HessenZwischen Notunterkunft und Neuanfang: Frauen erzählen

Wie erleben Frauen die Weihnachtszeit in einem Wiesbadener Heim für Wohnungslose? Saskia und Erika erzählen ihre Geschichten. Vom Alltag im Zwei-Bett-Zimmer und der Hoffnung auf eine eigene Bleibe.
Wiesbaden (dpa/lhe) - "Der plötzliche Unfalltod meines Sohnes hat mich total aus der Bahn geworfen", erzählt Erika. "Ich habe mich hängen lassen, es war mir alles egal." Da sie sich um nichts mehr habe kümmern können, sei sie aus ihrer Wohnung geflogen, sagt die 66-jährige Frührentnerin. Zunächst kam sie bei Freunden unter, seit März dieses Jahres lebt sie im Hildegard-Bleick-Haus der Heilsarmee in Wiesbaden - einer Notunterkunft für Frauen ohne Wohnung.
Auf dem Weg in ihr einfaches Zwei-Bett-Zimmer deutet Erika im Flur auf einen kleinen Plastik-Weihnachtsbaum mit Mini-Schneemann. "Schaut mal, das habe ich dekoriert." Im Zimmer selbst ist wenig weihnachtliche Stimmung zu spüren: Zwei Betten, ein Tisch, ein Schrank, ein paar Stühle. Hier lebt Erika gemeinsam mit einer Mitbewohnerin. Das Bad ist ein paar Türen weiter über den Gang. Abschließen lassen sich die Zimmer nicht - mit Ausnahme der Toilette.
Das Leben im Heim ist nach den Worten von Erika nicht immer ganz einfach. Es kämen viele verschiedene Charaktere zusammen, einige Frauen hätten psychische Probleme, erzählt sie. Ihr größter Wunsch zu Weihnachten? "Dass ich wieder eine eigene Wohnung bekomme. Ich war mein Leben lang eigenständig." Aber auf dem freien Markt habe sie keine Chance, sagt die 66-Jährige resigniert. Auch bei einem Wohnungsangebot für Senioren sei sie vor kurzem abgewiesen worden. "Ich sei noch zu fit, hieß es."
Leiterin des Frauenwohnheims ist seit 2022 Alexandra Mare, eine resolute Frau, die alle Fäden zusammenhält. "Meine Tür ist immer offen für die Damen", sagt sie. Allerdings müsse sie manchmal auch streng sein und darauf achten, dass die Regeln eingehalten würden, ergänzt die Theologin und Sozial-Fachkraft. Zu den Regeln zählt etwa: Kein Alkohol, keine Drogen, kein Rassismus und keine Gewalt. Immer mehr junge Frauen, die in das Heim kämen, seien psychisch krank, hat Mare beobachtet. "Keine Frau ist hier gelandet, weil sie keine Probleme hat. Die haben alle Probleme", sagt Mare. "Manche der Frauen haben Schulden oder auch Drogen- oder Alkoholprobleme."
Im Hildegard-Bleick-Haus finden rund 50 Wohnungslose Platz. Dies sei ausreichend, sagt Mare. Es habe noch nie eine Frau abgewiesen werden müssen. Viele Bewohnerinnen sind von staatlicher Seite untergebracht, weil sie ihre Wohnung verloren haben - wie beispielsweise Erika. Eine Dame lebe schon seit 33 Jahren im Haus, berichtet Mare. Andere fänden aber auch wieder eine Wohnung, erst vor kurzem sei eine Seniorin im Alter von über 70 Jahren in die eigenen vier Wände gezogen.
Neben den Dauergästen gibt es auch Frauen, die nur ab und zu im Heim übernachten. Das Haus ist rund um die Uhr besetzt, ein Zimmer ist für Notfälle in der Nacht reserviert. "Das kommt jedoch nur sehr selten vor", sagt Mare. Gemeinsam mit ihrem siebenköpfigen Team kümmert sie sich um die Bewohnerinnen - auch aus christlichen Überzeugung. Im Heim seien allerdings Frauen aller Religionen willkommen, betont Mare. Es gibt regelmäßig Gottesdienste und einen christlichen Frauenkreis.
Die 41 Jahre alte Saskia hatte nach eigenen Worten zunächst große Angst, sich in der Notunterkunft zu melden. Inzwischen lebt sie seit Juli in dem Heim. Warum war ihr Leben aus den Fugen geraten? Sie habe als Alleinerziehende mit ihren beiden Kindern zusammengelebt, als der Sohn zunehmend Probleme gemacht habe, erzählt Saskia. Er sei regelmäßig von Zuhause ausgerissen, nicht mehr zur Schule gegangen. Dann habe sie ihre Arbeit als Altenpflegerin verloren. "Ich war mit der Kraft am Ende", sagt Saskia. Sie kümmerte sich um nichts mehr, verlor ihre Bleibe.
Zunächst habe sie mit ihrer inzwischen 20 Jahre alten Tochter zusammen in einer Einzimmerwohnung gelebt, die der Vater der Kinder organisiert habe. "Aber das ging nicht auf Dauer." Also rief die 41-Jährige im Hildegard-Bleick-Haus an. Auch wenn an manchen Tagen "alles Kacke" sei, sagt Saskia: "Im Moment geht es mir gut." Halt gibt ihr der Kontakt zu ihrer Familie. "Ich will auch wieder einen Job bekommen, damit wird die Wohnungssuche vielleicht leichter", sagt sie.
Bis es soweit ist, gestaltet sie ihren Alltag in der Notunterkunft. Es gebe viele nette Frauen, manchmal werde gemeinsam gekocht, erzählt Saskia. Das Heim bietet nur Übernachtung - für ihre Verpflegung müssen sich die Frauen in der Gemeinschaftsküche selbst kümmern. Mehrmals die Woche gibt es jedoch eine Ausnahme - nicht nur in der Weihnachtszeit. Dann kocht Leiterin Alexandra Mare aus Essensspenden für Bewohnerinnen und Tagesgäste eine warme Mahlzeit.