"Collinas Erben" sind beharrlich Kritisiert nicht Stieler, sondern Pléa!
03.02.2020, 08:31 Uhr

Die Szene des Spieltags: Alassane Plé fliegt vom Platz. Regelgerecht.
(Foto: imago images/opokupix)
Die Schiedsrichter sollen seit Rückrundenbeginn bei Unsportlichkeiten weniger nachsichtig sein. Diese Direktive hat noch ein Akzeptanzproblem, wie die Diskussionen über die Gelb-Rote Karte gegen einen Mönchengladbacher zeigen. Die Klubs sind gut beraten, sich schnell umzustellen.
Folgt man der Debatte über die Gelb-Rote Karte für Alassane Pléa im Spitzenspiel zwischen RB Leipzig und Borussia Mönchengladbach (2:2) am Samstagabend, dann lässt sich eine deutliche Polarisierung feststellen. Diese betrifft nicht nur die Entscheidung von Schiedsrichter Tobias Stieler, den Gladbacher des Feldes zu verweisen, sondern darüber hinaus generell die vor dem Rückrundenbeginn erlassene Direktive an die Bundesliga-Referees, bei unsportlichem Verhalten weniger nachsichtig als bislang zu reagieren. Die einen halten diese Anweisung und insbesondere ihre Umsetzung in Leipzig für übertrieben oder gar für unnötig, andere begrüßen sie dagegen als richtigen Schritt, um das Meckern und Gestikulieren, das Bedrängen und Umzingeln des Unparteiischen sowie das Simulieren, Ballwegschlagen und -wegtragen einzudämmen.
Man muss an dieser Stelle noch einmal hervorheben, warum es zu dieser Verschärfung gekommen ist, die übrigens keine Regeländerung ist, sondern lediglich die Anordnung, bereits bestehende Regeln konsequent umzusetzen. Sie ist die Folge von sich zuletzt häufenden medialen Berichten über Angriffe auf Schiedsrichter in den unteren Spielklassen und von zahlreichen Hilferufen aus dem Amateurfußball, die in Streiks der Unparteiischen etwa in Berlin, in Köln und im Saarland gipfelten. Auf den Asche- und Kunstrasenplätzen wird seit jeher nachgeahmt, was in den modernen Arenen des Profifußballs gang und gäbe ist: Torjubelvarianten und Tricks genauso wie Schwalben, Rudelbildungen und Respektlosigkeiten gegenüber den Referees.
Die Bundesliga-Schiedsrichter sind dabei in der Lage, verbale und nonverbale Proteste bis zu einem gewissen Grad unter Verzicht auf Sanktionen zu moderieren, ohne befürchten zu müssen, ihre Akzeptanz einzubüßen. Als guter Unparteiischer gilt vor allem, wer seine Autorität im Konfliktfall aus seiner Persönlichkeit bezieht und sie nicht durch Strafen absichern muss. Das ist einerseits richtig, andererseits hat es die Spielräume für die Spieler arg groß werden lassen und deren Erwartungshaltung befördert, in aller Regel ungestraft davonzukommen, wenn sie eine Entscheidung des Referees mit Worten, Gesten oder ihrem Verhalten ablehnen.
Die Bundesliga soll als Vorbild wirken
Diese Erwartungshaltung hat sich längst auf den Amateurbereich übertragen, wo die Sitten vielfach deutlich rauer als im Oberhaus sind. Trotzdem wird einem Schiedsrichter, der nicht nur mit Worten, sondern auch mit Karten gegen Unsportlichkeiten vorgeht, oft vorgeworfen, unsouverän und unangemessen kleinlich zu amtieren. Wer die Karten dagegen stecken lässt, aber vielleicht nicht in der Lage ist, aufkommende Unruhe kraft seiner Persönlichkeit zu deckeln, läuft Gefahr, die Kontrolle über die Partie zu verlieren. Das ist ein Dilemma, denn beides kann für den Referee mit einem Verlust an Respekt einhergehen. Im schlimmsten Fall wird er verbal oder sogar körperlich angegangen.
Der Gedanke hinter der neuen Direktive für die Unparteiischen ist es nun, über eine strengere Ahndung von Unsportlichkeiten im Profifußball deren Eindämmung zu erreichen und gleichzeitig die Akzeptanz für dieses Vorgehen auch in den unteren Ligen zu verbessern. Die Bundesliga soll also als Vorbild wirken. "Wir Schiedsrichter sind angehalten, zur Rückrunde diese Unsportlichkeiten konsequent zu ahnden", sagte Tobias Stieler dann auch nach der Begegnung in Leipzig. Ein Verhalten wie das von Pléa, der wegen übermäßigen Protestierens gegen eine Entscheidung verwarnt wurde und den Erhalt der Gelben Karte mit einer abfälligen Geste quittierte, sei "inakzeptabel, das hat absolut keine Vorbildfunktion für den Fußball – und insbesondere für den Amateurbereich nicht".
