Mit Kind wird frau übersehen Kunst und Gleichberechtigung - geht das?
28.06.2021, 18:09 Uhr
"Künstlerin zu sein, ist ein harter Weg, und hat mit vielen Krisen zu tun", sagt Christine Reifenberger.
(Foto: Anja Illmayer)
Seit Jahren ist Georg Baselitz einer der wichtigsten Künstler. Und hat trotz Kindern Karriere gemacht - als Künstlerin wäre er wohl nicht so weit gekommen. Gleichstellung ist im Kunstbetrieb ein Fremdwort, findet Künstlerin Christine Reifenberger. Mit ntv.de spricht sie über ihre Erfahrungen.
Geöffnet für Frauen! Was für ein Fortschritt. Seit genau 100 Jahren dürfen Künstlerinnen an der Kunstakademie in Düsseldorf studieren. Aber ist die Kunst deswegen weiblicher geworden? Die Mehrheit der Studierenden an Hochschulen in Deutschland sind inzwischen Frauen. Dennoch: Im Kunstbetrieb wird immer noch um Gleichberechtigung gekämpft, denn Frauen sind unterrepräsentiert. Ein Kind zu bekommen, ist für eine Künstlerin in aller Regel ein Karrierekiller. Aber es tut sich was. Künstlerinnen wie Christine Reifenberger organisieren sich und machen mit Initiativen wie EWVA auf diese Situation aufmerksam. Dabei geht es nicht um Feminismus oder um die Forderung nach einer Quote, sondern um systematische Veränderungen. Mit n-tv.de hat Christine Reifenberger über ihren Weg in der Kunst mit Kind gesprochen. Den konnte sie allen Stolpersteinen zum Trotz dennoch gehen. Die 54-Jährige hebt wunderbare Farbmalerei ins Dreidimensionale, diese kleinen und größeren Explosionen, in denen schillernde Farben mühelos ineinander fließen, bleiben einfach spannend. Sympathisch und offen erzählt die Kölner Malerin in ihrem mit Farbspritzern übersäten Atelier von ihren Erlebnissen und ihrem Engagement für Künstlerinnen.
ntv.de: Warum ist das Thema Gleichstellung in der Kunst derzeit so präsent?
Christine Reifenberger: Die Empörung der Frauen ist nicht mehr zu bremsen.
100 Jahre nach der Öffnung der Akademien für Frauen schlägt jetzt die Welle besonders hoch. Ein Tsunami scheint sich aufzubauen.
Ich frage mich wirklich, warum dauert das so ewig? Ich bin fassungslos. In den Anfängen meiner Ausbildung dachte ich, wir sind mit dem Thema Equality durch.
Sie waren Meisterschülerin an der Düsseldorfer Akademie bei Gotthard Graubner, der für seine lichten, monochromen Kissengemälde bekannt ist. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Es war richtig gut. Als ich 1992 in Düsseldorf anfing, gab es keine Unterschiede. Wir waren in der Klasse genauso viele Frauen wie Männer. Graubner hat sich zwar als Meister inszeniert, aber auch gesagt, dass Frauen zum Teil begabter sind als Männer. Und dann im Nebensatz erwähnt, dass sie sich nicht durchsetzen können. Er hatte für alle die gleiche Wertschätzung und hat mich als Künstlerin genauso gefördert wie die männlichen Kollegen.
Wann wurde Ihnen klar, dass die Gleichstellung nur ein Wunschdenken war?
Ein Jahr nach Ende meines Studiums mit 32 Jahren habe ich meinen Sohn bekommen. Durch meine Lehre für Theatermalerei an der Oper in München war ich später fertig. Schon als bekannt wurde, dass ich schwanger war, hieß es: "Na, wie geht es mit der wohl weiter?" Noch krasser aber war, als ich mit meinem kleinen Sohn Paul an der Hand zu einer Eröffnung in eine Galerie ging, die eigentlich an einer Zusammenarbeit interessiert war. Ich wurde von der Galeristin nicht mal mehr angeschaut.
Was hat das für eine Gefühlslage erzeugt?
Es war demütigend. Ich war eine stolze, gut ausgebildete Malerin, war ausgezeichnet worden und wurde unterstützt. Plötzlich stehst du mit Kind da und alle übersehen dich. Man denkt immer, im Kunstbereich sei alles so frei und reflektiert, aber es läuft schlimmer ab, als in der Wirtschaft. Wir sind als selbständige Unternehmerinnen sowieso Einzelkämpferinnen und mit Kind traut man uns nichts mehr zu. Reisen zu Ausstellungen oder Stipendien werden schwierig, aber wären machbar. Erst jetzt, 20 Jahre später, denken die Institutionen langsam um und vergeben Stipendien auch an Eltern oder Ältere, also 40 plus. Altersgrenzen werden aufgehoben, weil man in der Kunst feststellt, es gibt verschiedene Lebensläufe und Entwicklungen.
Jetzt könnte man sagen, Ihr Schicksal ist das der Generation 50 plus, heute ist alles anders und ein Kind in der Kunstwelt ist kein Karrierekiller mehr?
Nein, die Mutterschaft ist immer noch ein Thema. Als Mentorin begleite ich jüngere Künstlerinnen. In einem Gespräch erzählte ich einem Museumdirektor meine Geschichte, der schaute mich mitleidig an. Als er sagte, das sei ja heute nicht mehr so, widersprachen ihm lauter junge Frauen. Das war vor vier Jahren. In Clubhouse höre ich von Mitzwanzigerinnen, dass es heute noch genauso passiert.
