Yello by Yello: "The Anthology" Mit Herrn Meier auf dem Dach
08.11.2010, 14:20 Uhr
Immer auf der Suche nach dem Kind im Manne: Dieter Meier und Boris Blank (r).
Ganz oben bei Universal hat man einen atemberaubenden Blick auf Berlin. Das findet auch Dieter Meier - sonst die Aussicht auf die Schweizer Berge gewohnt - vom Soundtüftler-Duo Yello. Dass Jeanette Biedermann sich für einen Dreh stundenlang vom Dach zu schmeißen versuchte, hat das Gespräch nicht weiter gestört.
Er steht auf der Dachterrasse, mit dem Rücken zu mir, ganz versunken in den Anblick Berlins an einem der schöneren Tage im Herbst. Ja, die Stadt kann schon nett sein. Herr Meier dreht sich um, ganz der Herr mit Samt-Sakko, Halstuch und heller Cord-Hose und dem typisch nach hinten gekämmten, welligen Haar, er begrüßt mich freundlich und bietet mir einen Kaffee an.
Da steh' ich nun einem Nationalheiligtum der Schweizer gegenüber und frage ihn, wie er sich als solches fühlt. Angenehm mit dem R rrrrollend und schmunzelnd antwortet er: "Nationalheiligtum? So empfinden wir, der Boris Blank und ich, uns nicht. Wir sehen uns immer noch als Kinder im Sandkasten, die versuchen, Sandburgen zu bauen." Mit Geräuschen? Ein putzige Vorstellung, aber wie ernst ist das gemeint? "Naja, ich meine damit, dass wir immer noch versuchen, die Dinge aus Kinderaugen zu betrachten. Man könnte schon sagen, dass das unser Leitmotiv ist." Eine angenehme Sichtweise eines Mannes, der Teil eines Duos ist, das auf der ganzen Welt Maßstäbe gesetzt hat, oder?
Meier: "Wir wollen unser Licht ja nicht total unter den Scheffel stellen, wir sind schließlich radikal provinziell (er lächelt vielsagend, ich widerspreche noch nicht), aber wir haben uns auch nicht bemüht, bekannt zu werden. Es war Zufall. Zufall und Glück, und es hat nichts mit den Qualitäten anderer Schweizer Musiker zu tun. Der Zeitgeist hat uns sehr geholfen." Ach ja, der Zeitgeist, ein Wort aus der Zeit, als es noch Magazine wie "Tempo" gab und man Zeit für den Geist hatte.
"Ich bin ein Seiltänzer!"
Jetzt sind sie jedenfalls wieder da, die Herren von Yello, und man fragt sich schon, zumindest die Autorin, warum man so geniale Stücke wie "Vicious Games" (Herr Meier singt es gerade mal an für mich, ich genieße den sonoren Ton seiner Stimme) so lange nicht gehört hat. Herr Meier zuckt mit den Schultern, er weiß es auch nicht. Ich aber finde die neue Version mit der Stimme der Schweizer Popsängerin Heidi Happy so gut, dass ich seit Tagen nichts anderes im Auto höre. Herr Meier freut sich nun, als er das hört. "Weißt du, ich bin ja kein Musiker im üblichen Sinne, ich bin eher ein Filmschreiber und ein Artist und ein Seiltänzer!!! Ich hab' kleine Experimentalstücke gemacht, sehr dilettantisch erstmal, laienhaft vertont, und dann hab' ich das gute Stück 'Cry For Fame' genannt! Ausgerechnet!" Wir erinnern uns: Meier und Blank sind eher zufällig zu Ruhm - Fame - gekommen, s.o. "Das war die erste Platte", fährt er fort, "200 Stück, 150 Stück haben wir davon verkauft. Oder verschenkt?" Er lacht.
Auffällig: Dieter Meier, der ohne seinen Kollegen Boris Blank mit mir im Gespräch ist, lässt keine zwei Minuten vergehen, ohne seine bessere Hälfte zu erwähnen: "Die Sachen von Boris sind extrem originell", findet er, und spottet über seine eigene Rolle im Duo: "Ich bin der mit dem eigenartigen Sprechgesang!" Als ich ihn nach seiner Stimme frage, die schon sehr besonders klingt und "unique", wie man heute sagen würde, erklärt er mir, dass er keine ausgebildete Rock- oder Popstimme habe. Er sei ein Geschichtenerzähler, ein "Rhythmus-Hervorbringer": "Wie bei Rappern. So sind wir in den USA übrigens auch bekannt geworden. Wir wurden als schwarze Rapper in New York angekündigt, im legendären Club Roxy, und dann kamen wir, diese Weißköpfe, du kannst dir kaum vorstellen, wie die geguckt haben im Publikum." Doch, das kann ich, ich kenn' mich schließlich aus mit ungewöhnlichen Situationen. Aber das behalte ich für mich.
