Ausstieg durchs Zugfenster Schaffner ist kein Betreuer
26.01.2012, 11:24 UhrBetrunkene haben am Steuer nichts verloren. Doch auch eine Bahnreise ist nicht ungefährlich. Das musste ein Mann erfahren, der im Vollrausch aus dem Fenster eines anfahrenden Zuges kletterte. Dabei verlor er ein Bein. Dafür wollte er auch den Schaffner verantwortlich machen, der ihn besser hätte beaufsichtigen müssen.

Bei den modernen Zügen der Bahn lassen sich die Fenster ohnehin nicht mehr öffnen.
(Foto: Erich Westendarp, pixelio.de)
Wer einen Zug statt durch die Wagentür über ein Abteilfenster verlässt, tut das auf eigene Gefahr. Es ist nicht Aufgabe eines Zugbegleiters, einen betrunkenen Passagier permanent zu bewachen, um leichtsinnige Taten zu verhindern. Zumal dann nicht, wenn es vorher keine Anhaltspunkte für ein solches Verhalten gibt. Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht Nürnberg (Az. 14 U 852/10) jetzt die Schadensersatzansprüche eines Mannes zurückgewiesen, der sich beim Ausstieg durch das Fenster einer bereits wieder anfahrenden Regionalbahn erheblich verletzte.
Dass der Mann unter starkem Alkoholeinfluss stand, war schon vorher klar: Mitreisende hatten den Schaffner alarmiert, als er in den Abfallbehälter des Abteils urinierte. Doch der Zugbegleiter schaffte es nicht, den inzwischen Eingeschlafenen zu wecken, um ihn zur Rede zu stellen. Erst an der nächsten Haltestelle fiel ihm der Betrunkene wieder auf, als er sich an der dem Bahnsteig abgewandten Seite an der automatisch verriegelten Wagentür zu schaffen machte. Nach der Aufforderung des Schaffners, dies zu unterlassen, kehrte er wortlos wieder in sein Abteil zurück. Nur wenige Minuten später jedoch kletterte er von dort aus durch das Fenster heraus. Dabei fiel er unter den inzwischen anfahrenden Zug und wurde noch etwa 300 Meter mitgeschleift, wobei sein rechtes Bein abgetrennt wurde.
Verhalten war grob verkehrswidrig
Dafür verlangte er Schadensersatz und Schmerzensgeld von dem Bahnbetreiber. Schließlich habe der Zugbegleiter vor dem Unfall seine Aufsichtspflicht verletzt, da er ihn als erkennbar alkoholisierten Fahrgast nach seinem vergeblichen Ausstiegsversuch durch die falsche Tür nicht mehr hätte allein lassen dürfen.
Die fränkischen Oberlandesrichter bewerteten den Fall allerdings anders: "Abgesehen davon, dass das Ein-und Aussteigen nach der Eisenbahn-Betriebsordnung nur an den dazu bestimmten Stellen gestattet ist, stellt das Herausklettern aus dem Fenster eines anfahrenden Zuges ein grob verkehrswidriges Verhalten dar, das jegliche Gefährdungshaftung entfallen lässt", erklärt Rechtsanwältin Sonja Tiedtke von der Deutschen Anwaltshotline das Urteil. Der Schaffner hätte weder voraussehen können noch müssen, dass der Betrunkene alsbald versuchen würde, den Zug durch das Fenster zu verlassen. Auch, dass der Zugbegleiter den nachfolgenden Zug nicht rechtzeitig anhalten ließ, sei angesichts des überwiegenden Mitverschuldens des Betrunkenen unerheblich, so das Gericht.
Quelle: ntv.de, ino