Woran liegt das?
Das ist die Frage. Wir Deutschen sind mit das Schlusslicht in Europa, was Frauenthemen anbelangt. Vielleicht liegt es auch an unserer Vergangenheit. Dieses Ethos "du bist Mutter, musst dich kümmern und bist verantwortlich" ist ein extremes Denkmuster, das noch so präsent ist. Als Frau überfallen einen durchaus selbst diese Vorurteile. Wir müssen gesamtgesellschaftlich umdenken und umfühlen.
Engagieren Sie sich deshalb als Mentorin?
Ja, das ist aber vor allem eine gute Starthilfe. Mentoring ist wichtig, du brauchst als junge Künstlerin einfach Unterstützung. Du musst wissen, wie das mit Galerien läuft, worauf du bei Verträgen achten musst. Als junge Frau war ich euphorisch, dachte, ich kann Mauern einreißen, aber ab 30 war ich nur noch verunsichert. Gerade an Kunsthochschulen, wie der in Düsseldorf, ging es nur um künstlerische Inhalte und in meinem Fall den Kampf um die Farbmalerei. Künstlerin zu sein ist ein harter Weg und hat mit vielen Krisen zu tun. Oft wird eine künstlerische Position erst wirklich interessant, wenn die 40 überschritten ist.
Apropos künstlerische Position, Ihre Arbeiten hatten schon früh eine so starke Aussage, dass ein Sammler sie kontinuierlich gekauft hat.
Ja, das hat etwas Märchenhaftes. Zwei Jahre nach meinem Abschluss an der Akademie habe ich Volker Kahmen wieder getroffen. Der Sammler und Kunsthistoriker hatte eine kleine Kohlezeichnung von mir gekauft, als ich noch studierte, und sie - nach seiner damaligen Erzählung - zwischen einem Giacometti und Oskar Schlemmer aufgehängt. Er meinte zu mir, sie hätte "wohl" Bestand und wollte mich im Atelier besuchen. Dort kaufte er meine gesamte aktuelle Produktion.
Er wurde jahrelang in schwierigen Zeiten Ihr Mentor, was hat ihn getriggert?
Dazu hat er in einem von ihm aufgelegten Katalog zu einer Einzelausstellung etwas Schönes gesagt: "Du befindest dich in einer sehr vielschichtigen Welt. Dein großer Vorteil ist es, dass du deine Bildwelt offen und beweglich hältst, jenseits aller festgelegten Rezepte. Die Eigenheiten deiner Arbeiten ermöglichen dir diese Freiheit."
Sich nicht beirren zu lassen und den eigenen Pfad zu gehen, hat auch was mit Stärke und Neugier zu tun. Warum haben Sie "Equality for Women in Visual Arts" gegründet?
Meine Künstlerkollegin Annebarbe Kau hat mich angesprochen, ob ich EWVA mitgründen möchte. Sie selbst stand ganz oft vor einer Professur, die dann aber doch ein Mann bekommen hat.
Wer sich für Frauenthemen engagiert, wird gerne etikettiert, also mal ganz direkt gefragt: Sind Sie eine Feministin?
Nein! Das sage ich auch immer wieder. Tatsächlich aber habe ich nicht so gute Erfahrungen mit einigen Männern über 60. Die beäugen mein jetziges Engagement kritisch und auch Sammler ziehen sich zurück. Finanziell ist das eher schädlich. Die letzte Welle war so männerfeindlich. Das wäre der größte Fehler, den wir jetzt wiederholen könnten.
Was wollen Sie mit der Initiative EWVA erreichen?
Wir sind keine Aktivistinnen, aber wir wollen Frauen zusammenbringen und sind diejenigen, die nachfragen. Unser Impulssymposium "Let's talk" hat gerade auf der Raketenstation der Museumsinsel Hombroich bei Neuss stattgefunden. Es war großartig, wir haben einen Tag lang kritisch mit Gästen aus Paris, Wien, London, Basel, Eupen, Düsseldorf und Köln diskutiert. Wir sind stolz, was für weibliche Power freigesetzt wurde. Dabei hat sich so eine breite Vielfalt an Möglichkeiten gezeigt.
Zum Beispiel?
Wie man sich engagieren kann. Dabei ist es egal, ob als Institution, aus der Forschung heraus oder als Sammler*in oder Künstler*in. Es geht um die gleiche Sache: Die Gleichstellung in der Kunstwelt muss so selbstverständlich sein, dass keiner mehr drüber redet. Die Lücke tut sich vor allem im monetären Bereich auf, wenn es in Galerien um Verkauf geht. Einen Künstler würde keiner fragen, wie willst du das mit Kind schaffen? Bei Annalena Baerbock wird das jetzt auch thematisiert, aber bei Armin Laschet interessieren Kinder nicht.
Was ist die Quintessenz des Symposiums?
Das Thema Gleichstellung in der Kunst darf einfach nicht mehr unter den Tisch fallen. Ich bin gespannt auf den Film über unser Symposium, der gerade noch geschnitten wird. Da kann sich jeder die spannenden Beiträge ansehen und sich inspirieren lassen.
Mit Christine Reifenberger sprach Juliane Rohr
Die Ausstellung Physis von Christine Reifenberger und Simone Nieweg ist noch bis zum 25. September in der Galerie Haus Schlangeneck in Euskirchen zu sehen.
Alle weiteren Ausstellungen 2021 u.a. mit Katharina Grosse in Brüssel finden sich hier bei Christine Reifenberger.
Mehr zu Ewva gibt es hier.
Quelle: ntv.de