Leben

One Woman Show Was bleibt ...

Traumhaft schön, albtraumhaft leer: der feierlich beleuchtete Berliner Kurfürstendamm in der Weihnachtszeit.

Traumhaft schön, albtraumhaft leer: der feierlich beleuchtete Berliner Kurfürstendamm in der Weihnachtszeit.

(Foto: soe)

Am letzten Tag des Jahres - denken Sie an Ihre Sünden oder Ihre Vorsätze? Und was soll man sich wünschen, wenn das neue Jahr so anfangen wird, wie das alte endet? Die Magie ist ein bisschen raus, die Kolumnistin hat das Wünschen auf nächstes Silvester verschoben.

Letztes Jahr, Ende April 2020, habe ich in meiner Kolumne geschrieben, dass ich coronamüde sei. Ganz süß im Nachhinein. Ich schrieb, dass ich nicht mehr mag. Ich dachte auf jeden Fall, dass nach gut eineinhalb Monaten at home Schluss sei mit dieser Covid-Plage. Jetzt, ein Jahr und acht Monate später, mit der Ahnung, dass es weitergehen wird mit Corona, Delta, Omikron und Co, und dem Wissen, dass wir nicht mehr ohne dieses Virus, sondern nur mit ihm und seinesgleichen existieren werden, bin ich noch müder. Ein Jahreswechsel steht unmittelbar vor der Tür und dabei weiß doch jeder, dass das Wort "Wechsel" so was von fake ist, denn am 1.1. geht alles genauso weiter, wie es am 31.12. endet.

Ich wünsche mir also, dass alles wieder so wird, wie es mal war. Früher. Vor Corona. Also nicht ganz alles, aber das meiste, denn mein Leben gefiel mir. Es ist ja dennoch nicht alles schlecht, und wenn wir mal den ganzen Corona-Ablenkungskatalog beiseitelassen - Aufräumen, Yoga, Stricken, Sprache lernen oder Bootsführerschein machen, also all das, was Normalsterbliche auch sonst kaum hinbekommen, selbst, wenn sie vermeintlich Zeit haben - dann hat das Leben trotzdem neue Wertigkeiten bekommen.

Neulich traf ich eine Freundin im Restaurant, die sagte, ihretwegen könne jetzt ein Lockdown kommen, sie wäre k. o. und würde sich mal ausruhen müssen. Versteh' ich irgendwo. Aber das ist ein vollkommen falscher Ansatz. Wenn man k. o. ist, braucht man Ferien oder mehr Schlaf, und wenn man zu viel arbeitet, dann braucht man neue Strukturen im Job, mehr Geld, mehr Urlaubstage. Wenn man dem Burn-out nah ist, dann braucht man eine Pause von sich und dem Rest der Welt, und man (und natürlich auch frau!) sollte einen Psychiater oder eine Auszeit buchen.

Man sollte wissen, dass die Kinder zur Schule gehen können und dort von kompetenten Lehrern unterrichtet werden, man sollte Freunde haben, die für einen einkaufen, wenn man in Quarantäne ist und man sollte sich auf keinen Fall einen Lockdown wünschen, bloß weil man es sich persönlich leisten kann. Viel Arbeit wird dann auf andere abgewälzt, die einfach ein paar Wochen später umkippen werden. So ein Lockdown macht es außerdem unmöglich zu planen. Man muss ja nicht zwingend schon im Juli wissen, was man zu Silvester macht, aber da alles verschoben wird, kann man bald eh nichts mehr verschieben, weil das einfach nicht mehr geht. Wohin denn? Leben kann man nicht verschieben!

Dämlich, dämlich, dämlich

Heute habe ich Leserpost bekommen, weil ich irgendwo geschrieben hatte, dass ich keinen Bock mehr habe auf die dämlichen Ausreden der Impfgegner. Ja, ich zucke zusammen bei dem Wort Impfpflicht, weil mir Dinge, die einem aufgezwungen werden, grundsätzlich dubios erscheinen. Ich hätte einfach gerne, dass die Menschen einsehen, dass sie sich impfen lassen sollten, und nicht, dass sie dazu gezwungen werden müssen. Auch hätte ich gerne, dass Menschen kapieren, dass sie nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten haben und dass sie denen am besten freiwillig nachgehen. Die meisten schnallen sich im Auto ja auch an, weil sie eingesehen haben, dass es gefährlich ist, wenn einer mit 180 Sachen auf einen draufknallt. Ohne angeschnallt zu sein, sind die Chancen zu überleben gleich null. Genauso läuft das mit den Viren: Die knallen quasi auch mit 180 auf dich drauf und wenn du so blöd bist und nicht angeschnallt, also nicht geimpft bist, dann bist du vielleicht auch tot. Und deswegen bleibe ich dabei, dass ich es dämlich finde, wenn man sich nicht impfen lässt, weil es seit einem Jahr keine nennenswerten Impfschäden gibt, aber doch nennenswerte Corona-Tote.