Keine Noten, Hauptsache kreativ
"Na ja", erinnert Meier sich weiter und spricht mit seiner Stimme, die, wenn man mal den leichten Schweizer Akzent abzieht, schon schwarz klingen könnte, "jedenfalls machte da Afrika Bambaataa den Opener, das war eine Riesensache damals. Wir wurden tatsächlich nur von schwarzen und Latino-Sendern gespielt. Später wurde das dann als unser Konzept verkauft, was totaler Schwachsinn war. Wir hatten kein Konzept!" Meier überlegt kurz: "Außer, dass wir was Kreatives machen wollten. Wir mussten Musik machen, auch wenn keiner von uns beiden Noten lesen kann und nur ein paar Griffe auf der Gitarre, aber Boris war Lastwagenfahrer, der brauchte die Musik zum Überleben!"
Zum Überleben sollte es dann ja reichen: Seit 30 Jahren geht es konsequent bergauf. Das Duo, das nicht dem üblichen Bild einer Band entspricht, sieht sich selbst gern als Künstlerprojekt. Das trifft den Nagel nun seit 30 Jahren auf den Kopf: "Ich muss nicht immer dabei sein, wenn der Boris rumtüftelt, er redet mir nicht in meine Sachen rein (Meier führt die Regie in den Videos, die immer kleine Kunstwerke sind) und wir lassen uns genug Freiraum." Klingt fast wie das Geheimnis einer guten Ehe? Ja, sie sind ein skandalfreies Paar, und damit ist ebenso ihre Beziehung zueinander gemeint wie die zu ihren Mitmenschen. Viel haben sie da nie verraten, aber Gerüchte und Klatsch und Tratsch lassen Dieter Meier sowieso kalt. "Der Boris und ich sind zwar nicht immer einer Meinung, aber wir sind sehr gute Freunde! Enge Freunde. Im Studio können aber schon mal die Fetzen fliegen, der Disput geht dann meist darum, dass Boris so ein präziser Klangbildhauer ist und ich eher ein Luftikus bin, der mit dem Pinsel in den Topf tunkt und einfach was aufs Papier wirft."
Der Klang des Kaffeelöffels
Die Geräusche, die früher in liebevoller Kleinarbeit eingefangen und gesammelt wurden, kommen inzwischen vom Computer und aus ihrer eigenen Sammlung - die "Maschinerei", also das Arbeiten mit dem Computer und seinen Millionen Möglichkeiten, haben sie inzwischen aus dem EffEff drauf: "Alle Geräusche kommen aus dem Computer, aber die alten Töne haben wir noch gespeichert. Früher hatte man Tonbandschleifen, heute hat man sooo viele Spuren!" Aber Geräusche, die verwendbar sind, lassen sich überall herstellen, er nimmt einen Kaffeelöffel und scheppert ihn leicht gegen die Tasse: "Da, wenn man den jetzt speichert, kann man ganze Melodien aus einem Kaffeelöffelgeräusch basteln!" Yepp, ich kann's mir vorstellen. Aber nochmal - kein Stress in den letzten 30 Jahren Jahren Yello? "Nee, wir sind zwar verspielt, aber wenn wir arbeiten, dann sind wir sehr konzentriert. Der Boris ist der Intuitive, und ich bin der Kopfmensch." Früher hatten sie oft große Diskussionen, weil "der Boris nicht akzeptieren kann, dass ein First Take zum Beispiel mal lustig ist. Und dann war die Spur belegt. Heute ist das egal, der Computer macht alles möglich."
