Wirtschaft

Rezession und angeschlagene Banken Die Krise spricht spanisch

In Madrid sucht ein Mann in einer Mülltonne nach Lebensmitteln.

In Madrid sucht ein Mann in einer Mülltonne nach Lebensmitteln.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Spanien gerät an den Finanzmärkten immer stärker unter Druck. "Die Krise ist wieder da", heißt es in Brüssel und Berlin. Das ist ein Irrtum. Sie war nie weg – und wird von Tag zu Tag gefährlicher. Denn die Eurozone will den Patienten mit einem Aderlass kurieren.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen in der Eurozone derzeit weit auseinander. Während Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker oder EU-Kommissar Joaquín Almunia der Meinung sind, in Spanien sei bald alles in Butter, wird es für die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone immer teurer, sich zu refinanzieren.

"Spanien wird kein Hilfsprogramm brauchen. Spanien ist auf der Spur", sagt Juncker. "Ich bin überzeugt davon, dass Spanien Erfolg haben wird", sagt Almunia. "Das glaubt ihr ja wohl selber nicht!", tönt es aus der Finanzmarktecke.

Die Renditen für richtungsweisende zehnjährige Staatsanleihen liegen nun bei mehr als 6 Prozent – Tendenz steigend. Die Kosten von Kreditausfallversicherungen für spanische Staatsanleihen klettern derweil auf eine Rekordhoch. Für Juncker und Almunia ist das ein Zeichen von Irrationalität. Und so appelliert Juncker an die Märkte, die Lage "vernünftig" zu bewerten.

"Die Märkte sind wegen allem nervös, sie sind viel zu nervös", meint Almunia. Es sei keineswegs das erste Mal, dass Anleger und Spekulanten an eine erneute Verschärfung der europäischen Schuldenkrise glaubten. Die Sorgen an den Finanzmärkten seien aber völlig überzogen. Der Grund für die Brüsseler Zuversicht: Madrid spart drastisch. Der Haushalt für das laufende Jahr sieht Einsparungen in Höhe von mehr als 27 Milliarden Euro vor. Über kurz oder lang werde damit das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewonnen, heißt es in Madrid, Brüssel und Berlin.

Spanien steckt in der Rezession

Davon ist derzeit allerdings wenig zu spüren. Im Gegenteil, das Misstrauen der Finanzmärkte wächst. Hier stellt sich Frage, wer die Realität falsch einschätzt: Die Märkte oder die Verantwortlichen der Eurozone? Denn offenbar steigen die Renditen nicht trotz, sondern eher wegen der angekündigten Sparmaßnahmen. Die Märkte fürchten zunehmend, dass Spanien in einen Abwärtsstrudel gerät - aus dem es nicht mehr ohne Hilfe der EU herausfinden wird. Deshalb verlangen sie eine angemessene Risikoprämie.

Das ist durchaus nachvollziehbar, denn Spanien ist bereits wieder in die Rezession zurückgefallen. Die konservative Regierung von Premier Mariano Rajoy geht davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 1,7 Prozent schrumpft. Manche Analysten halten diese Prognose für zu optimistisch und erwarten ein deutlich größeres Minus. Derweil liegt die Arbeitslosenquote mit knapp 23 Prozent auf Rekordniveau, etwa die Hälfte der Jugendlichen hat keinen Job. Der Sparkurs verschlimmert die Lage. Besserung ist nicht in Sicht: Spanien steckt in einem Teufelskreis aus Einsparungen, schrumpfender Wirtschaft und steigenden Zinsen am Anleihemarkt.

Und all das findet vor dem Hintergrund fallender Häuserpreise statt – nach dem Platzen der Immobilienblase haben sie noch immer keinen Boden gefunden. Das bringt nicht nur die Käufer in Schwierigkeiten, sondern auch die Banken. Ihre Verluste wachsen, sie fahren die Kreditvergabe zurück – das bremst die ohnehin angeschlagene Wirtschaft noch weiter aus. Zudem wächst die Angst, dass die Mittel aus den massiven EZB-Liquiditätsspritzen aufgebraucht sein könnten und die Banken in Geldnöten stecken: Spanische Banken liehen sich im März 316 Mrd. Euro von der EZB – rund doppelt so viel wie im Februar.

Aderlass als Medizin

Währenddessen steigt Spaniens Verschuldung. Die Regierung geht davon aus, dass der Schuldenberg des Staates von in diesem Jahr auf 79,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen wird – Ende 2011 waren es noch 68,5 Prozent. Das liegt auch daran, dass Spanien unter einer Rezession leidet, die Bezugsgröße BIP also sinkt. Spanien hatte im vorigen Jahr sein Defizitziel von 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weit verfehlt. Auch die für 2012 ursprünglich angestrebte Marke von 4,4 Prozent kann es nicht erreichen, so dass Madrid mit der EU einen neuen Wert von 5,3 Prozent aushandeln musste.

Aufgrund dieses Giftgemischs ist es nicht verwunderlich, dass Investoren Spaniens Zukunft zunehmend skeptisch sehen und die Renditen der Staatsanleihen steigen. Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz warnte die Eurozone deshalb davor, die Krisenstaaten zu noch größeren Sparbemühungen zu drängen. Der harte Sparkurs in vielen Ländern verstärke den Abschwung. Eine Überdosis Sparen mache alles nur schlimmer, so der frühere Chefökonom der Weltbank. Weltweit gebe es kein Beispiel dafür, dass Kürzungen von Löhnen, Renten und Sozialleistungen ein krankes Land genesen ließen.

Rezession, steigende Arbeitslosigkeit und der angeschlagene Bankensektor sind also die Gründe für das wachsende Misstrauen vieler Investoren – und nicht die Schulden. Für Spanien ist es deshalb fatal, mitten in einer Rezession zu sparen, als gäbe es kein Morgen. Das Land braucht dringend Wachstum und muss deshalb zunächst die Wirtschaft wieder anwerfen.

Die lautstark kritisierten Finanzmärkte, auf die Spanien angewiesen ist, sehen das ebenfalls so. Solange sich an der kompromisslosen Spar-Doktrin nichts ändert, wird sich die Schuldenkrise verschärfen. Dann wird es in Spanien bald so laut knallen, dass niemand in der Eurozone die Lage weiter schönreden wird.

Quelle: ntv.de

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