ThüringenVon wegen Erzgebirge: Thüringer Wiegen der Weihnachtskunst

Kunst zur Adventszeit hat in Thüringen lange Tradition. Wo im Land bis heute klassisches Weihnachtshandwerk gelebt und gepflegt wird - und warum der berühmte Nussknacker nicht aus Sachsen stammt.
Erfurt (dpa/th) - Die Vorweihnachtszeit ist Hochsaison für festliche Handwerkskunst in Wohnzimmern und auf Fensterbänken. Im Osten Deutschlands denken viele dabei vielleicht zuerst an Holzkunst aus dem Erzgebirge. Dabei hat eines der bekanntesten Motive seine Wurzeln vor allem in Thüringen.
"Das ist der Teil, wo ich meine Gäste aus dem Erzgebirge enttäuschen muss, dass der Nussknacker keine Erzgebirgserfindung ist", scherzt Roland Wozniak, der im Deutschen Spielzeugmuseum in Sonneberg über die Historie der bekannten Figur aufklärt. Demnach kam der hölzerne Nussbeißer - wie er ursprünglich genannt wurde - über Südtirol und das Berchtesgadener Land nach Südthüringen, zusammen mit maschinellen Fertigungstechniken wie dem Drechseln.
Südthüringen war Mittelpunkt der Spielzeugherstellung
In Sonneberg wurde der Nussknacker neben dem Reiter schließlich zum Wahrzeichen der Spielzeugproduktion, die in ihrer Hochzeit Ende des 19. Jahrhunderts die ganze Welt versorgt hat, so Wozniak. Nur war der Südthüringer Nussknacker mehr Spielzeug und Karikatur der militärischen Obrigkeit als Weihnachtsfigur. Das Motiv bahnte sich seinen Weg in Literatur und Kultur und wurde im 19. Jahrhundert schließlich von erzgebirgischen Holzkünstlern aufgegriffen.
In Thüringen findet sich die weihnachtliche Holzkunst indes vor allem bei den Holzschnitzern. Den Krippenbau etwa gibt es im Eichsfeld und der Rhön seit Jahrhunderten. In der Schnitzschule in Empfertshausen im Wartburgkreis werden bis heute Holzbildhauer ausgebildet - und das seit 1898. Knapp 32 Auszubildende in vier Klassen erlernen das Traditionshandwerk dort aktuell. Auch Schulleiter und Holzbildhauermeister Ronny Denner schnitzt bis heute regelmäßig das weihnachtlich-christliche Motiv der Geburt des Jesuskinds.
Thüringer Schnitzschule: Vom Doktor bis zum Schulabbrecher
Die Auftraggeber seien meist Privatpersonen, so der 41-Jährige. Seine Schüler kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen und würden das Handwerk meist aus Freude und Leidenschaft erlernen - aber auch, um sich selbst zu finden. "Das ist kein Beruf, wo ich das große Geld verdienen kann, was aber nicht heißt, dass wir keine schlauen Leute haben", sagt Denner. Vom promovierten Doktor bis zum Schulabbrecher sei alles dabei. "Die wenigsten bleiben Holzbildhauer. Viele nutzen es als Sprungbrett - etwa in die Restauration oder als Zahntechniker."
Ursprünglich komme die Kultur des Krippenbaus aus der Winterarbeit der Waldbauern und Waldarbeiter, erklärt Juliane Stückrad, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der volkskundlichen Beratungsstelle Hohenfelden. "In Thüringen gab es die Tradition schon sehr lang, dass man sich mit so einem Hausgewerbe über Wasser gehalten hat", sagt sie. "Unter anderem eben auch mit Spielzeugherstellung in Sonneberg." Dabei sei nicht nur geschnitzt worden, sondern auch die Fertigung aus Papiermaché spielte irgendwann eine Rolle.
Papiermaché: Früher Billigprodukt, heute teure Handarbeit
Die Mischung aus zerkleinertem Papier, Kleister und Wasser sei vor allem wirtschaftlicher gewesen, sagt Andrea Thomae, stellvertretende Leiterin des Sonneberger Spielzeugmuseums. Man habe sich so von der Fertigung im Erzgebirge und dem Voralpenland abheben können, um "das Spielzeug viel plastischer zu machen", erklärt sie. "Wahrscheinlich war es auch einfacher zu produzieren. Man konnte eben auf Masse produzieren und auch sehr schnell auf die Forderungen des Weltmarktes eingehen."
Der Werkstoff, der Sonnebergs Aufschwung zur Welthauptstadt der Spielzeugproduzenten mit ermöglichte, wird bis heute bei Marolin in Steinach eingesetzt. "Wir sind die Einzigen, die hier noch Drückermasse verarbeiten", sagt Evelyn Forkel. Die 70-Jährige leitet das Familienunternehmen in dritter Generation. Marolin fertig klassische Krippen nach dem christlichen Motiv in verschiedenen Größen, aber auch "profane" Weihnachtsfiguren und Christbaumschmuck aus Papiermaché. Dabei würden Weihnachtsmänner das Christkind zunehmend verdrängen.
Glaskugeln als Aushängeschild der Thüringer Weihnachtskunst
Die Figuren entstehen zu 80 Prozent in Handarbeit - angefangen beim Zusammensetzen der gegossenen und gedrückten Teile bis hin zur Bemalung. "Früher war das ein Billigprodukt, da war ja die Handarbeit nichts wert", so die Geschäftsführerin. Heute seien die Waren vergleichsweise teuer und nachgefragt bei Kunden bis in die USA oder nach Japan. Dabei machten Marolin aktuell die US-Zölle zu schaffen. Doch Chefin Evelyn Forkel habe die Manufaktur schon durch viele bewegte Zeiten gesteuert, sagt sie: "Wir sind erst mal darauf stolz, dass wir 125 Jahre diese Tradition weiterführen konnten."
Mittlerweile setzt Marolin auch auf die Weihnachtskunst, für die Thüringen wohl am bekanntesten ist: das Glas. "Glas geht immer, das zerbricht ja schön", scherzt die Geschäftsführerin. Die Ursprünge des traditionellen Christbaumschmucks, für den vor allem die Nachbarstadt Lauscha bekannt ist, liegen in der Armut der damaligen Glasbläser begründet. Diese hätten den Glasschmuck erfunden, da "sie sich nicht mal die damals üblichen Äpfel und Nüsse, die man an den Baum gehängt hat, leisten konnten", so Weihnachts-Experte Wozniak. Was aus Not begann, wurde zum Exportschlager: Die Sonneberger Verleger nahmen die Weihnachtskugel in ihr Sortiment auf und brachten sie in die ganze Welt.