Die Referees hätten sich zu dieser Anweisung "committet", fuhr Stieler fort. "Und ich werde nicht der Erste sein, der dagegen verstößt." Schon an den ersten beiden Rückrundenspieltagen hatte es deutlich mehr Verwarnungen für unsportliches Verhalten gegeben als vorher üblich – und für den Bremer Kapitän Niklas Moisander eine Gelb-Rote Karte, nachdem er Schiedsrichter Felix Brych aus kurzer Distanz angebrüllt hatte. Anschließend gab es vonseiten der Bremer viel Kritik an der neuen Anweisung für die Schiedsrichter, Trainer Florian Kohfeldt etwa bezeichnete sie als "Irrsinn". Nun hielten die Mönchengladbacher den Feldverweis gegen Pléa für überzogen und fanden, dass er den Spielverlauf zu stark beeinflusst hat.
Emotionen sind kein Argument, wo es unsportlich wird
Tatsächlich hatte Sportdirektor Max Eberl zwar nicht Unrecht, als er sagte: "Alles, was danach kam, war hochemotional. Es wurde alles hektisch und unruhig. Das ganze Spiel war bis dahin sehr sachlich, sehr gut, ein tolles Fußballspiel." Nach dem Feldverweis gegen Pléa zeigte Tobias Stieler auch Timo Werner, der den Ball nach einer Entscheidung verärgert weggeworfen hatte, und dem Gladbacher Trainer Marco Rose, der lautstark protestiert und dabei zudem seine Coachingzone verlassen hatte, jeweils die Gelbe Karte. Legt man die besagte Direktive zugrunde, dann waren allerdings auch diese persönlichen Strafen korrekt. Das Problem scheint eher zu sein, dass die Anweisung selbst noch nicht genügend Zustimmung findet. Und dass sie deshalb bisweilen das Gegenteil dessen bewirken kann, was sie bewirken soll.
Viel war nach dem Schlusspfiff in Leipzig jedenfalls von "Fingerspitzengefühl" und "Emotionen" die Rede. Dabei täten Spieler, Trainer und Verantwortliche der Bundesligisten gut daran, ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen und gerade mit Blick auf das Amateurlager, also die Basis des Fußballs, ihre Vorbildfunktion endlich ernst zu nehmen. Emotionen können und dürfen dort kein Argument sein, wo sie mit deutlicher Außenwirkung als übermäßiger Protest gegen den Unparteiischen daherkommen – auch dann nicht, wenn dieser eine Fehlentscheidung getroffen hat. Und statt wohlfeil an das "Fingerspitzengefühl" des Schiedsrichters zu appellieren, sollte besser Alassane Pléa dafür in die Kritik genommen werden, dass er sich selbst nach dem Erhalt der Verwarnung für sein wütendes Abwinken nicht in den Griff bekam und weiter unsportlich gestikulierte, obwohl er wissen musste, dass das Folgen haben kann.
Nötig sind Konsequenz und Augenmaß
Ja, die Gelb-Rote Karte hat den Spielverlauf maßgeblich beeinflusst. Aber das war nicht die Schuld der Schiedsrichters, der richtig gehandelt hat, sondern die des Spielers. Er hat seinem Team den sprichwörtlichen Bärendienst erwiesen. Dass es in anderen Sportarten – auch in körperbetonten wie dem Rugby oder dem Eishockey – verpönt ist, die Unparteiischen anzugehen, und Zuwiderhandlungen schnell und hart geahndet werden, sollte auch im Fußball endlich zur Kenntnis genommen werden und ein Umdenken bewirken. Die Direktive der sportlichen Leitung der Bundesliga-Referees ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung, zumal sie ein Ausdruck davon ist, dass die Sorgen und Probleme des Amateurfußballs – und damit der Masse der Schiedsrichter – ernst genommen werden.
Wichtig ist aber nicht nur, dass die Klubs die Anweisung akzeptieren und die Spieler sich umstellen, sondern auch, dass die Unparteiischen sie einerseits mit Konsequenz und andererseits mit Augenmaß um- und durchsetzen. Konsequenz heißt, ähnliche Vergehen auch gleich zu ahnden. Dass etwa der Leipziger Marcel Sabitzer vor Wochenfrist im Spiel bei Eintracht Frankfurt ungeschoren davonkam, als er nach dem Erhalt der Gelben Karte höhnisch in Richtung des Referees applaudierte, ist nicht zu akzeptieren. Augenmaß wiederum bedeutet, dass nicht jede Reaktion gegenüber dem Schiedsrichter ohne erkennbare Außenwirkung in einer Verwarnung mündet. Aber diesbezüglich kann man den Unparteiischen bislang auch nichts vorwerfen. Dennoch ist die Direktive auch für sie eine Umstellung, die nicht sofort und fehlerfrei gelingen wird.
Quelle: ntv.de