
Eine Freundschaft plus soll vor allem eines sein: unkompliziert. In der Realität ist oft das Gegenteil der Fall.
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Sex ohne feste Beziehung? Seit den 68ern kein Problem mehr. Dass Affäre und Beziehung vermischt werden, ist aber relativ neu. Zwei Expertinnen erklären, warum das so ist - und wieso eine solche Sexfreundschaft meist nicht lange gut geht.
Frida kommt frisch aus einer Beziehung und möchte mit Louis auf keinen Fall wieder etwas Ernstes - eigentlich. Doch bis sie bemerkt, dass da mehr als Freundschaft mit gelegentlichem Sex ist, hat der sich schon anderweitig umgeschaut. Emma trifft im Wiener Nachtleben auf Medizinstudent Severin und aus einem One Night Stand werden schnell gemeinsame Sonntagsspaziergänge und Kochabende bei Kerzenlicht - verliebt ist aber nur einer von beiden. Und für Paul wird es kompliziert, als zwei Freundinnen, mit denen er hin und wieder Sex hat, auf einer Party aufeinandertreffen.
Was Frida, Emma und Paul verbindet: Sie alle führen eine Freundschaft plus, jenes heiß diskutierte Beziehungsmodell, das in den vergangenen Jahren gleich mehrere Hollywood-Regisseure zu Filmen inspiriert hat. Eine Freundschaft plus, das ist mehr als nur eine Affäre - und weniger als eine Beziehung mit all ihren Verpflichtungen, Gefühlen und öffentlichen Zugeständnissen. Eine Freundschaft eben, die Sex ebenso beinhaltet wie gemeinsame Ausflüge oder das Tränentrocknen in einer schweren Zeit.
Die österreichische Bloggerin und Youtuberin Alena Riha kennt Geschichten wie die von Frida, Emma und Paul zur Genüge, fast jeder in ihrem Bekanntenkreis hat eine oder mehrere Freundschaften mit gewissen Vorzügen hinter sich oder steckt gerade mittendrin. Die 25-Jährige hat die Erlebnisse ihrer Freunde und Bekannten gesammelt und in dem Buch "Freundschaft plus - 33 Geschichten von Friends with Benefits" veröffentlicht. "Im Freundeskreis wird sehr offen über solche Themen geredet", sagt Riha. "Wenn Freunde in solch einer Situation stecken, bekommt man das meistens direkt mit."
Beziehungsunwillig heißt nicht -unfähig
Aber warum quatschen sich Mittzwanziger nächtelang durch ein undefinierbares Beziehungswirrwarr aus lauwarmen Gefühlen? Und wie geraten sie überhaupt in den Schwebezustand irgendwo zwischen Gleichgültigkeit und großen Emotionen? Oft passiert das dann, wenn zumindest einer von beiden gerade aus einer Beziehung kommt und sich nicht direkt wieder binden will, sagt die Hamburger Psychologin und Sexualtherapeutin Nele Sehrt. "Ich erlebe bei einer Freundschaft plus zwar nicht so eine Tiefe wie in einer richtigen Beziehung", sagt sie. "Ich falle aber auch nicht so tief, wenn sie endet."
Auch Psychologin und Autorin Stefanie Stahl ("Jeder ist beziehungsfähig") vermutet hinter einer Freundschaft Plus hauptsächlich Angst: Angst, verletzt zu werden - aber auch Angst davor, seine Freiheit zu verlieren. Dieses Nicht-festlegen-wollen einer Freundschaft plus, sagt Sehrt, ist ein relativ neues Phänomen, das auch mit der Digitalisierung zusammenhängt: "Wir haben immer weniger persönliche Kontakte, wir whatsappen statt zu telefonieren oder uns zu treffen." Auf Social-Media-Kanälen stellten Menschen ein idealisiertes Ich dar, ein Like werde schnell wichtiger als eine persönliche Rückmeldung. Die Folge: Man tauscht sich weniger aus, bleibt an der Oberfläche - und pickt sich auch in Beziehungen nur die Rosinen heraus.
Klar, dass das zu Problemen führt. "Sex zu haben ist ein genitales Bedürfnis, deshalb bezeichne ich einen One Night Stand auch gerne als eine 'erweiterte Masturbation' - denn es geht hier in erster Linie um die eigene sexuelle Befriedigung und nicht um das Gegenüber", sagt Sehrt. "Bei einer Beziehung kommt zum genitalen Reiz auch die emotionale Ebene hinzu - und ich betrachte den anderen als Subjekt und nicht mehr ausschließlich als Objekt. Die Freundschaft plus bewegt sich irgendwo dazwischen." Und schon klopfen sie an, die Missverständnisse.
