Schlappekicker und TraditionEintracht Frankfurt - eine Liebeserklärung

Rote Bengalos, ein Banner mit der Aufschrift "Randalemeister 2011", laut schreiende und Ehrfurcht gebietende Fans: Das ist Eintracht Frankfurt. Ballzauber, Offensivgeist, Traumtore: Auch das ist Eintracht Frankfurt - schon immer gewesen. Namen wie Bernd Hölzenbein, Uwe Bein, Jay-Jay Okocha sind der Beweis. Und auch ein Ungar darf nicht fehlen.
Kann man sich seinen Fußballverein aussuchen? Zumindest bin ich nicht als Eintracht-Frankfurt-Fan geboren worden. Wie auch. Ich stamme aus der DDR, kam in Arnstadt, der ältesten Stadt der Republik, auf die Welt und verbrachte meine Kindheit samt Jugend in Gräfenroda am Rande des Thüringer Waldes. Berge, Bäume und ein kohleschwarzer Ascheplatz, gespickt mit unzähligen scharfkantigen kleinen Steinen - es gibt bessere Bedingungen zum Fußball bolzen. Zu viert oder zu fünft auf der Wiese am Bahnhof beispielsweise. Aber mehr auch nicht. Als Anfang der 1980er der Biathlon populär wurde, griff ich zu Skiern und Luftgewehr statt zum harten DDR-Lederball.
Aber so ganz ohne Fußball ging es dann auch wieder nicht. Jeden Sonnabend im Fernsehen perfekt zur Abendbrotzeit mit Bockwurst und Doppel-Karamell lieferten sich die Kicker des Arbeiter- und Bauernstaates harte Duelle und häufig Derbys. Selten spielerisch hochwertig, dafür mit jeder Menge sozialistischem Kampfgeist. Als im Bezirk Erfurt Wohnender drückte ich pflichtbewusst den Rot-Weißen aus der Bezirkshauptstadt die Daumen, zu dieser Zeit kein einfaches Unterfangen. Die Titel holten sich regelmäßig die Dynamo-Teams aus Berlin oder Dresden. Aber Erfurt hatte Jürgen Heun.
Von Heun zu den Hessen
Heun war mein erstes außerfamiliäres Fußball-Idol. Ein Kämpfer vorm Herrn. Aufgeben? Kannste vergessen! Und wenn nichts mehr ging, schnappte sich Heun den Ball und hämmerte aus allen Lagen die Kugel in die Maschen - seinem Spitznamen "Kimme" alle Ehre machend. Wie es dem gegnerischen Torwart erging oder dem Netz? "Kimme" war’s egal.
Dank Heun schien mein Fan-Weg zu den Rot-Weißen fest programmiert. Aber dann kam ein Ungar dazwischen. Er grätschte nicht, er spielte, tänzelte, dirigierte, brillierte - und weckte mein Interesse an Eintracht Frankfurt: Lajos Detari. Hauptberuf: Künstler am Ball, Schöngeist. Er sicherte den "Adlern" den DFB-Pokalsieg gegen den VfL Bochum 1988. Mit einem Freistoß über die Mauer ins Eck gezirkelt, unhaltbar für die "Katze" Ralf Zumdick. Bochum trauert heute noch. Als dann auch noch Jörg Berger Trainer der Frankfurter wurde - einer, dessen Akzent dem thüringischen Hochdeutsch zum Verwechseln ähnlich ist -, und der die Eintracht vor dem Abstieg in die Zweitklassigkeit bewahrte dank der gewonnenen Relegation gegen den 1. FC Saarbrücken, hatte mich der Traditionsklub aus der Main-Metropole in seinen Bann gezogen.
Die ersten Livespiele direkt im Waldstadion, dem schönsten Stadion Deutschlands, wo man damals noch den Rasen im Oval riechen konnte, und trotz Laufbahn immer eine prächtige Stimmung auf den Rängen war, kamen Anfang der 1990er. Die SGE hatte sich in dieser Zeit fest im oberen Tabellendrittel etabliert, spielte im Europacup - und um die Meisterschale.
Es war die Zeit von Jörn Andersen (erste ausländischer Torschützenkönig der Bundesliga), Uwe Bein, Ralf Falkenmayer, Charly Körbel, Uwe Bindewald, Uli Stein und dann auch von Dragoslav Stepanovic. Kein Standard-Trainer, sondern eine Trainer-Type, eine Ikone. Ein wenig Selbstdarsteller, aber auf die sympathische Art und Weise. Im April 1991 kam er als unbekannter Trainer zur Eintracht und ließ sie den "Fußball 2000" zelebrieren mit dem magischen Dreieck Bein, Andreas Möller und Anthony Yeboah. 1991/92 hatte die Eintracht die stärkste Offensivabteilung der Liga, war zudem das stärkste Auswärtsteam und ist Deutscher Meister geworden, zum ersten Mal seit 1959 wieder.
