wie Köln, München und Hamburg und die "Ankunftshubs" in Cottbus und Hannover. "Es ist deutlich sichtbar, die Menschen werden sich auf die Städte konzentrieren", sagte die stellvertretende MPK-Vorsitzende. "Deswegen haben die Städte eine besondere Herausforderung zu bewältigen, und der muss auch entsprochen werden auch bei der Übernahme der Lasten."
Den neuen Kriterienkatalog für die Aufnahme Geflüchteter in Berlin beschloss der Senat auch vor dem Hintergrund von Unmut, der bei der eingeleiteten Räumung von Hotels und Hostels bei manchen Geflüchteten und deren Helferinnen und Helfern zuletzt entstanden war. Denn auch von diesen Menschen aus der Ukraine, die zunächst eilig in Berlin untergebracht wurden, müssen nun etliche die Hauptstadt verlassen, weil sie in anderen Bundesländern Aufnahme finden sollen.
Giffey verteidigte dieses Vorgehen. "Hostel- und Hotellösungen sind nicht auf Dauer machbar", sagte sie und verwies auch auf hohe Kosten. Die Menschen würden aber weiter in Deutschland versorgt, sie bekämen alle Leistungen, die ihnen zustünden, und hätten andernorts womöglich sogar bessere Integrationschancen. "Nicht nur in Berlin kann gute Integrationsarbeit geleistet werden."