Frauen in der Wirtschaft Das Geschäft mit dem Dreck
10.02.2010, 09:05 Uhr
Annemarie Beckers Motto: "Stillstand ist Rückschritt".
(Foto: dpa)
Ihr Traumjob war es nicht: Annemarie Becker verwandelte ein kleines Abfuhrunternehmen in eine florierende Firmengruppe. Aber auch mit 73 Jahren bietet sie der Konkurrenz die Stirn.
Eigentlich wollte Annemarie Becker ja Lehrerin werden. Stattdessen machte sie eine Verwaltungslehre, heiratete 1956 und stieg in den Familienbetrieb ihres Mannes ein. Heute ist sie Chefin eines der größten deutschen Müllentsorger und Herrin über fast 2000 Mitarbeiter und knapp 800 Fahrzeuge im pfälzischen Mehlingen, wo der 1. FC Kaiserslautern ein Trainingszentrum betreibt. Auch mit 73 Jahren lenkt sie als geschäftsführende Gesellschafterin noch die Geschicke der Unternehmensgruppe Jakob Becker, die es 2008 auf einen Umsatz von etwa 250 Millionen Euro brachte, im vergangenen Jahr war es nach ersten Schätzungen wohl etwas weniger. Ihr Motto: "Stillstand ist Rückschritt."
Annemarie Becker ist keine Frau weitschweifiger Erklärungen und langer Sätze. In knappen Worten umreißt sie ihr Leben und ihren Job. Morgens komme sie gegen neun oder zehn Uhr ins Büro, abends bleibe sie, "bis alles gemacht ist". Die Arbeit im Büro macht ihr Spaß, wenn auch "nicht immer und nicht jeden Tag", aber das Reisen finde sie zunehmend anstrengend. Warum sie sich den Job noch antut, kann sie selbst nicht so richtig erklären. "Jedes Jahr denke ich wieder, jetzt reicht's ..."
"Der Konkurrenzkampf ist hart"
Dass in der Entsorgungsbranche mit harten Bandagen gekämpft wird, ist kein Geheimnis. "Es geht nur um den günstigsten Preis", sagt Becker. Die Branche wird in Deutschland vor allem von den Familienbetrieben dominiert. "Man kennt sich untereinander, aber der Konkurrenzkampf ist deshalb nicht weniger hart", sagt der Finanzchef des Unternehmens, Thorsten Kohl.

Beckers Traumberuf: Lehrerin.
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Dass sie als Frau von den meist männlichen Geschäftspartnern nicht ernst genommen worden wäre, daran kann sich Annemarie Becker nicht erinnern. War sie anfangs vor allem für die Verwaltung des Unternehmens zuständig, übernahm sie später immer mehr Kompetenzen. 1994 starb ihr Mann, der Enkel des Firmengründers.
Aus einem kleinen Abfuhrunternehmen wurde unter Annemarie Beckers Führung eine große Firmengruppe, in den vergangenen 40 Jahren lag die jährliche Wachstumsrate im Schnitt bei 18 Prozent. Mehrfach musste das Unternehmen umziehen, weil der Platz nicht mehr reichte. Heute schaut Annemarie Becker vom Fenster ihres Büros aus auf große Bauschutthalden, Dutzende von Entsorgungsfahrzeuge und Container in dem typischen Orange-Ton.
"Klinken putzen" nach der Wende
Einen gewaltigen Sprung machte der Umsatz, als Annemarie Becker gleich nach der Wende in den Osten Deutschlands aufbrach. Ein damaliger Geschäftsführer, der aus dem Osten stammte, hatte ihr den Tipp gegeben. Becker ging in den neuen Bundesländern "Klinken putzen". "Wir haben die Gunst der Stunde genutzt." Heute sind neben der Pfalz die Regionen Chemnitz und Frankfurt/Oder die wichtigsten Standbeine des Unternehmens.
Von einsamen Entscheidungen hält Annemarie Becker nichts. "Wir entscheiden im Team", sagt die 73-Jährige, die mit 51 Prozent die Mehrheit am Unternehmen hält. Die restlichen Anteile teilen sich ihre beiden Kinder. Ein Traumjob war die Entsorgungsbranche für die Pfälzerin nicht, das lässt sie im Gespräch deutlich durchblicken. Würde sie sich heute anders entscheiden, wenn sie die Zeit um gut 50 Jahre zurückdrehen könnte? Da lacht die Firmenchefin, die als politisch gut vernetzt gilt. "Das bringt doch nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen."
Quelle: ntv.de, Marc Strehler, dpa