Wirtschaft

Cum-Cum-Geschäfte in Frankreich Haben Großbanken Milliarden Steuern hinterzogen?

Cum-Cum-Geschäfte sind etwas anderes als Cum-Ex-Deals, wenngleich beide um den Dividendenstichtag einer Aktie herum passieren.

Cum-Cum-Geschäfte sind etwas anderes als Cum-Ex-Deals, wenngleich beide um den Dividendenstichtag einer Aktie herum passieren.

(Foto: picture alliance / abaca)

In Frankreich soll gleich eine Reihe von Großbanken in illegale Aktiendeals verwickelt sein. Anfang der Woche rückten Fahnder im Pariser Geschäftsviertel zu einer Razzia aus. Auch in Deutschland sind sogenannte Cum-Cum-Geschäfte ein großes Problem - und kosten Steuerzahler mehrere Milliarden.

Als die 150 Fahnderinnen und Fahnder diese Woche im Pariser Geschäftsviertel La Defense ausrücken, haben sie fünf Ziele: die HSBC, die Société Générale, BNP Paribas samt ihrer Tochter Exane sowie Natixis, die Investmentbank der französischen Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Sie alle sollen in den Skandal um sogenannte Cum-Cum-Geschäfte verstrickt sein, mit denen - ähnlich wie bei Cum-Ex-Deals - massenhaft Steuern hinterzogen worden sein sollen.

Bis auf die Société Générale wollte zunächst keines der Finanzinstitute die Durchsuchungen gegenüber Medien bestätigen. Laut der französischen Staatsanwaltschaft laufen die Verfahren in der Sache seit Dezember 2021. Es geht um den Vorwurf der schweren Geldwäsche und teilweise auch des schweren Steuerbetrugs.

Das laufende Verfahren benötigte mehrere Monate Vorbereitung und wird von 16 Untersuchungsrichtern und über 150 Ermittlern geführt, so die französische Behörde. Sechs Staatsanwältinnen und -anwälte aus Köln sind ebenfalls beteiligt, denn das Problem ist kein ausschließlich französisches, sondern ein europaweites.

Wie funktionieren Cum-Cum-Deals?

Cum-Cum-Geschäfte sind etwas anderes als Cum-Ex-Deals, wenngleich beide um den Dividendenstichtag einer Aktie herum passieren. Bei Cum Ex schieben institutionelle Investoren Aktien per Leerverkauf hin und her und lassen sich - verkürzt gesagt - die Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 Prozent mehrfach erstatten, obwohl sie sie nur einmal auf die Dividende gezahlt haben. In Deutschland haben sowohl der Bundesfinanzhof (BFH) als auch der Bundesgerichtshof klargestellt, dass Cum-Ex-Geschäfte illegal sind. Zum selben Urteil kam der BFH 2015 bei Cum-Cum-Deals, die er ebenfalls als unzulässig einstuft. Inzwischen sieht das auch das Bundesfinanzministerium so.

Cum Cum, auch Dividendenstripping genannt, funktioniert so: Ähnlich wie in Deutschland können sich in Frankreich nur inländische Investoren die Kapitalertragsteuer komplett vom Finanzamt erstatten lassen. Einige ausländische Aktionäre von in Frankreich börsennotierten Unternehmen verleihen deshalb um den Dividendenstichtag herum ihre Aktie an eine französische Bank, und zwar gegen eine Gebühr. Die französische Bank erhält die volle Dividende, zahlt darauf 30 Prozent Kapitalertragsteuer und lässt sich diese daraufhin erstatten. Kurz nach dem Dividendenstichtag gibt die Bank dem Aktionär die Aktie samt dem Großteil der Dividende zurück, ohne dass dieser dafür Steuern gezahlt hätte. Diesen Steuergewinn teilen die Bank und ihr Kunde dann zwischen sich auf.

Nach Recherchen der Nachrichtenagentur AFP soll sich die Summe der Steuerhinterziehungen durch die mutmaßlichen Cum-Cum-Deals der fünf Banken auf mehr als 1 Milliarde Euro belaufen. Die Zeitung "Le Monde" führt Quellen an, die von 3 bis 4 Milliarden Euro jährlich sprechen.

Deutschland entgehen bis zu 30 Milliarden Euro

Cum Cum ist sozusagen der große Bruder von Cum Ex", sagt Gerhard Schick vom Verein Finanzwende. "Der Schaden bei Cum Cum ist viel größer als bei Cum Ex." Das sieht auch der Mannheimer Finanzwissenschaftler Christoph Spengel so. Er berechnete, wie hoch der Betrug am deutschen Fiskus wirklich ist: Ihm zufolge sind dem Staat zwischen 2001 und 2021 allein durch Cum-Cum-Geschäfte fast 30 Milliarden Euro entgangen.

Die Situation sei ein "unerträglicher Zustand", sagte Spengel schon 2020 bei einer Sitzung des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag. Die damalige Große Koalition hatte Cum-Cum-Deals zwar per Gesetz rückwirkend zum 1. Januar 2016 erheblich erschwert. Doch trotz dieser Änderung und Gerichtsurteilen sind die Geschäfte allem Anschein nach auch heute noch möglich.

Dass die Deals auch unter deutschen Banken gang und gäbe waren, enthüllte 2017 eine Umfrage der Finanzaufsicht Bafin. 85 Geldhäuser geben darin an, solche Cum-Cum-Geschäfte zu machen. Rund 90 Prozent der involvierten deutschen Kreditinstitute erwarten dadurch finanzielle Mehrbelastungen durch Rückforderungen der Kapitalertragsteuer. Auch 2019 noch bezifferte die Bafin die Risiken der Deals auf immerhin 610 Millionen Euro.

Für mehrere Institute ist dieses Risiko schon real geworden: Die Volksbank Heilbronn etwa musste wegen Cum-Cum-Geschäften mit Millionen gestützt werden. Die Gruppe der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) schoss dem taumelnden Kreditinstitut 2021 fast 18,3 Millionen Euro zu. 2018 hatte die Deka 64 Millionen Euro für potenzielle Nachzahlungen zurückgelegt.

"Untätigkeit des Staats ist eine unzulässige Beihilfe"

Anders als bei Cum Ex, wo es inzwischen mehr als 100 Verfahren gegen über 1000 Beschuldigte gibt, läuft wegen Cum Cum bisher nur eine Anklage: Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden prozessiert vor dem dortigen Landgericht gegen fünf ehemalige Mitarbeiter der Deutschen Pfandbriefbank (Depfa).

"Der Umgang mit Cum/Cum-Geschäften durch die Finanzverwaltung ist nicht transparent", so Spengel 2020 in seiner Stellungnahme. "Man muss den Eindruck gewinnen, dass das BMF Cum/Cum-Geschäfte erst ab dem Jahr 2013 und dann auch nur bei Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs von Paragraf 42 der Abgabenordnung hinterfragen will."

Gerhard Schick von Finanzwende beschwerte sich deshalb bei der EU-Kommission. "Aus unserer Sicht ist die Untätigkeit des Staats eine unzulässige Beihilfe", sagte Schick kürzlich dem "Handelsblatt". Wenn der Staat illegale Geschäfte nicht ahnde, benachteilige er die Banken, die sich ans Gesetz halten und keine Cum-Cum-Geschäfte praktizieren. Falls Brüssel tatsächlich tätig werden will, sollte das schnell passieren – denn das Delikt der Steuerhinterziehung verjährt nach zehn Jahren.

Quelle: ntv.de

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