
"Wer früh aufsteht, hat mehr vom Tag."
(Foto: imago stock&people)
Sprüche wie: "Der frühe Vogel fängt den Wurm" sind wohl jedem bekannt. Wir leben in einer Frühaufsteher-Gesellschaft. Unsere Kolumnistin wünscht sich mehr Akzeptanz für Nachtigallen und all jene, die liegenbleiben. Der Mensch muss ausschlafen dürfen!
"Was machen'se denn da?", brüllt die Frau am Fenster zu mir herunter. "Es ist nach Achte! Hamse keene Augen im Kopf? Könn'se nicht lesen, was da auf'm Schild steht?" Es ist Dienstagabend, kurz nach 20 Uhr, genau gesagt: 20:04 Uhr. Ich stehe am Glas-Container und habe bereits drei Weinpullen reingepfeffert und zwei Gurkengläser. Nun wohne ich in Berlin und weiß, dass der ruppige Umgangston hier quasi als kulturelle Eigenart durchgeht, aber mir geht in diesem Moment dennoch das Klappmesser in der Hosentasche auf.
Dabei geht es mir nicht darum, dass ich von der Dame am Fenster angepöbelt werde, als habe ich gerade ihre Katze verspeist. Ich weiß ja nicht einmal, ob sie überhaupt eine Katze hat. Es geht mir um etwas ganz anderes, nämlich ums Schlafen. Und ums Aufstehen. Und um die unterschiedlichen Zeiten, in denen Menschen sich zur Ruhe legen.
Schon als Baby habe ich tagsüber meistens gepennt, während ich nachts wach war. Meine Mutter, das können Sie mir ruhig glauben, hat wirklich alles versucht. Zeitlebens habe ich es gehasst, morgens aufzustehen, um pünktlich zur Schule zu kommen. Meine Frage, warum sich alle Kinder stets mitten in der Nacht aus dem Bett quälen müssen, wurde immer belächelt. Es gehöre sich nun mal so und überhaupt: Wer in seinem Leben was erreichen will, ist Frühaufsteher. Menschen, die, wie ich, keine Lerchen sind, galten lange (und gelten noch immer) als Hallodris, ewige Studenten und naja, irgendwie auch aus dem System gefallen.
Solidarität mit allen Frühaufstehern!
Ich habe natürlich überhaupt nichts gegen Frühaufsteher. Wogegen ich etwas habe, ist, wie klein die Lobby der Nachtigallen scheint. Ich hatte in meiner Zeit als kellnernde Studentin mal eine Chefin, die, als ich sie bat, gern alle Spätdienste zu machen, wenn ich dafür keine Frühdienste übernehmen müsste, meinte: "Langschläfer sind faule Schweine." Dabei schlafe ich gar nicht länger! Ich schlafe nur zu anderen Zeiten!
Und ganz ehrlich, ich halte mich wirklich immer an die Nachtruhe im Haus. Ich weiß, die Menschen, die früh zur Arbeit müssen, brauchen ihren Schlaf. Pst! Leise! Solidarität mit allen Frühaufstehern! Aber: Auch unter all jenen, die nicht früh aufstehen, soll es tatsächlich werktätige Menschen geben.
In meinem Hausflur hängt eine fette, ellenlange Hausordnung. Da steht, wie Sie bestimmt wissen, alles drin, was man darf und was nicht. Obschon es in Berlin keine gesetzliche Mittagsruhe gibt, steht sie in der Hausordnung. Hält sich nur niemand dran. Der Tag hier beginnt um 6 Uhr morgens. Obwohl die Leute mit ihren Laubbläsern erst gegen 9 Uhr anrücken dürfen, kommen die Grastrimmer und Heckenstutzer meist gegen 6.30 Uhr. Wer noch nicht wach ist, wird es spätestens dann. Ich muss es Ihnen jetzt gestehen: Ich hege böse Phantasien gegen den Laubbläser-Erfinder. Richtig böse. Ich würde gern wissen, wo der Laubbläser-Erfinder wohnt und mit einem ganzen Laubbläser-SWAT-Team in sein Schlafzimmer vorrücken, ohne Vorankündigung natürlich.