Eine Pfeife, kein Pfiff
Eigentlich. Denn faktisch hatte im letzten Saisonspiel bei den bereits abgestiegenen Rostockern der Schiedsrichter etwas dagegen. Als Rostocks Stefan Böger in der 77. Minute dem Eintrachtler Ralf Weber von hinten die Beine wegzog, pfiff Schiri Alfons Berg aus Konz - keinen Elfmeter. Eine glasklare Fehlentscheidung, wie selbst völlig unparteiische Fußball-Fans konstatierten. Nachdem es bereits zuvor in Bremen einen fälligen Elfer für die Eintracht nicht gegeben hatte, wurde Stuttgart Meister. Frankfurt blieb nur Rang drei. Stepis Kommentar: "Lebbe geht weider."
So etwas prägt auch einen Fan. Ich weiß noch heute, was ich damals gemacht habe: einen Gartenzaun mit meinem Vati gesetzt, aber nur bis zum Abpfiff, danach war ich nicht mehr fähig dazu. Seitdem schlägt mein Herz für die Eintracht. In guten wie in schlechten Zeiten. Leid, Frust, Tränen, Freude, Überschwang, Jubel.
Alles ist dabei: Überflüssige Abstiege wie 2010/2011, Rettungen in letzter Minute wie 1998 ("Das Wunder vom Main") durch den Jahrhundert-Übersteiger von Jan-Age Fjörtoft, unsinnige Trainer-Entscheidungen wie die Suspendierung von Maurizio Gaudino, Yeboah und Jay-Jay Okocha in der Saison 1994/95 durch den damaligen Coach Jupp Heynckes (noch heute ein rotes Tuch für jeden Eintracht-Fan), überraschende Trainerwechsel wie 2011 mit Christoph Daum oder auch das alles überragende Jahrhundert-Tor von Okocha am 31. August 1993 gegen den damals noch weit vom Titanen-Status entfernten Oliver Kahn im Tor des Karlsruher SC.
Tradition in schwarz, (rot) und weiß
Mit der "Diva vom Main" kann man alles haben: Abstiege, Zoff, verschwundene Transfermillionen, Tumulte und Handgreiflichkeiten bei Jahreshauptversammlungen ebenso wie treue Spieler (Rekord-Bundesligaspieler Körbel - der treue Charly - lief nur mit dem Adler auf der Brust auf), fantastische Fan-Choreographien im Stadion und umjubelte Rückkehrten ins Bundesliga-Oberhaus wie 2003 durch das legendäre 6:3 am letzten Spieltag gegen Reutlingen mit zwei Toren in der Nachspielzeit oder eben auch mal souverän mit der treffsichersten Offensive und einem überragenden Alex Meier 2012.
Langweilig wie bei anderen Vereinen ohne Tradition, ohne Fantum, die nur mit dem großen Geld auf der Jagd nach schnellen Titeln und Anerkennung sind, wird es bei der Eintracht nie werden. Da ist es egal, ob man Eintracht-Fan geworden ist - wie ich - oder als Eintracht-Fan geboren wurde, so wie Ulrich Matheja.
Der "kicker"-Redakteur hat "seinem Verein" mittlerweile bereits zwei Bücher gewidmet. Beides sind keine klassischen Lesebücher. Sie sind eher etwas zum Schmökern, Stöbern, Entdecken und Erinnern; zum Freuen und Jubeln; für Gänsehaut und Schüttelfrost: "Schlappekicker und Himmelsstürmer - Die Geschichte von Eintracht Frankfurt" und "Unsere Eintracht - Eintracht Frankfurt, Die Chronik". Beides sind Standardwerke über die Eintracht. Sie beinhalten die vollständige Geschichte des Vereins seit 1899 inklusive der Gründung der Vorgängervereine, inklusive der ersten Erfolge in den 1930er Jahren, inklusive der Deutschen Meisterschaft 1959, inklusive der Erfolge in den 1970er und 1980ern - und selbstverständlich auch inklusive der Dramen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart.
Beide Bücher warten zudem mit einem umfassenden Statistikteil auf, der seinesgleichen sucht. Die Chronik endet 2010. „Schlappekicker und Himmelsstürmer“ erscheint bereits in der dritten Auflage. Mit diesen beiden Büchern kann sich jeder Fan der "Adler vom Riederwald" die großen Erfolge und Schlüsselmomente der Frankfurter Eintracht ins Gedächtnis rufen und dabei gleichzeitig in eigenen Erinnerungen schwelgen: ""Schwarz weiß wie Schnee, das ist die SGE. Wir holen den DFB-Pokal und wir werden Deutscher Meister. MEISTER!"