Die Verschwörung beginnt im Kopf "Metropia": düster schöne Zukunft
11.06.2012, 07:11 Uhr
Roger und Nina: Ihre animierten Figuren sind den Schauspielern Vincent Gallo und Juliette Lewis nachempfungen, die ihnen in der englischen Version auch die Stimmen liehen.
(Foto: Capelight)
2024 sind die Ölreserven in Europa aufgebraucht. Der Autoverkehr ist vollständig zusammengebrochen. Dafür existiert ein gigantisches kontinentales U-Bahn-Netz. Roger ist das egal. Selbst bei Regen fährt er lieber mit dem Fahrrad zur Arbeit. Doch eines Tages ist er gezwungen, die U-Bahn zu nehmen - und er hört plötzlich Stimmen in seinem Kopf.
Willkommen im Jahr 2024. Die Ölindustrie hat sich überlebt, denn es gibt kein förderbares Schwarzes Gold mehr. Ohne das Öl ist auch das Auto als Transportmittel obsolet geworden. Statt oberirdisch über die Straßen geht es jetzt unterirdisch über Schienen von A nach B. Ein riesiges U-Bahn-Netz umspannt den Kontinent flächendeckend. Die Bahnen selbst sind superschnell, Reisen dauern nur wenige Minuten, selbst wenn es von Stockholm nach Ingolstadt geht. Millionen Menschen nutzen einer vor sich hin wabernden Masse gleich dieses tief unter der Erde vor schlummernde Streckengewirr jeden Tag: Sie fahren mit der U-Bahn zum Einkaufen. Sie fahren mit der U-Bahn zum Essen. Sie fahren mit der U-Bahn zur Arbeit.
Auch Roger sollte es tun. Aber er fährt lieber Fahrrad. Gründe gibt es viele: Die Straßen sind zwar verdreckt, aber absolut leer. Die Luft ist nicht frisch, aber zumindest kühler als im Untergrund. Und er kann beim Fahren seinen Gedanken freien Lauf lassen. Das gelingt ihm weder zu Hause noch an seinem Arbeitsplatz. Roger arbeitet in einem riesigen Call-Center, wie es sie mittlerweile zu Tausenden gibt. Roger mag seinen Job nicht, genauso wenig wie das riesige U-Bahn-Monster unter der Erde und ebenso wenig wie die immer häufiger werdenden schlaflosen Nächte, in denen er sich in seinem Bett herumwälzt.

Roger bekommt es wegen der Stimme in seinem Kopf langsam, aber sicher mit der Angst zu tun.
(Foto: Capelight)
Aber dafür mag Roger seinen eigenen Kopf. Oder besser gesagt: Er scheint ihn zu mögen, genauso wie er es mag, sich von der Masse abzuheben und gegen den Strom zu schwimmen. Und wenn das im Jahr 2024 einfach nur heißt, nicht mit der U-Bahn zu fahren, sondern mit dem Fahrrad, dann ist das eben einfach so. Verdammt noch mal! Roger braucht dringend Schlaf.
Sie kriegen auch dich!
Irgendwann ist es dann soweit. Es war nur eine Frage der Zeit. Roger kann sich nicht ewig dem allgemeinen Gruppenzwang entziehen: Irgendwie hat er es geschafft, den Morgen zu vertrödeln und um noch halbwegs rechtzeitig an seinem Arbeitsplatz zu kommen, muss er die U-Bahn nehmen. Egal, wie sehr er sie verabscheut und wie abgrundtief er sie auch hassen mag.
Roger betritt widerwillig die Bahn - und schon hat er ein Problem. Ein immer lauter und unangenehmer werdendes Problem: Er hört eine Stimme. In seinem Kopf. Einfach so. Sie kennt seinen Namen. Sie ruft ihn. Sie spricht mit ihm. Sie sagt ihm, was er tun soll. Schlimmer noch: Die Stimme verfolgt ihn. Er hört sie nicht mehr nur in der U-Bahn sondern auch an der Arbeit und vor allem zu Hause. Und das, wo er doch eh schon nicht schlafen kann.
