Wer ist John Lipsky? Die Stunde des stillen Planers
19.05.2011, 13:04 Uhr
Konsensorientiert und sachlich: John Lipsky ist Interims-Chef des IWF.
(Foto: AP)
Als stellvertretender IWF-Direktor agiert der US-Amerikaner John Lipsky fünf Jahre lang im Hintergrund. Kurz vor seinem Abschied steigt der 64-Jährige noch einmal zur Nummer eins auf. Das Charisma seines Vorgängers Strauss-Kahn fehlt ihm jedoch ebenso wie dessen Beziehungen.
Kurz vor Ende seiner Amtszeit ist John Lipsky auf den Chefsessel des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgerückt: Der US-Finanzexperte ist seit 2006 stellvertretender Direktor der mächtigen Finanzinstitution. Nach der Festnahme von IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn und dessen Rücktritt führt er jetzt bis auf Weiteres die Amtsgeschäfte. Erst vor kurzem hatte er erklärt, kein neues Mandat anzustreben und Ende August seinen Posten zu verlassen. In seinen letzten Monaten beim Währungsfonds lastet auf seinen Schultern nun eine große Verantwortung.
Der 64-jährige Lipsky, der seinen Doktor in Volkswirtschaftslehre an der renommierten Stanford University machte, begann seine Karriere Mitte der 1970er Jahre beim IWF. Unter anderem leitete er von 1978 bis 1980 die Vertretung des Währungsfonds in Chile. Später zog es den Experten für Finanzmärkte an die Wall Street in New York, wo er in Führungspositionen bei den US-Banken JPMorgan, Chase Manhattan und Salomon Brothers tätig war.
Strippenzieher im Hintergrund
Vor knapp fünf Jahren kehrte Lipsky als Vize-Chef zum IWF zurück. Der Stellvertreter-Posten beim Währungsfonds geht traditionell an einen US-Vertreter, während die Europäer das Amt des Direktors für sich in Anspruch nehmen. Der mächtigen Organisation, die über die Stabilität des internationalen Finanzsystems wacht, gehören 186 Staaten an.

Mit Strauss-Kahn bildete Lipsky ein effektives Team.
(Foto: REUTERS)
Lipsky gilt als konsensorientierter und zurückhaltender Manager, der die öffentliche Bühne scheut. Der Zwei-Meter-Hüne ist sehr diskret, was sein Privatleben angeht: Seine offizielle Biographie macht keinerlei Angaben zum Familienstand.
Etwa ein Jahr nach Lipskys Amtsantritt, im November 2007, kam Strauss-Kahn als neuer Direktor zum IWF. Die Zusammenarbeit des ungleichen Paares verlief harmonisch, das Duo steuerte den Währungsfonds mit einer klaren Aufgabenteilung durch die internationale Finanzkrise: Der Politiker Strauss-Kahn vertrat die Organisation offensiv nach außen, Lipsky feilte im Hintergrund an den technischen Details der Rettungspakete.
Wenig Ausstrahlung und schlechter vernetzt
Ende kommender Woche muss Lipsky nun ins Rampenlicht treten. Da sich die schwierige Suche nach einem offiziellen Nachfolger hinziehen dürfte, wird Lipsky den IWF beim Treffen der Gruppe der großen Industrienationen (G-8) im französischen Deauville vertreten. Allerdings hat Lipsky weder die Ausstrahlung noch die Kontakte von Strauss-Kahn, die den nun inhaftierten Franzosen gerade bei der Schuldenkrise in der Euro-Zone zu einem bedeutenden Akteur gemacht haben.
Experten befürchten, dass Lipskys fehlende Prominenz die Rettungsbemühungen für angeschlagene Euro-Staaten wie Griechenland, Irland und Portugal verkomplizieren könnte. Auf den höchsten politischen Ebenen zählten nun mal "persönliche Statur" und Netzwerke, schreibt Jan Randolph von der Beraterfirma IHS Global Insight.
An Lipskys Entscheidung, den IWF am 31. August nach Ende seiner Amtszeit zu verlassen, dürften auch die jüngsten Ereignisse nichts ändern. Schließlich war ein Abgang Strauss-Kahns ohnehin allgemein erwartet worden - allerdings dachte die IWF-Belegschaft bis zu dessen Verhaftung, ihr Chef werde wohl als Kandidat bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich im kommenden Jahr ins Rennen gehen.
Quelle: ntv.de, Hugues Honoré, AFP