Nochmal zu meinem neuen Lieblingslied, "Vicious Games": Was ist das Geheimnis eines solchen Klassikers? Dieter Meier gerät ins Grübeln, denn auch das, das Produzieren eines Klassikers, geschah nie mit Absicht: "Man weiß das nicht, wenn man es macht, es ist doch immer ein Zufall. Eigentlich bei allem, was mir gelingt, habe ich gar nicht so viel selbst dafür getan, es war eine Kombination aus Glück und Umständen und Zufällen. Man weiß doch nie, welche Stücke erfolgreich werden."
Ekelhafte Fußangeln
Aber die Frage nach "Vicious Games" lässt ihm nun keine Ruhe mehr: "Das Stück transportiert eine gewisse Stimmung der unterschwelligen Gehässigkeit", sagt er und lacht leise, "man legt ekelhafte Fußangeln aus. Zum Beispiel am Ende einer Beziehung", philosophiert er, "da spielt man ja gerne gemeine Spiele." Werden da etwa eigene Erfahrungen verarbeitet? "Na, das sind Beobachtungen und eigene Erfahrungen, aber nicht nur in Mann-Frau-Situationen", fügt er hinzu."Inzwischen weiß man doch, wie man diesen Konflikten ausweichen kann, oder?" Kann man? Kann ich? Ich antworte ausweichend und frage lieber noch, wie sie auf Heidi Happy gekommen sind. Und - Sie werden es nicht glauben - auch wieder der Zufall: "Die haben wir einfach gefunden, wir haben nie wirklich gesucht, es passierte einfach. Sie hat eine wunderbare Stimme, macht tolle Chöre, das war damals mit der Shirley Bassey ('The Rhythm Divine') auch so, wie ein Schiffchen auf dem Fluss kam diese Gelegenheit an uns vorbei geschippert." Manchmal staunt er selbst noch, wenn er sich so zuhört. Ich verstehe das.
Das Yello-Credo also lautet: "Werdet wie die Kinder?!" "Befreit euch von euren Fesseln", möchte Dieter Meier jedem jungen Künstler mit auf den Weg geben, und: "Lasst euch nicht von Casting-Shows beeinflussen, das ist doch vermessen, einen anderen so zu beurteilen, die machen die Menschen kaputt." Ist das jetzt das Geheimnis des Erfolges will ich wissen: "Nein, so kann man das nicht sagen. Das Geheimnis ist die Freude an der Sache! Die Freude ist das Wichtigste, das Kind in sich zu erobern das Ziel." Wenn man sich etwas zu sehr vornimmt, wird es nicht funktionieren, dessen ist sich Meier sicher. Er hält sich zurück, bleibt bescheiden und authentisch, und freut sich dann um so mehr, wenn etwas Großes passiert. Wow, und das jetzt schon 30 Jahre lang. "Ja, das ist ein lebenslanger Weg, mit Ängsten und Verzweiflungen, aber der führt zum Glück. Alles andere ist Prostitution", verrät Meier noch, und ich verlasse das Gebäude mit vielen neuen Ideen und originellen Gedanken über den Weg zum Ziel.
Alt, neu und exklusiv
Am 05.11. 2010 erscheint das Album "Yello by Yello" - eine äußerst persönliche Bestandsaufnahme der letzten 30 Jahre Yello. Das Album kommt in zwei Konfigurationen: "Yello By Yello – The Singles Collection 1980-2010" enthält die 20 größten Single-Hits Yellos sowie eine neue Version ihres Hits "Vicious Games". Zudem ist eine DVD mit 23 wegweisenden Yello Videos dabei.
"Yello by Yello – The Anthology Box" ist ein opulent aufgemachtes 3-CD-Box Set. Es enthält neben der "Singles Collection 1980 – 2010" zusätzlich die Doppel-CD "The Anthology". Auf ihr haben Dieter Meier und Boris Blank die für sie ganz persönlich wegweisenden Yello-Tracks der letzten 30 Jahre zusammengefasst.
Darüber hinaus schenken Yello ihren Fans drei neue Songs: "Dialectical Kid", "Liquid Lies" und "Tears Run Dry". Jeder einzelne von ihnen zeigt, wie vital und auf der Höhe der Zeit der Yello-Sound auch im Jahr 2010 noch ist. Auch "The Anthology Box" enthält eine DVD mit allen wichtigen Yello Videos. Zusätzlich enthält das Box-Set ein 48-seitiges Booklet mit raren Fotos und persönlichen Anmerkungen und Kommentaren Yellos zu den einzelnen Stationen ihrer Karriere.
Quelle: ntv.de