Ohne Brille unterzeichnet Gilt ein ungelesener Vertrag?
30.10.2014, 16:28 UhrFitnessstudios fallen bisweilen durch ihre Geschäftstüchtigkeit auf, wenn es darum geht, Verträge an den Mann zu bringen. Wer ohne Brille einen Basisvertrag statt des preisgünstigen Aktionsangebotes unterschreibt, hat schlechte Karten. Oder doch nicht?
Wer irrtümlich eine Erklärung unterschreibt, die einen anderen Inhalt hat als besprochen und gedacht, kann die Erklärung wirksam anfechten. Das hat das Amtsgericht (AG) München entschieden (Az.: 271 C 30721/13).
In dem verhandelten Fall erhielt eine knapp siebzigjährige Frau einen Flyer von einem Fitnessstudio für Frauen in München. Auf diesem Werbeflyer war zu lesen: "Testen Sie uns! 2 Wochen 19,90 Euro - letzter Starttermin 28.2.13." Da der Frau nach einer Rückenoperation sanfte Übungen zur Wiederherstellung der Rückenmuskulatur von den Ärzten empfohlen wurden, beschloss sie, das Angebot zu nutzen. Dies erschien ihr besonders attraktiv, da sie sich als Sozialhilfeempfängerin normalerweise keinen Vertrag mit einem Fitnessstudio leisten konnte.
Sie legte im werbenden Fitnessstudios den Werbeflyer vor, gab an, dieses Angebot nutzen zu wollen und unterschrieb eine Vereinbarung mit dem Fitnessstudio. Da sie aber ihre Brille vergessen hatte, konnte sie den Wortlaut der Vereinbarung nicht lesen, was sie dem zuständigen Mitarbeiter des Fitnessstudios auch mitteilte. Dieser versicherte auf mehrmalige Fragen der Frau, dass es sich um einen Vertrag entsprechend dem Angebot, wie auf dem Flyer abgedruckt, handeln würde. Tatsächlich unterschrieb die Fitnessinteressierte dann aber einen Vertrag, in dem sie sich unter anderem für 64 Wochen Basispaket zu fast 16 Euro pro Woche und ein Startpaket zu 49 Euro verpflichtete.
Nachdem sie zu Hause mit der Brille den Vertrag durchgelesen und den Irrtum bemerkt hatte, forderte sie das Fitnessstudio auf, den Vertrag rückgängig zu machen, da sie sich getäuscht fühlte und sie sich die Gebühren nicht auch nicht leisten konnte. Das Fitnessstudio bestand auf der Einhaltung des Vertrags und verlangt unter anderem sämtliche Beiträge für die Restlaufzeit und das Startpaket, insgesamt 1130 Euro. Da sich die Frau weigerte, zu zahlen, erhob das Fitnessstudio Klage. Ohne Erfolg.
Das AG hat entschieden, dass der Vertrag von der Frau wirksam angefochten werden konnte, da sie sich über dessen Inhalt geirrt hat. Demnach hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass derjenige, der ein Schriftstück ungelesen unterschrieben hat, den Vertrag anfechten kann, wenn er sich von dessen Inhalt eine bestimmte, allerdings unrichtige Vorstellung gemacht hat. Da die Frau den Vertrag mangels Brille nicht lesen konnte und auch nicht durchgelesen hat, hat sie, ohne dies zu merken, etwas anderes zum Ausdruck gebracht, als das, was sie in Wirklichkeit hatte erklären wollen.
Trotz aller Geschäftstüchtigkeit von Fitnessstudios konnte das Gericht aber nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Kundin vorsätzlich getäuscht, ja angelogen worden ist. Vielmehr dürfte, wie so oft, der Fehler auf beiden Seiten gelegen haben: Wird schlecht zugehört, redet man ganz schnell aneinander vorbei, befand das Gericht.
Quelle: ntv.de, awi