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Rheinland-Pfalz & SaarlandGedächtnis der Gesellschaft – So arbeitet das Bundesarchiv

28.12.2025, 04:03 Uhr
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(Foto: Thomas Frey/dpa)

Gefälschte Hitler-Tagebücher und Schindlers Liste: In Koblenz lagern wertvolle historische Dokumente. Die Arbeit damit ist extrem anspruchsvoll.

Koblenz (dpa/lrs) - Regale stehen dicht an dicht, dicke Wände schirmen die Räume mit den Tausenden Akten ab. Doch was unscheinbar in grauen Kartons oder Aktenordnern in den Reihen steht, beinhaltet nichts Geringeres als die Geschichte Deutschlands. Oder zumindest Nachweise und Beweise für das, was in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik passiert ist.

Im Bundesarchiv in Koblenz erzählen die Dokumente viele Geschichten – zumindest denen, die danach suchen. Denn Informationen sind hier nicht ganz so leicht zu finden wie in Bibliotheken. Wie arbeitet so eine Behörde?

Jährlich übernimmt das Bundesarchiv kilometerweise neue Akten aus Bundesinstitutionen wie Kanzleramt, Ministerien und Behörden, erklärt der Sprecher Elmar Kramer. Zuletzt seien es etwa vier bis sechs Aktenkilometer gewesen, das entspreche mehr als 200.000 Aktenbänden. Das Bundesarchiv entscheidet dann, welches Material davon "archivwürdig" ist. Meist seien dies etwa 20 Prozent.

Das Bundesarchiv hat in ganz Deutschland 23 Standorte, den Hauptsitz hat es in Koblenz. Rund 2.300 Menschen arbeiten bei der Behörde, 300 davon in Koblenz. Insgesamt lagern mehr als 540 Aktenkilometer in den Archiven, davon etwa 80 Kilometer in Koblenz.

Am Hauptsitz gebe es fünf Stockwerke für die Magazine, erklärt Mitarbeiterin Manuela Hambuch. Drei Stockwerke seien über, zwei unter der Erde. Die Bauweise des Gebäudes sorge für eine natürliche Klimatisierung, sagt sie. So liege die Temperatur relativ konstant bei 18 Grad. Die Luftfeuchtigkeit liege bei rund 50 Prozent. Denn das Archivgut ist empfindlich: "Wenn die Luftfeuchtigkeit zu hoch ist, besteht Schimmelgefahr, ist sie zu niedrig, besteht die Gefahr, dass das Papier zerbröselt", erklärt Hambuch.

Alle Dokumente im Archiv erhielten zunächst eine genaue Signatur, unter der sie wiederzufinden seien. Und egal, ob sie digitalisiert werden oder nicht: "Originale bleiben erhalten, das ist ganz wichtig."

Gefälschte Hitler-Tagebücher lagern in Koblenz

Mit am bekanntesten sind wohl die gefälschten Hitler-Tagebücher. 1983 hatte das Magazin "Stern" des Verlags Gruner + Jahr (Hamburg) vermeintliche Tagebücher von Adolf Hitler veröffentlicht, die sich wenige Tage später als Fälschung erwiesen. Es war einer der größten Medienskandale der Bundesrepublik.

"Sie sind eigentlich nur eine Quelle oder besser noch ein Symbol für die mediale Dummheit einer Gesellschaft und als solches sind sie ein Objekt, das zeigt, wie in der Bundesrepublik der 1980er Jahre damit umgegangen wurde", sagt Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchivs. "Der Inhalt der vermeintlichen Tagebücher ist völlig irrelevant."

Außerdem lagern hier Dokumente zur Paulskirchenversammlung. Und auch Schindlers Liste kann man hier lesen. Doch nicht nur ein Blick in die Vergangenheit ist hier möglich. "Wir sind ja nicht ohne Grund das Gedächtnis der Gesellschaft", sagt der Präsident, "das sehen wir bei vielen aktuellen Themen, die früher schon wichtig waren – die Wehrpflicht etwa oder auch die Rente."

Hollmann sagt, man sei dabei, möglichst viele Unterlagen online zu stellen, soweit Datenschutz oder Persönlichkeitsrechtsschutz dem nicht im Wege stünden. Das erweise sich als ganz eigene Herausforderung wie auch die sichere Speicherung. "Denn das digitale Material wächst jedes Jahr um rund sechs bis acht Petabyte", erklärt Hollmann.

Zum Vergleich: Ein Standard-Handyspeicher hat 128 Gigabyte. Und ein Petabyte entspricht rund einer Million Gigabyte – das wären dann rund 8.200 Smartphones. Und das mal sechs oder acht. "Das will gesichert werden, das will auch dann auf dem Stand der Technik jeweils wieder verfügbar gehalten werden", sagt Hollmann.

Schnell gehe man heute davon aus, dass digital verfügbares Material leicht digital verändert und gefälscht werden könne. Dann brauche es die im Archiv sicher gespeicherten oder original aufbewahrte Dokumente.

Was ist mit Künstlicher Intelligenz?

Auch Künstliche Intelligenz (KI) sei schon seit Längerem im Einsatz. Es gebe etwa ein abgeschlossenes Projekt, bei dem KI bei der Suche nach Namen und Orten in den Kolonialakten helfe. Die KI übersetze dabei die Tastatureingabe in mögliche Varianten der damaligen Sütterlin-Handschrift. "Sie sucht dann diese Varianten als Bild in den gescannten Archivalien und findet auf diese Art und Weise Namen, Personen und Orte, die Archivnutzer und auch die Archivarinnen und Archivare sonst nie gefunden hätten", sagt Hollmann.

Dafür hätten Kolleginnen und Kollegen dem Rechner aufwendig das Lesen beigebracht, sagte er. "Das war ein Prozess über viele Monate, mit einer ganzen Reihe von Leuten. Wenn eine KI also intensiv trainiert werden muss, stellt das auch ein Ressourcenproblem dar."

Platznot und Geldprobleme

Und Ressourcenprobleme hat das Archiv noch mehr: "Die öffentlichen Haushalte sind seit Jahren erheblich unter Druck", erklärte Hollmann. Der zur Verfügung stehende Etat stagniere seit Jahren, gleichzeitig aber stiegen die laufenden Kosten. "Wir müssen die steigenden Kosten auf breiter Front dadurch kompensieren, indem wir am Personal sparen und freigewordene Stellen nicht nachbesetzen."

Und auch der Platz wird knapp. "Wir haben große Raumprobleme, denn unsere Archivmagazine sind voll", sagte der Präsident. "Um die Regierungsunterlagen, die uns jedes Jahr erreichen, unterbringen zu können, müssen bereits heute behelfsmäßige Ausweichliegenschaften angemietet werden."

Die Magazinkapazität müsste seiner Ansicht nach ausgebaut werden. "Ganz besonders dringend, aber auch vergleichsweise einfach machbar wäre das in Koblenz. Wir haben hier neben unserem Gebäude die Fläche für drei weitere Magazintürme - das ist schon beim Bau 1983 so vorgesehen worden."

Und noch braucht es den analogen Platz. Denn auch wenn das Bundesarchiv auf Digitalisierung setzt, sagt der Präsident: "Bei der Menge an Archivgut, die wir im Bundesarchiv verwahren, kann man noch lange digitalisieren, bis wirklich alle Unterlagen, die online verfügbar gemacht werden können, auch tatsächlich verfügbar sein werden."

Quelle: dpa

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