Tinder macht alles nur bequemer
Bleibt der Mann über Nacht, kann das gerade Frauen schnell auf eine eigentlich nicht vorhandene Beziehungsebene katapultieren, sagt Sehrt. Den morgendlichen Kaffee kann zwar auch der Kumpel ans Bett bringen - aber bedeutet das dann nicht auch, dass da vielleicht mehr ist? Wichtig sind klare Regeln und Absprachen: Wird mit Kondom verhütet oder ohne, sind Dates oder Sex mit anderen erlaubt? Hat man täglich Kontakt oder sieht man sich nur ab und zu? "Hier können leicht Kommunikationsprobleme entstehen: Möchte der eine die Grenzen absprechen, verwechselt der andere das gerne mit einer Beziehungsanfrage oder einem Eifersuchtsproblem", sagt Sehrt. Wie viel einfacher ist es da, den Ball flach zu halten, die Gefühle wegzupacken - und gar nichts zu sagen.
Datet sich zurzeit also eine ganze Generation Beziehungsunfähiger? Der Autor Michael Nast füllte mit seinem Buch ("Generation Beziehungsunfähig") zu eben dieser These im Jahr 2016 ganze Hörsäle verzweifelt liebeshungriger Studenten, die ja irgendwie wollen, aber doch die Flucht ergreifen, wenn es ernst wird. Stefanie Stahl sieht das nicht ganz so dramatisch. Lose oder offene Beziehungen habe es schließlich auch schon früher gegeben und auch Dating-Apps wie Tinder hätten keinen Einfluss auf unsere Fähigkeit, Beziehungen einzugehen, sagt Stahl.
"Tinder macht unverbindliche Beziehungen nur bequemer. Aber in die Kneipe gehen, in der Kiste landen und am nächsten Morgen 'Auf Wiedersehen' sagen, das ging früher auch", so die Expertin. Und auch Sexualtherapeutin Sehrt attestiert der Generation Y keine generelle Beziehungsunfähigkeit - eher eine gewisse Beziehungsunwilligkeit aus den verschiedensten Gründen. Obwohl schon die 68er-Bewegung lose Beziehungen und unverbindlichen Sex salonfähig machte, ist sie sicher: Die Verknüpfung von Freundschaft und Sex ist verhältnismäßig neu. Der Haken: Sie funktioniert meistens nicht.
Manchmal hilft nur die Trennung
Mit dem Sex und der Vertrautheit kommen oft die Gefühle, sagt Stahl. Dann gilt es zu entscheiden, ob man sich dem anderen offenbart - oder ob man das Ganze weiterlaufen lässt, auch auf die Gefahr hin, zu leiden. Und wenn klar ist, dass der andere nicht das Gleiche empfindet? Stefanie Stahl hat da eine klare Meinung: "Ich empfehle, sich in einer solchen Situation zu trennen und diesen blöden verliebten Gefühlen nicht so viel Bedeutung beizumessen. Verliebtheit resultiert aus einem Gefühl der Unsicherheit, das mit Liebe nichts zu tun hat. Und egal, ob der andere generell bindungsängstlich ist oder einfach keine Gefühle hat, läuft das Ganze in die falsche Richtung."
Eine Möglichkeit für ein Happy End kann es trotzdem geben: Dann nämlich, wenn einer der Partner einsieht, unter Bindungsangst zu leiden und offen dafür ist, sein Verhalten zu reflektieren und geradezubiegen, sagt Stahl. Oder wenn der Verlassene durch die Trennung bemerkt, dass er doch Gefühle für den anderen entwickelt hat. Vor allem eine Sache sehen die Expertinnen ähnlich: Auf längere Sicht wird das meistens nichts mit der vermeintlich unkomplizierten Sexfreundschaft. Entweder endet sie nach einer Weile mit mehr oder weniger gebrochenen Herzen, oder es wird doch eine richtige Beziehung daraus.
Welchen Weg die Hauptdarsteller der Hollywoodkomödien einschlagen, ist so simpel wie vorhersehbar. Natalie Portman und Ashton Kutcher ("Freundschaft plus") beziehungsweise Justin Timberlake und Mila Kunis ("Freunde mit gewissen Vorzügen") erkennen irgendwann - wie könnte es anders sein? - dass sie füreinander bestimmt sind: Aus der Sexfreundschaft wird die große Liebe.
Umfragen zeichnen ein weniger rosiges Bild. Nur aus 15 Prozent der Befragten in einer Freundschaft Plus ist ein Jahr später tatsächlich ein Paar geworden, viele Freundschaften zerbrechen ganz. Und auch aus den 33 Freundschaft-plus-Geschichten, die Riha in ihrem Buch zusammengetragen hat, ist am Ende nur eine einzige Beziehung entstanden. Das echte Leben ist eben komplizierter als Hollywoods Luftschlösser.
Quelle: ntv.de