Und auch das ist noch nicht alles: Plötzlich sieht er eine Frau. Nicht seine Frau, sondern die, die ihn täglich aufs Neue von seiner Shampoo-Flasche entgegenlächelt. Auch die Frau scheint in zu verfolgen. Er sieht sie plötzlich überall. Ständig scheint ihr Shampoo-Werbespot zu laufen. Was ist hier bloß los? Sie ist wunderschön, geheimnisvoll - und auch sie spricht plötzlich mit ihm. Träumt er etwa? Mit offenen Augen? Wird er verrückt? Ist er es gar schon?
Eine Orwellsche Verschwörung ungeahnten Ausmaßes
Roger glaubt, den Verstand zu verlieren. Er will der Stimme in seinem Kopf auf den Grund gehen - und der bildhübschen, aber seltsamen Frau natürlich auch. Als sich ihre Wege wie dank einer himmlischen Fügung urplötzlich kreuzen, bekommt er zunächst kein Wort heraus. Auch, weil er der Stimme in seinem Kopf zuhört, die ihm dringend rät, abzuhauen, oder zumindest die Klappe zu halten und den Worten der Frau keinen Glauben zu schenken. Das ist alles so verwirrend, so schizophren - uns so faszinierend.
Roger landet mit der Frau auf einer Pressekonferenz eines riesigen Konzerns. Des Konzerns, der dieses monströse unterirdische Massentransportmittel namens U-Bahn betreibt. Des Konzerns, der auch ein riesiges Mediennetz sein Eigen nennt mit unzähligen TV-Stationen, die ständig Werbung über die Bildschirme flimmern lassen. Des Konzerns, der auch sein Shampoo herstellt …
Roger beginnt eins und eins zusammenzuzählen. Das riecht nicht nur nach einer düsteren Verschwörung, das stinkt zum Himmel. Aber welche Rolle spielt er dabei? Was hat es mit der Shampoo-Frau auf sich? Und wie kommt diese Stimme in seinen Kopf?
Düster, verwirrend, beklemmend, großartig
"Hey, hören Sie mich? Hallo! Ich bin’s, die Stimme in ihrem Kopf. Hergehört. Lauscher auf! Kaufen Sie sich 'Metropia'!" Tun Sie es, mit ruhigem Gewissen. Das Jahr 2024 ist nicht mehr lange hin. Der Trend zu Mega-Citys ist ungebrochen, die Meldungen über knapper werdende Rohstoffe wie Öl und deshalb steigende Preise auch. Es könnte also so kommen, wie es in "Metropia" geschildert wird. "Seien Sie darauf vorbereitet! Investieren Sie in 'Metropia'!"
Lassen Sie sich dabei nicht vom äußeren Erscheinungsbild des Hauptdarstellers Roger abhalten. Er mag nur eine animierte Figur sein, aber ist dennoch ein hochsympathischer Zeitgenosse mit all seinen verschrobenen Macken. Und auch die düstere Umgebung, in der er lebt, kann sich sehen lassen. Zugegeben, sie ist angsteinflößend. Aber ist das die Zukunft im Allgemeinen nicht immer? "V - wie Vendetta", Orwells "1984", Strugatskis "Prisoners of Power" sind nur drei Beispiele, die diese These untermauern.
Ich denke, es ist auch nur Zufall, dass die Stadt Ingolstadt im Film Erwähnung findet. Oder steckt da doch mehr dahinter? Statt Ingolstadt hätte der schwedische Regisseur Tarik Saleh für seine animierte Zukunftsvision ja eigentlich auch bekanntere Städte, oder noch besser richtige Metropolen wie London, München, Barcelona oder Rom nehmen können. Warum also stattdessen Ingolstadt? Hat dVolkswagens Premium-Tochter Audi da ihre Finger im Spiel? Nein, natürlich nicht. Hmm, Ingolstadt ... Aber na klar, dort steht die Wiege der Illuminaten. Adam Weishaupt hat diese Geheimorganisation 1776 dort gegründet. Mal sehen, was die Stimme in ihrem Kopf dazu sagt?!
Quelle: ntv.de, von Thomas Badtke