Ratgeber

Bedrückende Rollenklischees Teilzeit macht Männer krank

Wer Teilzeit arbeitet, hat mehr Freizeit, müsste also eigentlich gesünder sein - oder? Eine umfassende Krankenkassenstudie kommt zu einem anderen Ergebnis. Insbesondere Männer leiden demnach unter mangelnder Anerkennung, wenn sie nicht so lange wie ihre Kollegen arbeiten.

Weniger Arbeit, mehr Zeit für Familie und Hobbys - Teilzeit klingt eigentlich sehr verlockend. Doch mit dem Bild des Familienernährers lässt sich das nicht immer vereinbaren.

Weniger Arbeit, mehr Zeit für Familie und Hobbys - Teilzeit klingt eigentlich sehr verlockend. Doch mit dem Bild des Familienernährers lässt sich das nicht immer vereinbaren.

(Foto: dpa)

Modernes Deutschland? Das Frauen- und Männerbild in Deutschlands Firmen scheint davon weit entfernt zu sein. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls der Gesundheitsreport 2013, den die  Techniker Krankenka sse (TK) heute vorgestellt hat. "Der Mann muss gefälligst 100 Prozent arbeiten." So schätzt TK-Chef Jens Baas die weit verbreitete Einstellung auch in jüngeren Familien ein, als er eine Erklärung für die Ergebnisse des neuen Reports sucht.

Vergangenes Jahr arbeiteten im Jahresschnitt fast 23 Prozent der Berufstätigen Teilzeit. Zwei von fünf Frauen hatten keine Vollzeitstelle – bei Männern lag der Anteil nur bei 7,4 Prozent. Die höchste Teilzeitquote ist im Reinigungsgewerbe zu finden – hier hatten drei Viertel aller Beschäftigten keine volle Stelle.

Doch was den einen hoch willkommen ist, macht anderen Probleme: Männer lassen sich offenbar oft davon niederdrücken, dass sie nicht so viel arbeiten wie ihre Kollegen in Vollzeit. Zwar sind sie insgesamt etwas seltener krankgeschrieben als Männer, die voll im Job sind, wie Studienautor Thomas Grobe vom Institut ISEG sagt. "Allerdings sind sie mit durchschnittlich 1,9 Fehltagen pro Kopf deutlich mehr von psychischen Diagnosen betroffen als Vollzeitbeschäftigte mit 1,4 Tagen."

Sie schlucken auch mehr Antidepressiva. Männer in Teilzeit bekommen 53 Prozent mehr dieser Psychopharmaka verschrieben als jene in Vollzeit - bei Frauen liegt der Unterschied bei nur acht Prozent. Frauen haben zwar insgesamt rund doppelt so viele Krankheitstage wegen Depression und anderen psychischen Leiden. Doch in Teilzeit sind sie ab Mitte 30 sogar etwas seltener krank, vorher auch etwas öfter als in Vollzeit.

Atypische Situation

Woher rühren die Unterschiede? "Die Situation ist für Männer atypisch", meint Grobe. Wer nicht als Haupternährer der Familie auftreten darf, seinen Stolz nicht aus dem Beruf bezieht - dem gehe es als Mann öfter schlecht als einer Frau. Baas: "Wenn er das klassische Rollenmodell nicht erfüllt, leidet er darunter."

Auch solche Dinge wie Daheimbleiben, Kinder in Kindergarten und Schule bringen oder abholen, Brotdosen füllen, Vorlesen oder bei Hausaufgaben helfen scheinen Frauen zumindest weniger Probleme zu machen - selbst wenn sie auch noch arbeiten gehen. Sie sind es einfach viel stärker gewohnt, lautet die Vermutung.

Und die Konsequenz? Baas warnt davor, die Arbeitswelt einfach den Rollenbildern anzupassen. Entscheidend sei es vielmehr, dass Betroffene die eigenen Wahrnehmungen änderten.

Kritische Jobs auf Zeit

Neben Teilzeitstellen machen offenbar auch Befristungen den Angestellten zu schaffen. Auch Frauen leiden unter der damit verbundenen Unsicherheit. Sie sind etwas seltener krank, wenn sie unbefristete Jobs haben. Stärker treffe es aber die Männer, sagt  Forscher Grobe. "Insbesondere bei männlichen Beschäftigen gehen befristete Arbeitsverhältnisse mit höheren Fehlzeiten einher." So fehlten 2012 Männer mit Anfang 50 im Schnitt an mehr als drei Tagen, wenn sie den Job nur auf Zeit hatten, aber an nur 1,8 Tagen, wenn sie ihn auf Dauer hatten. Bei Frauen liegt der Unterschied in keiner Altersgruppe deutlich über einem Tag.

Warum interessiert sich eine Krankenkasse überhaupt für die Rollenbilder zwischen Frauen und Männern? "Es ist für uns bares Geld", sagt Baas. Wenn diese Dinge Männer wirklich krank machen und sich ändern ließen - dann könnte die Kasse seiner Einschätzung nach Ausgaben sparen. Die Wirtschaft auch.

Insgesamt kam es bei den psychisch bedingten Fehlzeiten laut dem Report seit 2006 zu einem Anstieg um 75 Prozent, allein seit 2011 noch einmal um 6 Prozent. Von den insgesamt 14,2 Krankheitstagen pro Kopf entfielen zweieinhalb Tage auf psychische Leiden. Das schlägt enorm zu Buche.

Baas rechnet vor: In einem Unternehmen mit 350 Mitarbeitern fehlten vergangenes Jahr im Schnitt fünf davon für zwei Monate aufgrund einer depressiven Episode. Produktivitätsausfälle durch einen kranken Mitarbeiter würden nach offiziellen Schätzungen pro Tag auf im Schnitt 500 Euro taxiert - allein die Diagnose Depression geht für die betroffene Beispielfirma also mit Kosten von 75.000 Euro einher.

Quelle: ntv.de, ino/AFP

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