Am meisten geht mir auf den Senkel, dass gern suggeriert wird, Menschen, die früh aufstehen, stünden mit beiden Beinen fest im Leben. Ja, sie sind ein wichtiger Teil der Gesellschaft und ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Leuten dieses Landes zutiefst bedanken, dass sie so zeitig aufstehen und, wie es meine damalige Chefin nannte "mit dem Arsch an die Wand kommen". Mütter und Väter, medizinisches Personal, all jene, die das System am Laufen halten.
Sie genießen meinen allergrößten Respekt. Ich persönlich jedoch finde früh aufzustehen leider vollkommen überbewertet. Ich bin sogar der festen Überzeugung, dass sich das mal irgend so ein kapitalistischer Jochen ausgedacht hat, um mehr Kohle zu scheffeln. Ich glaube sogar, es ist ungesund, aufstehen zu müssen, wenn man nicht ausgeschlafen ist.
"Morgenstund hat Gold im Mund"
Am allerschlimmsten aber finde ich all die "Guten Morgen Deutschland"- TV- und Radiosendungen, wo einem übertrieben muntere Moderatoren mit nahezu pervertiert wirkender Freundlichkeit ihre gespielte gute Laune aufdrücken wollen. Ganz ehrlich: Ich glaube, die sind alle hundemüde. Mir ist natürlich klar, dass eine Gesellschaft nicht funktionieren kann, indem alle bis mittags pennen und erst anfangen zu arbeiten, wenn sie ausgeschlafen sind. Meiner Meinung nach macht es aber keinen Unterschied, ob man nun auf dem Weg zur Arbeit um 7 Uhr oder um 11 Uhr im Berufsstau steht.
Mein Tag endet oft erst gegen 3 Uhr nachts. Dann lese ich meist noch ein bisschen und lausche den ersten Vögeln vor meinem Fenster. Gegen 6 Uhr kommen aktuell die Handwerker, die in der Nachbarwohnung mit gefühlt 300 Presslufthämmern am Start sind. Einfach herrlich, wie sich die Geräusche von Laubbläsern, Rasenmähern und Bohrern zu einem ohrenbetäubenden Konzert vermischen. Guten Morgen! Wieso pennen Sie noch? Sind Sie ein Faultier? Egal, ich mache alles mit. Aber wehe, ich werfe drei Weinpullen kurz nach 20 Uhr in den Glascontainer. "Da hört der Spaß aber auf!"
Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, wie ich mal eines nachts aufs Klo musste und meine Mutter im Flur antraf, die sich gerade für die Arbeit fertigmachte. Von meinem Kinderzimmerfenster aus schaute ich ihr nach. Es war etwa halb vier Uhr morgens, meine Mutter war dick eingemummelt und ich beobachtete, wie sie sich auf ihr Fahrrad schwang und gegen einen dicken Schneesturm anfuhr. Ich habe dieses Bild nie wieder vergessen. Genauso wie ihre Müdigkeit oder diesen Spruch, den mein Großvater unter ein Bild meines Vaters im Fotoalbum geschrieben hat und das die beiden gemeinsam auf einem Kartoffelfeld zeigt: "Morgenstund hat Gold im Mund." Mein Vater ist auf diesem Foto etwa zehn Jahre alt und sieht aus wie drei Tage Regenwetter.
Am Freitag, den 13.
Heute ist Samstag. Am Freitag, den 13. habe ich keine Kinder zur Schule gebracht. Ich habe keine Leben gerettet und kein Laub geblasen. Ich habe nicht mitbekommen, wie die Sonne aufging und es verpasst, in die ersten noch dampfenden Semmeln eines fleißigen Bäckers zu beißen. Ich habe nicht im Stau gestanden und bin nach Meinung einiger vermutlich kein Rädchen im Getriebe. Ausgeschlafen habe ich auch nicht, denn da ist ja immer noch der dröhnende Presslufthammer in der Wohnung nebenan.
Am Freitag, den 13. habe ich eine Katze gestreichelt, die nicht schwarz war. Ich habe vielleicht ein bisschen zu viel Kaffee getrunken, viel über Lerchen und Nachtigallen gelesen und dann diese Kolumne hier geschrieben. Zum Zeitpunkt, an dem ich sie beendet hatte, war es gegen 17 Uhr. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag. Wann immer er beginnen mag.
Quelle: ntv.de