Atomkatastrophe "in Gottes Hand" Oettinger verunsichert Börsen
16.03.2011, 18:34 Uhr
Oettinger wollte wohl seine Einschätzung wiedergeben - und wurde von den Reaktionen überrascht.
(Foto: REUTERS)
Was weiß Oettinger? Der EU-Energiekommissar sorgt mit einer Einschätzung zur Atomkatastrophe in Japan für Aufregung an den Märkten. Der Reaktor sei "außerhalb einer fachmännischen Kontrolle", sagt Oettinger und beschleunigt die Talfahrt an den Börsen. Eine Sprecherin rudert zurück.
EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat mit einer Einschätzung zur Atomkatastrophe in Japan für Aufregung und Verunsicherung an den Börsen gesorgt. Vor dem Europäischen Parlament in Brüssel sagte Oettinger mit Blick auf den Atomreaktor Fukushima, die Lage sei außer Kontrolle. Das Geschehene bewege sich "irgendwo zwischen GAU und Super-GAU", erklärte der deutsche Kommissar. "Man kann sagen, die Anlage ist außerhalb einer fachmännischen Kontrolle." Es könne in den kommenden Stunden weitere katastrophale Ereignisse geben, die das Leben der Menschen bedrohten.
Einige Zuhörer gerieten bei diesem Satz offenbar ins Stutzen. Weiß der Energiekommissar mehr? Steht eine Katastrophe in Japan unmittelbar bevor? Aktienmärkte reagieren sensibel auf solche Meldungen und offenbar nahmen die Händler Oettingers Worte sehr ernst. Die Abwärtsbewegung an den Börsenplätzen in Europa und den USA beschleunigte sich am Nachmittag deutlich, nachdem Oettinger seine Warnung öffentlich gemacht hatte. Der Dax verlor zwei Prozent und rutschte auf 6513 Punkte.
Oettinger korrigiert Kompetenz
Der EU-Kommissar hatte vor dem Parlament zudem erklärt, Maßnahmen wie die, per Hubschrauber Wasser zur Kühlung zu bringen, muteten wie bei einem "Waldbrand" an und nicht als wirksames Vorgehen bei einem Atomunfall. "Ich bin mir sicher, dass wir noch nicht am Ende dieser tragischen und weitreichenden Katastrophe angelangt sind." Angesichts dessen müsse er die "bislang auch mir eigene hohe Meinung über Ingenieurkompetenz oder Technikkompetenz" der Japaner "korrigieren", fügte Oettinger hinzu. "Man muss im Grunde genommen befürchten, dass das Ganze in Gottes Hand ist."
Eine Sprecherin Oettingers versuchte nach den Worten die Wogen zu glätten. Der Kommissar habe keine neuen Informationen. Oettingers Einschätzung beruhe nur auf Medienberichten. "Er wollte nur seine Sorgen teilen und zum Ausdruck bringen, dass er wirklich berührt ist", sagte sie.
IAEA widerspricht
Die UN-Atomaufsicht IAEA in Wien widersprach dem EU-Kommissar umgehend. "Es ist nicht der Zeitpunkt, zu sagen, die Dinge seien außer Kontrolle", sagte IAEA-Chef Yukiya Amano in Wien. Die Betreiber setzten alles daran, die Sicherheit des Reaktors wieder herzustellen.
Der Kommissar kritisierte bei seinem Auftritt im Parlament allerdings die IAEA. Er habe sich gewundert über die "wenigen, relativierenden" Aussagen über die Vorgänge seitens des japanischen Generaldirektors der Organisation. Er habe die IAEA aufgefordert, ihre Gremien zu Beratungen über die Lage in Japan einzuberufen. Oettinger selbst hatte sofort auf die Atomkatastrophe reagiert mit einem Sondertreffen der EU-Mitgliedstaaten und der nationalen Aufsichtsbehörden. Sie vereinbarten am Dienstag einen Sicherheitstest aller 143 Kernkraftwerke in der EU. Oettinger sagte dazu, er rechne nicht damit, dass alle Kraftwerke ein Gütesiegel erhalten würden bei dem Test, der für das zweite Halbjahr vorgesehen ist.
Nach Ansicht Oettingers sollten die Menschen Japan möglichst verlassen. Frankreich habe dies seinen Staatsbürgern geraten. "Das müsste auch der Rat an andere dort lebende Menschen sein - das ist etwas, was in seiner Konsequenz noch nicht zu Ende gedacht werden kann."
Quelle: ntv.de, tis/dpa/rts/AFP