Ich bin in Rage, merken Sie vielleicht, ich war zu Weihnachten nämlich zweimal auf die Dienste eines Krankenhauses angewiesen. Die Krankenhäuser in Berlin sind knallvoll, wie man sich denken kann, das heißt, dass mein Familienangehöriger dort quasi scheintot auf dem Gang rumlag, bis er dran war. Niemand durfte bei ihm sein, weil das wegen Corona verboten ist, egal, ob Weihnachten ist oder nicht. Er musste nach der Untersuchung mitten in der Nacht dann auch sofort wieder nach Hause gebracht werden. Normalerweise behalten sie ältere Leutchen mit privater Karte ja sehr gerne vor Ort, und leider musste er am nächsten Tag gleich wieder in Krankenhaus - aber im Moment wird eben jedes Bett gebraucht, vor allem nachts. So sehr, dass ich sogar nach einer Patientenverfügung gefragt wurde und wie es denn aussähe mit künstlicher Beatmung, Ernährung und so weiter. Die sicherlich sehr überlastete Ärztin erklärte mir, dass es doch nicht schön wäre, wenn mein Angehöriger leidet. Das ist korrekt, ich habe dann aber doch gezögert, das Dokument im Tresor behalten und heute einen sehr lebendigen Menschen angetroffen, der offensichtlich noch nicht den Löffel abgeben wollte. So viel zum Scheintod.

Das Leben, wie wir es kannten - es wird nicht so bleiben

Was bleibt also, das deutete ich in der Überschrift ja an, da bin ich wohl eine Antwort schuldig. Mir persönlich bleibt, dass ich eine grandiose Familie und ebensolche Freunde habe. Ich vermag mir nicht vorzustellen, wie es ohne wäre. Die sind einfach da. Die, die nicht da sind, sind eben weg. Auch ok. Das passiert. Auch bleibt, dass ich manches mehr zu schätzen weiß. Zum Beispiel Reisen. Ich war dieses Jahr nach langer Zeit mal wieder in Istanbul, bei einem Konzert. Welch unglaublicher Luxus. Ich habe in einem coolen Hotel gewohnt, mit Blick auf den Bosporus. Im Atatürk-Kulturzentrum trat ein türkischer Chor auf, der von Frieder Bernius, einem Genie seines Fachs, geleitet wurde. Es ist beeindruckend, wenn man tagsüber die Hagia Sophia nur mit einem Kopftuch betreten darf, die Uhren stehen geblieben scheinen, und abends einem Konzert beiwohnt, in dem alte deutsche Lieder perfekt vorgetragen werden von einem sehr locker-lustigen, professionellen Chor aus Männern und Frauen mit Dekolletés.

Ich hatte Bedenken und Vorurteile: Will ich in ein Land, in dem Leute eingesperrt werden, weil sie sagen oder schreiben, was sie denken? In dem Journalisten verschwinden? In dem an vielen Stellen Unterdrückung herrscht? Mehr als in anderen Ländern, aber auch weniger als in anderen Ländern. In so ein Land will man eigentlich nicht, aber man will die Menschen, die dort leben, doch treffen, kennenlernen oder wiedersehen. Man will die Kultur erleben und verstehen. Man will anerkennen, wenn Dinge neu entstehen, von einer kompetenten Stadtführerin eine Millionen-Metropole erklärt bekommen, die anders tickt als die eigene. Man will nach Gemeinsamkeiten suchen, nicht nach Trennendem. Ich flog nach Hause mit Sonne und Dankbarkeit im Herzen, in einem Flugzeug, in dem mir eine Mahlzeit angeboten wurde, und Wahnsinn, ich habe einen Film während des Fluges gesehen! Die Welt ist toll, groß und vielfältig. Was da bleibt? Der Wunsch, noch sehr viel davon zu sehen und zu erleben.

Was noch? Ach ja, ich habe einen Föhn geschenkt bekommen. Dieses schicke Designer-Ding, das anders aussieht als andere Föhne, aus dem meiner Meinung nach aber auch nur heiße Luft herauskommt. Und der dann doch ganz anders ist, weil er die Haare tatsächlich nicht fliegen lässt und in der Hand liegt wie eine Porsche-Handschaltung. Ich spreche jetzt jedenfalls mit meinem Dyson wie damals Axel Hacke mit seinem Bosch-Kühlschrank. Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages mit meinem Föhn sprechen würde, ich hätte aber auch nie gedacht, dass ich über solch eine Haarpracht verfügen kann, wenn ich föhne. Mein Dyson trocknet nicht nur meine Haare, er weht fast geräuschlos meine schlechten Gedanken hinfort, die öfter da sind als sonst. Mein Föhn füllt mein Glas, wenn es droht, nicht mehr halbvoll zu sein. Sie glauben, ich spinne? Kann sein, aber ich dachte ja auch im April 2020 bereits, dass ich müde sei. Kommen Sie gut ins neue Jahr, es liegt auch an uns, wie es wird.

Quelle: ntv.de

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