Fußball

Ballermann oder Fußballstadion - egal!Eventfans nerven Nationalteam

29.03.2011, 12:16 Uhr
imagevon Stefan Giannakoulis

Die Stimmung rund um die deutsche Nationalmannschaft kippt. Das fußballferne Partypublikum pfeift, wenn es sich nicht unterhalten fühlt und macht den Spielern zu schaffen. Die reagieren zunehmend gereizt und fühlen sich ungerecht behandelt. Doch der Trend geht zum Eventfan.

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Ehrenrunde: Per Mertesacker begleitet pflichtbewusst Miroslav Klose. (Foto: dpa)

Die ehrlichste Antwort gab der Chef des diplomatischen Corps. Gefragt, was ihm vom 4:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft am Samstagabend gegen Kasachstan in der Qualifikation zur Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine in Erinnerung bleibe, sagte Kapitän Philipp Lahm ganz undiplomatisch und deutlich unwillig: Nichts, wenn er ehrlich sei.

Warum auch? Es war das, was Fußballer und die, die über sie berichten, gerne einen Pflichtsieg nennen. Die Elf von Bundestrainer Joachim Löw führt mit fünf Siegen aus fünf Spielen die Tabelle der Gruppe A an, alles prima also. Und heute läuft sie um 20.45 Uhr in Mönchengladbach schon wieder zur Testpartie gegen Australien auf, von der aller Voraussicht nach nicht viel mehr übrig bleiben wird, als dass es das 845. Länderspiel in der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes war. Es sei denn, die Zuschauer pfeifen wieder.

Sie fühlen sich ungerecht behandelt

Das haben sie auch in Kaiserslautern gegen Kasachstan getan, nicht alle der knapp 48.000, aber viele. Und zwar so laut, dass die Spieler es hören konnten. Die konnten mit dem Missmut erkennbar wenig anfangen. Allein Jubilar und Doppeltorschütze Miroslav Klose ließ es sich in seiner pfälzischen Heimat nicht nehmen, die komplette Runde vor den Fans auf dem Betzenberg zu drehen. Philipp Lahm und Per Mertesacker begleiteten ihn mehr oder weniger pflichtbewusst, die anderen Akteure beließen es bei einem kurzen Winken und verschwanden flugs in den Kabinen. Sie fühlten sich ungerecht behandelt.

Was war passiert? Die deutsche Mannschaft hatte in einer spielerisch sehr ordentlichen ersten Halbzeit drei Tore geschossen, der Rest war gegen extrem defensive Kasachen, die bisher in ihren Qualifikationsspielen weder ein Tor geschossen noch einen Punkt ergattert haben, einfach nur langweilig. Oder wie es der Bundestrainer formulierte: "In der zweiten Halbzeit sind wir sicherlich nicht mehr dieses ganz hohe Tempo gegangen." Mit den Pfiffen des Publikums konnte aber auch Joachim Löw herzlich wenig anfangen. Vor allem nicht damit, dass die Zuschauer sich auf den Münchner Bastian Schweinsteiger, der "nicht seinen besten Tag hatte", eingeschossen hatten. "Das empfinde ich als außerordentlich negativ." Schließlich sei Bastian Schweinsteiger "im deutschen Fußballer ein unersetzlicher Spieler".

Fußballfernes Partypublikum

In der Tat wirkte der Unmut der Fans, wenn sie denn überhaupt welche sind, arg überzogen. Das DFB-Team hat nicht schlecht gespielt, alle Spiele in der Qualifikation gewonnen, dabei 17 Tore geschossen und acht Punkte Vorsprung auf die Verfolger aus Belgien und Österreich. "Wir haben das Soll mehr als erfüllt", sagt dazu der Bundestrainer. Und wer sich schon etwas länger für die Nationalelf interessiert, kann sich gut erinnern, dass die sich vor gar nicht allzu langer Zeit gegen Gegner ähnlich minderer Güte bisweilen sehr gequält hat – und das Publikum gleich mit.

In der Bundesliga jedenfalls pfeifen die Fans ihre Mannschaft nicht aus, wenn sie klar gewinnt. Was daran liegt, dass das Publikum bei Länderspielen ein fundamental anderes ist. Wer zu seinem Verein geht, will den Erfolg der Mannschaft. Deshalb unterstützt er sie. Und er leidet mit, wenn sie verliert. Und so lange er erkennt, dass sie sich bemüht, pfeift er auch nicht. Nicht umsonst sprechen Fans von wir, wenn sie den Verein meinen. Das Partyerlebnis kommt da allenfalls an zweiter Stelle, auch wenn in der Liga der Trend ebenfalls hin zum Unterhaltungskonsumenten geht. Doch bei der Nationalmannschaft sind die fußballfernen Event-Fans in der Überzahl. Sie kommen, um zu feiern, ob Ballermann oder Fußballstadion scheint da egal zu sein. Siege allein reichen da nicht mehr.

Sie pfeifen, wenn nicht alle zwei Minuten ein Tor fällt

Sie wollen dabei sein, wenn etwas passiert und am Montag nach dem Spiel den Kollegen im Büro stolz ihre Eintrittskarte unter die Nase halten. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich in Kaiserlautern bereits nach wenigen Minuten La Ola über die Ränge schwappte. Gegen Kasachstan. Und anders ist es auch nicht zu erklären, dass sie pfeifen, wenn nicht alle zwei Minuten ein Tor fällt. Da kann Joachim Löw noch so oft darauf hinweisen, dass es nicht immer möglich ist, "dass man einen Gegner wie Kasachstan sechs, sieben oder acht zu null nach Hause schickt."

Oder Australien. Gegen diesen Gegner hat die deutsche Mannschaft im Sommer bei der Weltmeisterschaft in Südafrika mit einem 4:0-Sieg ein grandioses Turnier eröffnet. Mal sehen, was das Publikum heute Abend erwartet. Philipp Lahm kann das in diesem Fall egal sein. Er darf sich heute Abend ausruhen. Und die Zuschauer in Mönchengladbach scheinen zumindest zu wissen, dass es sich nur um ein Testspiel handelt und Joachim Löw seine B-Elf auf den Rasen schickt. Gestern jedenfalls waren noch 20.000 Karten zu haben.

Deutschland - Australien, 20.45 Uhr

Deutschland: Wiese/Werder Bremen (29 Jahre/3 Länderspiele) - Träsch/VfB Stuttgart (23/5), Friedrich/VfL Wolfsburg (31/79), Hummels/Borussia Dortmund (22/3), Schmelzer/Borussia Dortmund (23/1) - Schweinsteiger/Bayern München (26/86), Kroos/Bayern München (21/14) - Götze/Borussia Dortmund (18/3), Müller/Bayern München (21/14), Schürrle/FSV Mainz 05 (20/1) - Gomez/Bayern München (25/42). - Trainer: Löw

Australien: Schwarzer/FC Fulham (38 Jahre/88 Länderspiele) - Wilkshire/Dynamo Moskau (29/56), Neill/Galatasaray Istanbul (33/70), Ognenovski/Seongnam Ilhwa (31/8), Carney/FC Blackpool (27/38) - Jedinak/Genclerbirligi Ankara (26/24), Valeri/Sassuolo Calcio (26/35) - Rukavytsya/Hertha BSC Berlin (23/7), McKay/Brisbane Roar (28/13) - Kruse/Melbourne Victory (22/4), Kewell/Galatasaray Istanbul (32/53). - Trainer: Osieck